Alles zum Brexit
Bricht Grossbritannien nun auseinander? Und 33 weitere Fragen

Jetzt gibt es kein Zurück mehr: Grossbritannien hat gestern der EU die Kündigung überreicht. Genau in zwei Jahren soll das Königreich wieder eigenständig sein. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen zum Brexit.
Publiziert: 30.03.2017 um 23:45 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2021 um 11:28 Uhr
Historisches Bild: Der britische EU-Botschafter Tim Barrow (links) übergibt EU-Ratspräsident Donald Tusk die Kündigung.
Foto: imago/Xinhua
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Guido Felder

1. Warum kehren die Briten der EU den Rücken?

Sie wollen die Kontrolle über ihr Land zurückgewinnen. Viele Briten sind der Ansicht, sie hätten ein grosses Problem, weil Einwanderer Schattengesellschaften aufbauen und den Sozialstaat schröpfen würden. Sie lehnen es ab, sich einer Elite in Brüssel und fremden Richtern unterwerfen zu müssen. Am 23. Juni 2016 wurde der Austritt in einer Abstimmung mit 51,9 Prozent Ja-Stimmen beschlossen.

2. Worüber muss nun verhandelt werden?

Es geht um die zukünftige Zusammenarbeit und die Aufhebung des Vertrags mit der EU. Keine leichte Sache: In den nächsten zwei Jahren muss man rund 21’000 EU-Gesetze in die Hand nehmen, das sind im Schnitt 50 pro Arbeitstag.

3. Wie teuer wird der Brexit?

London rechnet in den kommenden fünf Jahren mit Steuerausfällen von 150 Milliarden Franken. Zudem könnte Brüssel 65 Milliarden für offene Verpflichtungen Grossbritanniens, etwa für Beamtenpensionen oder lang laufende EU-Förderprogramme, in Rechnung stellen.

4. Kann der Brexit noch gestoppt werden?

Nein. Nach dem Antrag auf Austritt nach EU-Artikel 50 muss das Verfahren abgeschlossen werden.

5. Wer muss dem Austrittsabkommen zustimmen?

Das EU-Parlament sowie mindestens 20 der 27 übrigen EU-Regierungen. Die zustimmenden Staaten müssen zudem mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren.

6. Was, wenn man sich in zwei Jahren nicht einigen kann?


Falls man sich auch nicht auf eine Verlängerung der Verhandlungsfrist einigt, erfolgt nach zwei Jahren, also am 29. März 2019, der automatische Brexit.

7. Was bedeutet «harter» Brexit?

Es wäre der vollständige Bruch mit der EU und somit auch das Ende der Personenfreizügigkeit. Ein «weicher» Brexit bedeutet, dass es eine weitere enge Zusammenarbeit sowie viele Kompromisse – ähnlich wie mit Norwegen – geben würde.

8. Müssen Ausland-Briten nach Hause?

Zurzeit leben rund drei Millionen EU-Ausländer auf der Insel. Umgekehrt leben rund eine Million Briten in den andern 27 EU-Staaten. Noch ist offen, ob und wie sie bleiben können. Es könnte einen Kompromiss geben: Bleibe- und Arbeitsrecht für alle.

9. Was sagt Trump zum Brexit?

Er lacht und sagt: «Der Brexit wird sich als grossartige Sache herausstellen.» Er peilt ein gemeinsames Handelsabkommen mit Grossbritannien an.

10. Was sagt die Queen?

Offiziell gar nichts. Laut dem englischen Blatt «The Sun» habe sie sich aber in privatem Umfeld auch schon positiv zum Brexit geäussert und angeblich gesagt: «Die EU bewegt sich in die falsche Richtung.»

11. Bricht Grossbritannien nun auseinander?

Das ist nicht ausgeschlossen. Schottland und Nordirland stimmten gegen den Brexit. Die Schotten haben angekündigt, erneut über die Unabhängigkeit von Grossbritannien abzustimmen. Nordirland will nicht akzeptieren, dass es von der benachbarten, zur EU gehörenden Republik Irland abgeschnitten wird.

12. Ist Grossbritannien das erste Land, das die EU verlässt?

Nein. 1982 ist schon Grönland ausgetreten. Aber der Staat war kein Vollmitglied, sondern ist ein Überseeterritorium Dänemarks.

13. Werden die britischen EU-Abgeordneten arbeitslos?

Da die 73 Volksvertreter zwar von ihren britischen Wählern entsendet wurden, ihr Mandat aber im Namen aller EU-Bürger ausüben, behalten sie wohl bis zur nächsten Europawahl 2019 ihren Sitz in der europäischen Volkskammer.

14. Wer führt die Austrittsverhandlungen?

Die EU-Kommission hat den Franzosen Michel Barnier zum Brexit-Beauftragten ernannt. Er will noch dieses Jahr Antworten auf Fragen zum Status der Grenze zu Nordirland, dem Umgang mit den EU-Bürgern in Grossbritannien und zu offenen Rechnungen.

15. Könnten die Briten wieder eintreten?

Ein Wiedereintritt ist möglich, aber kompliziert. Grossbritannien würde behandelt wie Kandidaten, die zum ersten Mal in die EU eintreten wollen. Alle EU-Staaten müssten dafür stimmen. Zudem müsste Grossbritannien hintanstehen – hinter Serbien, Montenegro, Bosnien und der Türkei.

