Bekannte Exil-Iranerin fordert ein Kopftuchverbot
«Das Kopftuch ist eine Menschenrechtsverletzung»

Mina Ahadi (64) zwang das iranische Regime zum Stopp von Steinigungen und ist ein beliebter Gast in deutschen Polit-Sendungen. Im Interview erzählt die Exil-Iranerin von ihrer schwierigen Flucht, dem Mord an ihren Liebsten und warum sie die Burka-Initiative befürwortet.
Publiziert: 14.03.2020 um 18:57 Uhr
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Aktualisiert: 15.03.2021 um 13:48 Uhr
Die Iranerin Mina Ahadi (64) musste nach der Machtergreifung der Mullahs von 1979 ins Exil flüchten.
Foto: David Klammer/laif
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Interview: Rebecca Wyss

Schon als junge Frau brachte Mina Ahadi die Mullahs gegen sich auf. Sie demonstrierte lauthals gegen den von ihnen verordneten Kopftuchzwang und musste 1981 ins Ausland flüchten. Morddrohungen bekommt sie auch heute im Kölner Exil. Trotzdem kämpft sie weiter gegen den Islamismus, für die Rechte der Frauen und für all jene, die ihre Nummer wählen. Und wirkt dabei heiter, sie lächelt, wenn sie auf die «Idioten», die Mullahs, schimpft. So auch im Kölner Café, wo wir uns treffen. Einige Male prüft sie ihr Handy, weil sie einen Anruf von «Ärzte ohne Grenzen» erwartet. Sie will die Hilfsorganisation dazu bringen, im Iran aktiv zu werden. «Das Regime ist unfähig, die Corona-Krise zu meistern», sagt sie.

Frau Ahadi, stehen Sie immer noch unter Personenschutz?
Mina Ahadi: Nein, seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Es war mir zu kompliziert. Ich musste ständig melden, mit wem ich wohin gehe. Ich konnte keinen Schritt machen, kein Interview geben, ohne dass nicht sechs Bodyguards um mich herum waren.

Sind Sie nicht mehr in Gefahr?
Ich bekomme immer noch Morddrohungen. Manchmal sind es E-Mails oder Zettel in meinem Briefkasten, dass sie mich kriegen werden. Vor drei Tagen hat mich einer angerufen und mir gedroht. Das sind alles einzelne Idioten. Gefährlicher ist das iranische Regime.

Gefährlicher?
Die iranische Geheimpolizei hat eine Liste mit Oppositionellen im Ausland, die sie loswerden wollen. Ich stehe für Deutschland darauf. Das weiss ich von einem meiner Kontakte. In den letzten Jahren ermordeten sie zwei Exil-Iraner in Holland. Anschläge in Dänemark und Frankreich konnten verhindert werden.

Wie schützen Sie sich?
Ich würde nie einen Iraner zu mir nach Hause bringen, egal, ob ich ihn kenne. Du kannst niemandem trauen. Wenn ich hier mit Ihnen in diesem Café sitze, gucke ich, wer sich alles um mich herum bewegt.

Sie haben Angst.
Nein, ich bin vorsichtig, aber nicht panisch. Wir Oppositionellen sind gut vernetzt, stützen uns gegenseitig, das nimmt mir die Furcht.

Die iranische Aktivistin

Mina Ahadi (64) verlor als Vierjährige ihren Vater. Der Grossvater wurde zur wichtigsten männlichen Bezugsperson. Er lebte als Atheist in der iranischen Hauptstadt Teheran. Mit 14 Jahren sagte sich auch sie vom Islam los. 1980 tötete das neue iranische Regime ihren Ehemann, ein Jahr später floh sie ins Ausland. 1985 heiratete sie erneut. In den Neunzigern ging sie nach Europa ins Exil und bekam zwei Töchter. Heute lebt sie in Köln und präsidiert den Zentralrat der Ex-Muslime, der Aussteigerinnen und Aussteiger unterstützt. Und ab 21. März wird sie im Beirat von secular-refugees.ch sitzen. Das Hilfsprojekt der Schweizer Freidenker-Vereinigung richtet sich an atheistische Flüchtlinge, die deswegen bedrängt werden.

Mina Ahadi (64) verlor als Vierjährige ihren Vater. Der Grossvater wurde zur wichtigsten männlichen Bezugsperson. Er lebte als Atheist in der iranischen Hauptstadt Teheran. Mit 14 Jahren sagte sich auch sie vom Islam los. 1980 tötete das neue iranische Regime ihren Ehemann, ein Jahr später floh sie ins Ausland. 1985 heiratete sie erneut. In den Neunzigern ging sie nach Europa ins Exil und bekam zwei Töchter. Heute lebt sie in Köln und präsidiert den Zentralrat der Ex-Muslime, der Aussteigerinnen und Aussteiger unterstützt. Und ab 21. März wird sie im Beirat von secular-refugees.ch sitzen. Das Hilfsprojekt der Schweizer Freidenker-Vereinigung richtet sich an atheistische Flüchtlinge, die deswegen bedrängt werden.

