Bei den Clubs ist die Schweiz am laschesten
Corona-Regeln im Europa-Vergleich

Nach steigenden Corona-Zahlen ändert der Bundesrat den Kurs. Wie sieht es im Rest Europas aus? BLICK macht den Vergleich.
Publiziert: 02.07.2020 um 15:39 Uhr
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Aktualisiert: 16.11.2020 um 16:23 Uhr
Fabienne Kinzelmann

In Europa ist die Schweiz eine Insel. Nirgends sind die Corona-Massnahmen lascher – ausser in Weissrussland, wo Präsident Lukaschenko gegen das Virus Wodka empfahl.

Nach steigenden Fallzahlen muss die Schweiz über die Bücher. Am Mittwoch verkündete der Bundesrat neue Corona-Massnahmen. Wie streng ist die Schweiz europaweit im Vergleich? BLICK macht den Check.

Quarantäne: Am strengsten ist Irland

14 Tage für alle, sieben Tage für manche – oder gar keine. Die Quarantäne-Regeln innerhalb der EU waren von Anfang an ein einziges Chaos. Das hat sich auch mit dem «Schengen-Comeback» ab dem 15. Juni kaum geändert. Noch immer kocht jedes Land sein eigenes Süppchen, zeigt eine Liste von «Politico».

Fiebermessen müssen in der Schweiz bislang nur Reisende aus Schweden.
Foto: AFP
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Reisende aus den Corona-Hotspots Schweden und Grossbritannien, aber auch aus Portugal müssen etwa in Österreich, Tschechien und Bulgarien in eine bis zu 14-tägige Quarantäne. Auch Frankreich schickt Reisende aus Grossbritannien für 14 Tage in Quarantäne.

In Grossbritannien gab es nie geschlossene Grenzen – und entsprechend auch keine Einreisebeschränkungen. Auf grossen Druck hin besserte die Regierung im Juni nach: Nun müssen sich alle Einreisende mit wenigen Ausnahmen für 14 Tage selbst isolieren. Londons grösster Flughafen Heathrow misst die Temperatur an manchen Terminals.

Estland und Lettland knüpfen die Quarantäne-Regeln an die Infektionszahlen im Herkunftsland: Als Grenze gelten mehr als 15 Infektionen auf 100'000 Einwohner über einen Zeitraum von 14 Tagen. In der Slowakei müssen alle in Quarantäne – ausser, sie haben einen negativen Corona-Test. Island stellt Einreisende vor die Wahl: zwei Wochen Quarantäne oder ein Corona-Test – im Ausland durchgeführte Tests werden allerdings nicht akzeptiert. Reisende nach Zypern müssen einen negativen Corona-Test vorlegen oder nach Ankunft einen Test machen und sich in ihrer Unterkunft selbst isolieren, bis die Ergebnisse vorliegen. Griechenland testet alle Reisenden aus besonders betroffenen Ländern wie Italien, Spanien, die Niederlande und Schweden. Norwegen bittet alle (bis auf die nordischen Nachbarn) für zehn Tage in Quarantäne. Das gilt auch für Corona-Hotspot Schweden.

Keine Quarantäne-Pflicht gibt es etwa in Belgien, Kroatien, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Polen und Schweden.

Am striktesten ist Irland: Wer einreist, muss sich in der Regel für 14 Tage selbst isolieren. Ansonsten droht eine Strafe über 2500 Euro oder bis zu sechs Monate Gefängnis. Eine der wenigen Ausnahmen gelten für die Nordiren.

In der Schweiz mussten sich bislang nur Reisende aus Schweden einem «Entry-Check» mit Fiebermessen unterziehen. Ab Montag müssen Einreisende aus Risikogebieten für zehn Tage in Quarantäne. Welche Länder draufstehen, will der Bundesrat heute Donnerstag beschliessen.

Fazit: Gemässigt

Maske: Selbst Serben müssen sie schon tragen

Maske – ja oder nein? Wochenlang stritt die Schweiz. Dabei ist der Mund-Nasen-Schutz in fast allen europäischen Ländern zumindest teilweise Pflicht.

Selbst die serbische Regierung, die den Lockdown früh komplett aufhob, ist mittlerweile vom Nutzen überzeugt: Seit dem 26. Juni gilt Maskenpflicht im ÖV. Und auch Schwedens Chef-Epidemiologe Anders Tegnell, der Masken stets abgelehnt hatte, hält es nun für «möglich», den Schweden das Tragen nachdrücklich zu empfehlen.

Österreich preschte voran: Dort wurde die Tragepflicht in praktisch allen Bereichen des öffentlichen Lebens schon Anfang April eingeführt. Noch immer gilt sie im öffentlichen Verkehr, in Apotheken oder beim Coiffeur. Bei Verstoss drohen 25 Euro Busse.

