Analyse zur Migration aus dem Maghreb
Schweizer Millionen für Tunesien sind verschwendetes Geld

Bundesrat Beat Jans besucht Tunesien und lobt die Migrationszusammenarbeit mit dem Maghreb-Staat. Doch: Ändert die Schweiz ihre Strategie im nordafrikanischen Land nicht, dürften bald noch mehr Tunesier nach Europa fliehen. Eine Analyse.
Publiziert: 26.05.2024 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2024 um 18:09 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Bundesrat Beat Jans (59) hat sich diese Woche in den grössten Migrationshotspot Afrikas gewagt: nach Tunesien. Fast zwei Drittel aller Flüchtlingsboote aus Afrika legten im vergangenen Jahr von der Küste des Maghreb-Staates ab. Gleichzeitig flieht eine rekordhohe Anzahl von tunesischen Staatsbürgern vor ihrem zunehmend autoritären Regime übers Mittelmeer. 17'972 Tunesier reisten 2023 illegal nach Italien ein. Nur aus Guinea kamen noch mehr Migranten nach Europa. In den Schweizer Kriminalstatistiken fallen die Tunesier negativ auf.

Justizminister Jans weiss das. Vor Ort hat er sich mit Vertretern verschiedener Ministerien getroffen und über Migration gesprochen. Die Schweiz will diese unter anderem mit Bildungs- und Wirtschaftsförderungsmassnahmen in Tunesien eindämmen. Das könnte schiefgehen.

101 Millionen Franken für die «demokratischen Strukturen»

101 Millionen Franken kosteten die tunesischen Projekte die Eidgenossenschaft in den vergangenen vier Jahren. Tunesien bleibt auch in der Schweizer Strategie für Internationale Zusammenarbeit 2025 bis 2028 ein Schwerpunktland. Es werden wieder Millionen fliessen, um die Wirtschaft zu fördern und – so steht es in der aktuellen Strategie für den «Mittleren Osten und Nordafrika» – die «demokratischen Strukturen zu stärken». Die Schweiz will mit dem Geld den «Erfolg des demokratischen Übergangs langfristig sichern».

Justizminister Beat Jans hat Tunesien diese Woche besucht, um mit seinen Amtskollegen über Migration zu sprechen.
Foto: keystone-sda.ch
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Für Tunesier, die in ihrer Heimat unter dem korrupten Regime von Kais Saied leiden, tönt das hämisch. Im Juli 2021 rief Saied auf der Höhe der Covid-Pandemie den Notstand aus, löste das Parlament auf, entliess unliebsame Richter und setzte sich selbst als oberste Kontrollinstanz ein über die tunesische Justiz. Die einzige Institution, die seinen Klammergriff nach der Macht wieder lösen könnte, war das Verfassungsgericht. Und das setzte er ausser Kraft.

Von der hoffnungsvollen Stimmung, die das Land nach dem Arabischen Frühling 2011 ergriffen hatte, ist Tunesien wieder meilenweit entfernt. Knapp 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, steigende Korruption, wiederkehrende Knappheit an Grundnahrungsmitteln und ein Tourismus, der nach mehreren Terroranschlägen in den vergangenen Jahren nur noch ein Schatten seiner selbst ist: Tunesien steckt tief in der Krise.

Tunesier machen keinen Gebrauch von Schweizer Angebot

Schweizer Entwicklungsmillionen könnten hier tatsächlich viel bewirken. Nicht aber, wenn sie für fahrige Demokratisierungsprojekte im tunesischen Machtapparat versickern. Blick hätte von der tunesischen Botschaft in der Schweiz gerne gewusst, wie die Demokratisierungsmillionen in Tunesien genau eingesetzt worden sind und welchen Effekt sie hatten. Leider blieb die Botschaft eine Antwort schuldig.

Was laut Jans offenbar gut funktioniert, ist das seit 2012 bestehende Migrationsabkommen mit Tunesien. Der Maghreb-Staat nimmt in der Schweiz abgewiesene Asylbewerber auf. Im Gegenzug stellt die Schweiz jungen Tunesiern jährlich bis zu 150 Visa für Ausbildungsaufenthalte aus. Schade nur, dass seit der Lancierung des Programms im Schnitt gerade mal 19 Tunesier pro Jahr von der Ausbildungschance Gebrauch gemacht haben. 23 Mal so viele Tunesier stellten 2023 einen Asylantrag.

Ziel der Schweizer Entwicklungshilfe in Tunesien muss sein, dieses Verhältnis umzukehren: weniger aussichtslose Asylbewerber, mehr wissbegierige Nachwuchstalente. Gelingt das nicht, ist das helvetische Engagement nichts als ein weiteres nutzloses Opfer auf dem Altar des autoritären tunesischen Regimes. 

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