AfD ist im Umfragehoch – auch dank umstrittenem rechtem Taktgeber Björn Höcke
«Die Schweiz ist unser Vorbild»

Jeder fünfte Deutsche würde heute die Rechtsaussen-Partei Alternative für Deutschland wählen. Ihr Taktgeber Björn Höcke spricht im Interview über bröckelnde «Brandmauern», die Nato und die Vorzüge der Schweiz.
Publiziert: 21.08.2023 um 09:51 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2023 um 07:52 Uhr

Die Umfrageresultate schlugen in der deutschen Polit-Landschaft ein wie eine Bombe: 21% der Bevölkerung wollen die Alternative für Deutschland (AfD) wählen. In Thüringen, wo 2024 Wahlen stattfinden, ist es sogar ein Drittel, der mit dem äussersten rechten Rand sympathisiert. Das zeigt: Die Rechten sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die AfD wird Volkspartei.

Was passiert da bei unseren nördlichen Nachbarn? An einem Mann kommt man nicht vorbei, wenn man die AfD verstehen will: Björn Höcke (51), Fraktionschef der AfD in Thüringen, propagiert völkisches Gedankengut und darf nach einem Gerichtsurteil als Faschist bezeichnet werden. Zum Interview-Termin in Erfurt erscheint er in bester Stimmung.

Höcke hat allen Grund für gute Laune. Obwohl der Verfassungsschutz den Landesverband seiner Partei als «gesichert rechtsextremistisch» einstuft, ihm «Bestrebungen gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung» vorwirft und Höcke seit dem Jahr 2020 observiert.

Björn Höcke (51, Mitte) im Gespräch mit den Blick-Reportern.
Foto: Martin Jehnichen
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Herr Höcke, nationalistisch, bürgerlich, rechtsextrem: Ihre Partei wird mit allerlei Adjektiven betitelt. Welches stimmt?
Dass uns solche Begriffe an den Kopf geknallt werden, sagt mehr über den schlechten Zustand der Meinungsfreiheit in Deutschland als über das Wesen unserer Partei. Die AfD ist eine grundbürgerliche Partei.

Können Sie mit Bestimmtheit sagen: «So etwas wie den Nationalsozialismus darf es in Deutschland nie wieder geben»?
Nie wieder! Wir haben als Deutsche im 20. Jahrhundert eine leidvolle Geschichte erdulden müssen. Wir haben braune und rote Diktaturen gehabt. Und wenn ich für eins garantieren kann, dann dafür, dass die AfD das Gegenteil einer ideologischen Kraft ist.

Wirklich? Sie selbst dürfen laut einem Gerichtsbeschluss als Faschist bezeichnet werden.
Ich bin mitnichten ein Faschist. Das ist ein Kampfbegriff, der vom politischen Establishment verwendet wird. Schon die DDR-Obrigkeit hat die Freiheitskämpfer des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 als «Faschisten» gebrandmarkt. Insofern habe ich da eine gute Tradition mit alten Freiheitskämpfern und fühle mich nicht attackiert.

Ihre Partei sagt, statt Migranten brauche es wieder mehr deutsche Kinder. Wie viele Kinder soll eine Familie denn haben?
Drei. Wenn Deutschland eine Zukunft haben will, muss es zum familienfreundlichsten Land der Welt werden. Kinder lehren die Erwachsenen, Verantwortung zu übernehmen. Die Kinderlosigkeit gerade unter deutschen Politikern ist ein grosses Problem, weil daraus eine zu starke Orientierung am Hier und Jetzt resultiert.

Hier in Thüringen ist die AfD stärkste Partei. Bundesweit würde sie heute jeder fünfte Deutsche wählen. Wie erklären Sie sich diesen Aufwind?
Viele Menschen verstehen nicht, warum wir unsere Sozialversicherungssysteme für Millionen von Einwanderern öffnen, während sie selbst existenziell bedroht sind. Das Industrieland Deutschland ist gefährdet. Die Inflationsrate ist hoch. Deutschland ist auf dem Weg zum gescheiterten Staat.