Teurer wirds in Frankreich. Hier drohen Bussen über 130 Euro, wer sich im ÖV ohne Maske erwischen lässt. Im Supermarkt gibts keine Pflicht. In Italien besteht die Maskenpflicht in der besonders hart betroffenen Lombardei überall im öffentlichen Bereich. Ansonsten unterscheiden sich die Regeln regional.

In Deutschland unterscheiden sich die Regeln je nach Bundesland. Im Nahverkehr und beim Einkaufen gilt der Zwang zur Maske aber überall – in der Regel reicht aber ein einfacher Schal. Als Vorbild gilt Jena: Als der Rest Deutschlands noch zögerte, verordnete die ostdeutsche Stadt den Mund-Nasen-Schutz. Eine Studie der Uni Mainz zeigte: Durch die radikale Massnahme senkte Jena die Zahl der Neuinfektionen praktisch auf Null.

Eines der wenigen europäischen Länder ohne Maskenpflicht ist Dänemark. Die dänische Regierung befürchtet, dass die Bürger sonst die Abstandsregeln vernachlässigen.

Bislang galt die Maskenpflicht nur etwa beim Coiffeur, ab Montag muss man auch im ÖV einen Mund-Nasen-Schutz tragen. «Wir haben festgestellt, dass wir eine Ausnahme darstellen», erklärte Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch die Kehrtwende. Jetzt greift der Bundesrat durch: Es muss ein richtiger Mundschutz sein – ein einfacher Schal tuts nicht.

Fazit: Aufholer

Clubs: Niemand ist lascher als die Schweiz

In fast allen europäischen Ländern gelten restriktive Versammlungsverbote. Selbst in Schweden, das keinen vollständigen Lockdown hatte, sind Versammlungen mit mehr als 50 Personen noch verboten.

Besonderen Respekt haben die Behörden europaweit vor dem Nachtleben. Schliesslich kämpfte auch Südkorea, das die Corona-Krise gut im Griff hatte, durch nur einen infizierten Clubbesucher wieder mit der Pandemie. Und in der Schweiz steigen die Fälle aktuell vor allem dank Party-Rückkehrern vom Balkan, wo die serbische Regierung den Lockdown früh vollständig gelockert hat.

Eine Recherche des «Tagesanzeiger» zeigt: Nirgends sind die Corona-Regeln lascher als in Schweizer Clubs. Kontaktangaben sind fast überall Pflicht. Die meisten Länder tasten sich in Sachen Gästezahl vorsichtig voran: In Deutschland etwa gibt es in den meisten Städten ein Stufenkonzept, mehr als 150 Gäste sind aktuell nirgends erlaubt. Selbst in England öffnen die traditionsreichen Pubs erst im Juli wieder – wenn sie ein strenges Schutzkonzept vorlegen können. In Bayern wie in Spanien bleibt das Tanzen gleich ganz verboten.

Interessante Konzepte kommen von ausserhalb Europas: China etwa setzt auf radikales Contact-Tracing und Fiebermessen am Club-Eingang. Wer feiern will, muss sich vorher die offizielle Corona-App der Regierung installieren.

Die Regelung bleibt weiterhin den Kantonen überlassen. Selbst der Zürcher «Flamingo» darf nach dem Superspreader-Desaster weiterhin geöffnet bleiben. Im Kanton Zürich gilt künftig aber eine ID-Pflicht, um falsche Kontaktangaben zu vermeiden. Vom Bundesrat aus sind Veranstaltungen mit bis zu 1000 Personen erlaubt.

Status: Risikobereit

Abstandsregeln: Ganz streng klappts eh nicht

Wie weit, wie schnell kann sich das Virus verbreiten? Die schwierige Antwort: Es kommt darauf an. Zum Beispiel, wie ansteckend eine infizierte Person generell ist, ob man sich mit ihr in einem geschlossenen Raum aufhält und wie lange man ihr nahe ist.

Die Wissenschaft ist sich grundsätzlich einig, dass Abstandhalten und konsequente Händehygiene das beste Mittel gegen die Pandemie sind. Weil dazu anfangs aber zuverlässige Daten fehlten, waren die Abstandsregeln nicht einheitlich. In der Regel betrugen sie 1,5 (etwa in Deutschland) oder 2 Meter (Grossbritannien).

Die Abstandsregeln sind aber auch jetzt weniger wissenschaftlicher, als eher politischer Natur: Vorgegeben wird, was als machbar gilt. Die Europäische Kommission empfiehlt, auch im ÖV mindestens einen Meter Sicherheitsabstand zu anderen zu halten. Selbst das dürfte zu Stosszeiten schwierig werden.

Die Schweiz ging auf Nummer sicher und hatte mit 2 Metern lange eine der strengsten Abstandsregeln. Seit dem 22. Juni beträgt der empfohlene Abstand nur noch 1,50 Meter.

Status: Gemässigt

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