Autoritärer Präsident Vucic hat ernste Konkurrenz
6 Dinge, die du über die Wahlen in Serbien vom Sonntag wissen musst

Am Sonntag wählt Serbien ein neues Parlament. Die Chancen stehen so gut wie lange nicht mehr, den autoritär regierenden Präsidenten Aleksandar Vucic zu stürzen. Wir sagen, ob es die Opposition schafft und auch, ob Wladimir Putin seine Finger im Spiel haben wird.
Publiziert: 15.12.2023 um 13:03 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2023 um 16:24 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Am Sonntag wählen die Serben ihr neues Parlament. Die Stimmberechtigten haben dann die Chance, sich vom autoritär regierenden, Russland-freundlichen Präsidenten Aleksandar Vucic (53) loszusagen. Die grössten Herausforderer sind die Mitglieder der geeinten Opposition «Serbien gegen Gewalt».

Haben sie eine Chance? Gäbe es endlich Frieden mit dem Kosovo? Käme es gar zu Krawallen? Oder bleibt doch alles beim Alten? Wir zeigen dir, was du über die Wahlen wissen musst.

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Warum wollte Vucic vorzeitig Neuwahlen ausrufen?

Ausgelöst von zwei Amokläufen im Mai mit 18 Toten kam es zu massiven Protesten, bei denen Zehntausende Menschen auf die Strasse gingen. Sie warfen Vucic vor, ein Klima des Hasses und der Gewaltverherrlichung zu schüren und forderten seinen Rücktritt.

Zwei verstehen sich: der russische Präsident Wladimir Putin (l.) und der serbische Präsident Aleksandar Vucic im Kreml.
Foto: Getty Images
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Eine Rolle spielt auch der Konflikt mit dem Kosovo, wo im September Serben einen Polizisten töteten. Die EU macht auf beide Länder Druck, dass sie – wenn sie in die Union aufgenommen werden wollen – ihre Beziehung verbessern müssen.

Wegen des öffentlichen Drucks hat Vucic im Herbst das Parlament aufgelöst und auf den 17. Dezember Neuwahlen anberaumt – so kurzfristig, damit der Opposition kaum Zeit bleibt, sich zu formieren. Gleichzeitig finden Kommunalwahlen in 65 Gemeinden statt, darunter Belgrad. Das gegenwärtige Parlament ist erst seit April 2022 im Amt.

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Wer gewinnt die Wahlen?

18 Wahlbündnisse buhlen um die Gunst der Wählerinnen und Wähler. Ein Sieg von Vucics Fortschrittspartei SNS gilt als wahrscheinlich. Umfragen geben ihr knapp 40 Prozent. Mit 25 Prozent folgt die geeinte Opposition, die als «Serbien gegen Gewalt» antritt. Es ist das erste Mal, dass sich ein so breites Bündnis zur Wahl stellt und so gute Umfragewerte erzielt. Da Vucic die Medien kontrolliert, bekommt die Opposition aber massiv weniger Auftritte.

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Kommt es bei einer Vucic-Niederlage zu Krawallen?

«Kurzfristig könnte es zu heiklen Momenten wie Demonstrationen verschiedenster Richtungen und zu Polizeigewalt kommen», meint Konrad Clewing (56) vom Leibnitz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung. Dann wäre es möglich, dass der Kreml-nahe Geheimdienst auf Hilfe aus Moskau zurückgreifen würde.

Der Schweizer Balkan-Experte Daniel Bochsler (45) von der Central European University in Wien verweist auf Mazedonien und Montenegro: «Da gab es viele Diskussionen und Drohungen, als sich ein Machtwechsel abzeichnete. Aber die Lage eskalierte nicht weiter.»

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Welches sind die Wahlthemen?

Die Wirtschaftsentwicklung, die Beziehung zum Kosovo, die Demokratisierung sowie die grassierende Gewalt. Gewalt wird sogar in TV-Unterhaltungsprogrammen verherrlicht, wo Männer Möbel zerstören und Frauen bedrohen und wo ein Verurteilter Tipps gibt, wie man im Gefängnis jemanden umbringt, ohne Spuren zu hinterlassen.

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Was bedeutet der Wahlausgang für den Kosovo?

Wenn die Opposition Vucic schlägt, wäre das noch kein eigentlicher Kurswechsel. «Ein Teil der Opposition sind Nationalisten», sagt Bochsler. Allerdings würde ein Wahlsieg der Opposition das derzeitige Netzwerk zwischen kriminellen Gruppen und Paramilitärs, die den Nordkosovo kontrollieren, dem serbischen Geheimdienst und der serbischen Regierung zerschlagen. Bochsler: «Damit würde der Weg freigemacht für einen Einbezug der Vertreter der serbischen Bevölkerung des Kosovos, die eher an einer Lösung interessiert zu sein scheinen als die Regierung in Belgrad.»

Und wenn Vucic wieder gewinnt? Auch dann gibt es eine kleine Hoffnung. Clewing: «Weil dann der Wahlkampf vorüber ist und Vucic keinen Druck mehr hat, darf man hoffen, dass er seine Aggressivität gegenüber dem Kosovo etwas zurückfahren wird.»

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Wie stark greift Putin in die Wahlen ein?

Dass der Kreml direkt die Wahlen beeinflusst, glauben die Experten nicht. Clewing: «Der Kreml ist mit dem aussenpolitischen Kurs von Vucic zufrieden. Und man kann ja davon ausgehen, dass er die Wahlen gewinnen wird.» Es heisse zwar, dass die Medien vom Kreml beeinflusst würden, «doch diese werden hauptsächlich von Vucic selber manipuliert».

Laut Bochsler ist die politische Vision, die viele Serbinnen und Serben mit der russischen Führung verbinden, viel massgebender als die Kampagnenunterstützung. Bochsler: «Mit dieser Vision meine ich eine Alternative zu Europa und die Idee, dass Russland die Ukraine unterwerfen und anschliessend den Serben helfen wird, Kosovo zurückzugewinnen und Bosnien und Herzegowina als Land zu zerschlagen.» Präsident Vucic habe genau auf dieses Thema vor einigen Tagen in einem viel beachteten Fernsehauftritt angespielt.

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