Arzt macht Entdeckung im Blut der Patienten
Mysteriöse Nervenkrankheit in Kanada lässt Mediziner rätseln

Experten stehen vor einem Rätsel: In Kanada leiden Dutzende Patienten an mysteriösen neurologischen Erkrankungen. Die Ursache ist unklar. Doch jetzt gibt es einen Verdacht.
Publiziert: 21.08.2024 um 17:44 Uhr
New Brunswick ist eine ländliche Region in Osten Kanadas.
Foto: Google maps
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Gliederschmerzen, Gleichgewichtsstörungen, Muskelzuckungen, Sehstörungen bis hin zu Halluzinationen: Etwas Seltsames geschieht in New Brunswick, einer Provinz in Kanada. Seit Jahren erkranken plötzlich junge, gesunde Menschen an einer mysteriösen Nervenkrankheit. Der Körper baut ab. Einige Patienten sind bereits gestorben. Und Experten versuchen mit Hochdruck, herauszufinden, was dahintersteckt.

Um die Krankheit untersuchen zu können, wurde bereits im Frühjahr 2021 ein sogenanntes Cluster ausgerufen, eine räumliche und zeitliche Häufung von ungewöhnlichen Erkrankungsfällen. Der Name: «New Brunswick Cluster of Neurological Syndrome of Unknown Cause». 

Bundesexperten wurden ausgeschlossen

Doch noch immer ist unklar, was hinter der mysteriösen Krankheitswelle steckt. Inzwischen ist aus dem medizinischen Rätsel eine Kontroverse geworden. Es steht die Frage im Raum, ob Umweltfaktoren eine Rolle spielen könnten, wie die «New York Times» berichtet.

Die Patienten leben in zwei Regionen New Brunswicks. Es gibt Haushalte mit mehreren nicht-verwandten Betroffenen. Doch als Pläne für grossangelegte Umwelttests Form annahmen, zog sich die Provinzregierung plötzlich zurück. Bundesexperten wurden ausgeschlossen, der Neurologe Alier Marrero, der bis dahin federführend bei der Aufklärung war, wurde angewiesen, keine neuen Fälle mehr zu melden.

Auffällige Bluttests, aber keine Erklärung

Stattdessen verkündete die Provinz, das Cluster existiere gar nicht. Autopsien hätten gezeigt, dass die Patienten an bekannten Krankheiten wie Krebs, Demenz und Alzheimer gestorben seien. Doch viele Experten zweifeln diese Interpretation an. Sie glauben, dass wirtschaftliche Interessen – Forstwirtschaft, Tourismus, Fischerei – eine Rolle spielen. Wenn die Umwelt als Auslöser entlarvt würde, könnte das katastrophale Folgen haben.

Marrero betreut inzwischen über 430 unerklärliche Patienten, 111 davon sind unter 45 Jahre alt. 39 sind gestorben. Bluttests zeigten extrem hohe Pestizid-Werte, vor allem des Herbizids Glyphosat. Doch ohne Vergleichsgruppe lässt sich daraus wenig ableiten.

Jüngste Studien haben gezeigt, dass Glyphosat die Blut-Hirn-Schranke passiert und zu neurologischen Entzündungen führen kann, die Alzheimer auslösen können. «Ich schliesse nicht daraus, dass dies die Ursache für das ist, was passiert», so Neurologe Marrero zur «New York Times». «Aber es ist etwas, das mir sagt, dass mit der Umwelt, in der sie leben, etwas nicht stimmt.»

Angst vor wirtschaftlichem Schaden

Marrero glaubt, dass die Provinz kalte Füsse bekam, als ein konkreter Plan zur Untersuchung von Luft, Boden und Wasser in New Brunswick Gestalt annahm. Forstwirtschaft, Tourismus und Meeresfrüchte gehören zu den wichtigsten – und profitabelsten – Branchen der Region, die alle auf eine gesunde Umwelt angewiesen sind. Wenn Tests ergeben würden, dass die Umwelt in New Brunswick beeinträchtigt ist, könnte dies eine Katastrophe für die Wirtschaft der Provinz bedeuten. Die Folge: Die mysteriöse Nervenkrankheit sollte offenbar vertuscht werden. 

Der Neurologe ist enttäuscht und fürchtet, dass so etwas wie in New Brunswick wieder passieren kann. Es ist eine Sorge, die Marrero nachts wach hält. «Es bedarf einer gemeinsamen Anstrengung. Nicht nur für die Menschen hier in New Brunswick, sondern weil die Ursache auch woanders passieren könnte.» Er hat bereits Überweisungen aus einem halben Dutzend anderer kanadischer Provinzen erhalten.

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