Trotz Ihres Umfragehochs will niemand mit Ihnen regieren. Die etablierten Parteien errichten «Brandmauern» gegen die AfD. Glauben Sie, die halten?
Nein, die Brandmauern sind nicht dauerhaft durchsetzbar. Auf kommunaler Ebene bröckeln sie jetzt schon. Man kann eine Demokratie auch dadurch ruinieren, dass man grosse Bevölkerungsteile gar nicht mehr mitnimmt.

Der Verfassungsschutz kommt zum Schluss, Ihr AfD-Landesverband in Thüringen sei «gesichert rechtsextremistisch».
Der Verfassungsschutz ist zum Kampfinstrument der Herrschenden geworden. Seine Beamten tun das, was ihnen vom Innenminister aufgetragen wird. Die demokratisch gewählte Opposition wird in Deutschland vom Inlandsgeheimdienst überwacht und bedroht. Das gibt’s in keinem anderen Land der Welt, das sich demokratisch nennt.

Bedroht wird in Ihrer Wahrnehmung auch die deutsche Sprache – durch Anglizismen. Welche würden Sie verbieten?
Die deutsche Sprache ist zu einem Tiefgang in der Analyse fähig, wie wenige andere Sprachen. Denken Sie an den Philosophen Ludwig Wittgenstein oder den Sprachkünstler Friedrich Nietzsche. Es wäre schade, wenn wir uns diese Differenzierungsfähigkeit durch Sprachangleichung rauben würden. Aber verbieten will ich gar nichts. Die AfD ist keine Verbotspartei.

Sie fordern die Wiedereinführung besetzter Grenzposten. Müssen Schweizer an der deutschen Grenze bald wieder den Pass zeigen?
Ich bin für den freien Grenzverkehr in Europa. Das setzt voraus, dass die europäischen Aussengrenzen geschützt werden. Wenn wir das nicht schaffen, dann brauchen wir tatsächlich auch wieder den Grenzschutz an den nationalen Grenzen.

Die Schweiz hat direkte Volksabstimmungen, hat ein Burka-Verbot und die allgemeine Wehrpflicht. Alles Dinge, die sich Ihre Partei für Deutschland wünscht.
Die Schweiz ist eines unserer Vorbilder. Auch bei Ihnen aber gibt es die Tendenz, dem Land seine Eigenarten zu nehmen. Noch aber dominiert der gesunde Menschenverstand.

Viele dieser Dinge hat die SVP gegen den Widerstand anderer Parteien durchgebracht. Was macht die SVP besser als die AfD?
Es gibt sie schon viel länger als die AfD. In der Schweiz zählen Schweizer Interessen noch etwas. Auch Deutschland soll wieder ein selbstbewusstes Land werden und sich nicht immer nur auf die schlimme Zeit des Nationalsozialismus reduzieren lassen. Deutschland hat der Weltgemeinschaft vieles gegeben: im Bereich der Musik, der Philosophie, der technischen Entwicklung.

Auch der Ukraine gibt Deutschland viel – etwa moderne Waffen. Sie fordern einen sofortigen Stopp der Waffenlieferungen.
Dieser Krieg muss so schnell wie möglich beendet werden. Und egal, wer jetzt schuld ist an diesem Krieg…

...Moment, das ist klar: Russland hat ohne Grund die Ukraine angegriffen.
Dieser Krieg hat einen langen Anlauf. Die Schuldfrage zu beantworten wird Aufgabe der Historiker sein. Die Aufgabe der Politik, vor allen Dingen der deutschen Politik mit dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts, ist es, als Friedensmacht aufzutreten. Und wer Waffen liefert, der will keinen Frieden, der will den Krieg verlängern.

