Abschussliste und Grabkranz aufgetaucht
Ist Chodorkowski in der Schweiz in Gefahr?

Erst Boris Nemzow, nun Michail Chodorkowski? Laut einer regierungskritischen russischen Zeitung soll der in der Schweiz lebende Oppositionelle auf einer Abschussliste stehen. Die Kantonspolizei St. Gallen beobachtet die Situation.
Publiziert: 12.03.2015 um 21:43 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 07:42 Uhr
Russland: Ist dieser Grabschmuck für Chodorkowski?
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:Russland: Ist dieser Grabschmuck für Chodorkowski?

Nach dem kaltblütigen Mord des russischen Oppositionspolitikers Boris Nemzow (†55) fragen sich regierungskritische Medien: Welcher Putin-Gegner muss als Nächstes um sein Leben bangen?

Glaubt man Berichten und Recherchen russischer Medien, ist der in Jona SG wohnhafte Michail Chodorkowski (51) in Gefahr.

So wurde dem Kreml-Kritiker über seine Sekretärin und Pressesprecherin vorgestern eine unmissverständliche Botschaft überbracht, schreibt die «Moscow Times». Vor ihrer Wohnung in Moskau stiess Kulle Pispanen auf einen Grabkranz mit 60 Rosen in seiner Mitte. Ein Bild des Kranzes stellte sie auf ihr Facebookprofil. Nach russischer Tradition wird eine gerade Anzahl Blumen nur zu traurigen Anlässen wie einer Beerdigung verschenkt.

Im Kanton St. Gallen gibt man sich bedeckt über die Sicherheitslage um Chodorkowski. «Wir stehen mit ihm in Kontakt und prüfen laufend die Massnahmen, um seine Person zu schützen», sagt Polizei-Sprecher Gian Andrea Rezzoli zu Blick.ch. Zu den konkreten Massnahmen will er sich nicht äussern, Chodorkowski gehöre aber zu den Personen, die besonders exponiert sei.

Auch russisches It-Girl auf Abschussliste

Neben der makabren Aktion mit dem Grabkranz gibt es einen weiteren Hinweis darauf, dass Chodorkowski gefährdet ist. Er soll auf einer Abschussliste stehen, auf der bis vor gut zwei Wochen auch der Name Nemzow zu finden gewesen sein soll.

Sie befindet sich laut der regierungskritischen Zeitung «Nowaja Gaseta» in den Händen eines hochrangigen Mitglieds der tschetschenischen Sicherheitskräfte. Auf der Liste soll sich auch Xenija Sobtschak, Oppositionelle und russisches It-Girl, sowie Alexej Wenediktow, Chefredaktor des unabhängigen Radios «Ekho Moskvy», befinden.

Im Bericht wird das Mitglied der Sicherheitskräfte nur mit dem Vornamen Ruslan genannt. Im Gegensatz zur offiziellen Version der Ermittler soll er Drahtzieher des Nemzow-Attentats sein – und nicht der verhaftete und angeklagte Hauptverdächtige Saur Dadajew. Dieser beteuert im Gespräch mit Menschenrechtlern seine Unschuld. Das am vergangenen Wochenende gemachte Geständnis kam ihnen zufolge möglicherweise durch Folter zustande.

Spuren führen zu Tschetschenen-Präsident

Wer auch immer genau hinter dem Attentat stehe: Die Fäden führen laut «Nowaja Gaseta» zu Ramsan Kadyrow, dem Präsidenten Tschetscheniens und engem Putin-Vertrauten. Dieser hat Chodorkowski kürzlich als «persönlichen Feind» bezeichnet, nachdem Chodorkowski via Twitter Medien dazu aufgefordert hatte, nach dem Attentat auf die französische Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» Mohammed-Karikaturen abzudrucken.

Auch der Tod Nemzows wird in Verbindung mit dem «Charlie Hebdo»-Attentat gebracht. Nemzow hatte Anfang Jahr im Zusammenhang mit der Tat von einer «islamischen Inquisition» geschrieben. Der tschetschenische Präsident sieht den Mord deshalb als Rache tschetschenischer Islamisten, ebenso wie die russische Regierung.

Tatsächlich sei dieser Zusammenhang aber gar nicht möglich, schreibt die Zeitung «Moskovsky Komsomolets», die diese Woche mit ihren Recherchen den Vorwurf laut werden liess, dass die Verdächtigen gefoltert worden sein könnten. Das Fluchtauto sei bereits vor dem Attentat zur Beschattung eingesetzt worden, so ihre Argumentation. (lha/sas)

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