16. Was passiert mit Gibraltar?

In Gibraltar haben 96 Prozent gegen den Brexit gestimmt. Es gibt Forderungen, den kleinen Felsenstaat von Grossbritannien loszulösen und an Spanien anzugliedern.

17. Bekommen die Briten einen neuen Pass?

Der EU-Pass bleibt weiterhin gültig. Er wird erst nach Ablauf ersetzt.

18. Was sind die Folgen für Deutschland?

Unsere Nachbarn sind die grössten Verlierer, da Grossbritannien ein sehr grosser Markt für deutsche Exportprodukte ist. Um die fehlenden EU-Zahlungen aus London auszugleichen, wird Berlin zudem in Brüssel noch mehr Geld abliefern müssen.

19. Dürfen die Briten noch Euro Millions spielen?

Ja, dafür muss man kein EU-Bürger sein. Die Schweizer spielen ja auch fleissig mit.

20. Werden ausländische Profi-Fussballer ausgeschafft?

Wohl kaum, aber sie verlieren das automatische Recht auf Arbeit. Bereits fordern Sportler Lohnerhöhungen, weil das Pfund schwächer geworden ist und sie auf dem internationalen Markt an Wert eingebüsst haben.

21. Wie gehts den Briten seit der Abstimmung?

Brexit-Gegner hatten die Hölle prognostiziert. Doch eher das Gegenteil traf ein: 2016 schloss mit einem Wirtschaftswachstum ab, die Arbeitslosigkeit sank auf 4,8 Prozent – so tief wie seit elf Jahren nicht mehr.

22. Welche britischen Promis waren für den Austritt?

Den Brexit unterstützt haben Oscar-Preisträger Michael Caine (84), The-Who-Sänger Roger Daltrey (73), Model Liz Hurley (51) und Ex-Spice-Girl Victoria Beckham (42).

23. Bleibt Englisch EU-Sprache?

Ja. Mit Malta und Irland gibt es immer noch zwei englischsprachige Länder.

24. Was passiert mit dem Finanzplatz London?

Viele Unternehmen haben angekündigt, nach alternativen Standorten in der EU zu suchen. Es könnten Tausende Arbeitsplätze in Finanzzentren wie Frankfurt (D) oder Paris verlagert werden.

25. Wo wird der Brexit verhandelt?

Die Austrittsverhandlungen sollen in Brüssel stattfinden. Die britische Labor-Abgeordnete und ehemalige Sportministerin Kate Hoey (70) fordert aber, die Verhandlungen vom «feindlichen» Brüssel in die neutrale Schweiz zu verlegen. Hoey: «Die Schweiz ist ein sehr effizienter Veranstaltungsort für hochrangige Treffen und Verhandlungen.» Laut EDA ist aber (noch) keine Anfrage eingegangen.

26. Was sind die Auswirkungen auf die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz?

Die Schweiz wird bei der EU in den kommenden Monaten wohl hintanstehen müssen. Der Wirtschaftsverband Economiesuisse glaubt, dass es noch schwieriger wird, eine einvernehmliche Lösung zur Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative zu finden.

27. Was verändert sich politisch für die Schweiz?

«Vorderhand nichts», sagt Bundespräsidentin Doris Leuthard. Man werde aber ein Freihandelsabkommen anpeilen. Weil die Briten bis zum Austritt nicht verhandeln dürften, werde zurzeit sondiert.

28. Was sind die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Schweiz?

Klaus W. Wellershoff vom Wirtschaftsberatungsunternehmen Wellershoff & Partners in Zürich: «Da der Franken gegenüber dem geschwächten Pfund noch stärker geworden ist, wird der Export nach Grossbritannien schwieriger.»

29. Was erwartet die Schweizer Bürger in Grossbritannien?

Bisher gibt es wie für EU-Bürger auch für Schweizer noch keine Aufenthaltsgarantie. Politexperte Christian Frommelt vom Liechtenstein-Institut: «Bereit jetzt zeichnet sich aber ab, dass einiges an Bürokratie auf die betroffenen Personen zukommen wird.»

30. Wird Grossbritannien der Efta beitreten?

Laut Frommelt scheint es zurzeit so, dass das Vereinigte Königreich keine multilaterale Option anstrebt.

31. Ist der Brexit der Anfang vom Ende der EU?

Nein, aber er könnte einen Reformprozess auslösen. Es gibt bereits verschiedene Optionen. «Persönlich erwarte ich aber keine spektakulären Änderungen», sagt Frommelt.

32. Soll man ins schwache Pfund investieren?

Laut Klaus W. Wellershoff ist das Pfund zurzeit rund 20 Prozent zu billig. Der Analyst erwartet, dass die britische Währung in den kommenden zwei Jahren wieder zulegen wird. Investieren würde sich also lohnen.

33. Werden Unternehmen in die Schweiz ziehen?

Dafür gibt es laut Wellershoff keine Anzeichen. Wer aus Grossbritannien wegzieht, tut es wegen des EU-Austritts. Also suchen jene Firmen neue Standorte innerhalb der EU und nicht in der Schweiz.

34. Soll ich Ferien auf der Insel buchen?

Ja! Lasst uns gemeinsam über die EU lästern! Der starke Franken und das schwache Pfund kommen uns entgegen. Bei TUI ist London nach wir vor eine Trenddestination. Noch konnte TUI aber keine Veränderung des Buchungsverhaltens wegen des Brexit feststellen.

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