Putin verlängert den Krieg mit jedem Tag, mit dem er seinen Wahn fortsetzt. Niemand sonst.
Ich weiss, dass westliche Medien Putin zum neuen Hitler aufbauen wollen. Aber man muss erkennen, dass es eine jahrzehntelange Fehlentwicklung im Vorfeld des Krieges gegeben hat. Beispielsweise die Osterweiterung der Nato und die geplante Integration der Ukraine. Putin hat schon vor vielen Jahren gesagt, das sei die rote Linie. Man muss akzeptieren, dass Grossmächte Einflusssphären haben. Die Amerikaner würden nicht anders reagieren.

Die AfD fordert einen Stopp der Sanktionen gegen Russland. Das wäre das Ende für die Ukraine. Sind Sie bereit, ein europäisches Land dem russischen Wahn zu opfern?
Russischer Wahn? Das geht mir zu weit. Ich denke nicht, dass die Ukraine in Gänze in russische Hände fallen würde. Putin hat immer wieder deutlich gemacht, dass er an einer Zusammenarbeit mit Europa interessiert ist. Bei seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag 2001 etwa hat er darauf hingewiesen, dass Deutschland und Russland natürliche Partner in Europa seien: Deutsche Technologie und russische Rohstoffe. Zusammen wären wir unschlagbar.

Das klingt fast so, als wären Sie gar nicht unglücklich über das russische Vorrücken im Osten.
Doch, der Krieg macht mich unglücklich. Nie wieder Krieg, das ist meine feste Überzeugung. Wenn Europa Frieden will, müssen wir uns von den Amerikanern lösen. Die Interessen Amerikas sind nicht die Interessen Europas.

Als Politiker haben Sie in vielen Fällen überspitzt formuliert. Welche Ihrer früheren Aussagen bereuen Sie im Rückblick?
Inhaltlich bereue ich überhaupt nichts. Die AfD ist die letzte evolutionäre Chance für Deutschland. Der Leidensdruck hat dazu geführt, dass ich damals als junger Politiker manchmal das eine oder andere stilistisch so gesagt habe, wie ich es heute nicht mehr sagen würde.

Persönlich: Björn Höcke

Björn Höcke (51) hat Sport und Geschichte studiert, arbeitete als Lehrer an einer Gesamtschule und ist Vater von vier Kindern. 2013 trat er der neu gegründeten AfD bei. Seit 2014 lenkt er die Geschicke der AfD Thüringen, laut Umfragen aktuell die stärkste Partei im ostdeutschen Bundesland.

2015 war er einer der Gründer der rechtsextremen Gruppierung «Der Flügel» innerhalb der AfD. 2020 wurde «Der Flügel» auf Druck der Parteileitung aufgelöst. Bis heute gilt der politische Provokateur als heimlicher Taktgeber der AfD.

Sozialwissenschaftler und Historiker stellen in Höckes Äusserungen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus sowie Ideen und Sprache des Nationalsozialismus fest. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft Höcke als Rechtsextremisten ein und überwacht ihn seit Anfang 2020.

Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD Thüringen.
Martin Jehnichen / Laif

Björn Höcke (51) hat Sport und Geschichte studiert, arbeitete als Lehrer an einer Gesamtschule und ist Vater von vier Kindern. 2013 trat er der neu gegründeten AfD bei. Seit 2014 lenkt er die Geschicke der AfD Thüringen, laut Umfragen aktuell die stärkste Partei im ostdeutschen Bundesland.

2015 war er einer der Gründer der rechtsextremen Gruppierung «Der Flügel» innerhalb der AfD. 2020 wurde «Der Flügel» auf Druck der Parteileitung aufgelöst. Bis heute gilt der politische Provokateur als heimlicher Taktgeber der AfD.

Sozialwissenschaftler und Historiker stellen in Höckes Äusserungen Faschismus, Rassismus, Antisemitismus sowie Ideen und Sprache des Nationalsozialismus fest. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft Höcke als Rechtsextremisten ein und überwacht ihn seit Anfang 2020.

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