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Alles fing damit an, dass Sie während des Regimewechsels 1979 gegen den Kopftuchzwang kämpften. Sie waren 23 Jahre alt – waren Sie naiv?
Ich war nicht naiv, ich war Mensch. Wenn ich nichts getan hätte, müsste ich heute in einem Land leben, in dem ich als Frau nicht frei sein könnte. Vor dem Regimewechsel trug ich Minirock und ging mit Männern einen Kaffee trinken. Danach zwangen die Mullahs die Frauen unters Kopftuch, liessen sie nicht mehr reisen oder arbeiten ohne die Erlaubnis des Ehemannes. Meine Schwester war wie ich damals Medizinstudentin. Sie ist aber geblieben und ist heute eine erfolgreiche Ärztin. Aber sie hat viel gelitten!

Warum?
Seit zwölf Jahren will sie sich scheiden lassen. Aber die Richter erlauben das nicht. Weil der Ehemann zeugungsunfähig sein müsste. Erloschene Liebe ist kein Scheidungsgrund im Iran.

Sie haben für Ihre Freiheit teuer bezahlt.
Sehr, ja. Ich habe meinen Mann verloren.

Wie?
Wir waren beide im Widerstand aktiv. Als ich einmal nach Hause kam, sah ich Männer mit Gewehren. Ich konnte gerade noch fliehen, aber meinen Mann und unsere Freunde, die bei ihm waren, nahmen sie mit. Die Männer wurden erhängt, die Frauen liessen sie gehen. Aus der Zeitung habe ich vom Mord an meinem Mann erfahren. Sie suchten auch mich, deshalb musste ich in den Untergrund gehen.

In den Jahren nach der Machtergreifung tötete das Regime Zehntausende Oppositionelle. Wie haben Sie überlebt?
Ich trug Kopftuch. Die Polizei prügelte auf jede Frau ein, die keines trug. Ich lebte ständig in Angst. Nach fast einem Jahr wollte ich mir das Leben nehmen. Stattdessen floh ich nach Kurdistan in ein Lager mit Partisanen im Grenzgebiet zum Irak.

Ihre Rettung.
Nein! Iran und Irak bombardierten uns ständig. Am schlimmsten war der Giftgasangriff von Saddam. Ich stand unter der Dusche, da hörte ich plötzlich, wie ein Flugzeug steil nach unten zieht. Wir hatten schon gelernt, was das heisst: dass sie jetzt eine Bombe fallen lassen. Was dann folgte, war ein Albtraum: Wiesen, Bäume, Katzen – wohin man sah, war alles tot. 36 Menschen starben. Ich entkam nur mit viel Glück.

Warum Glück?
Eine Bombe fiel auf die Radiostation, in der ich damals arbeitete. Ich hatte das Gebäude nicht lange zuvor verlassen. Meine Kollegen starben.

Nach zehn Jahren in Kurdistan kamen Sie nach Wien, heute leben Sie in Köln. Sie haben von Europa aus viel erreicht. Wie haben Sie es geschafft, dass der Iran die Steinigung abgeschafft hat?
Ich gründete 2001 das Internationale Komitee gegen Steinigung. Eines Tages rief mich der Sohn von Sakineh Mohammadi Ashtiani an. Seine Mutter war im Gefängnis und sollte gesteinigt werden. Die Richter behaupteten fälschlicherweise, sie sei eine Ehebrecherin. Ich sagte dem Mann, er solle einen offenen Brief schreiben, und das war der Anfang einer Kampagne.

2010 erregte dieser Fall grosses Aufsehen.
Das Schreiben verbreitete sich über die sozialen Medien, und ich organisierte einen Protest, in 120 Städten demonstrierten die Menschen. Der Druck aus dem Ausland war so gross, dass das iranische Regime die Steinigung absagte. Am Ende musste es ein internationales Abkommen gegen Steinigung unterschreiben. Seitdem gilt ein Moratorium.

Ich habe keine Vorstellung davon, wie eine Steinigung abläuft. Was wissen Sie darüber?
Oft ging das gegen Frauen, denen man Ehebruch vorwarf, oder gegen Homosexuelle. Man kleidete eine Frau in ein Totenhemd, führte sie auf die Strasse, und dort warfen Männer so viele Steine auf sie, bis sie tot war. Unter den Steinewerfern war oft auch der Ehemann. Alles öffentlich. Ich weiss von Leuten, die in die Psychiatrie mussten, weil sie den Anblick nicht verkraften konnten.

Als die Mullahs letztes Jahr ihr 40-jähriges Jubiläum feierten, gratulierten ihnen Deutschland und die Schweiz. Ärgert Sie das?
Ich finde es eine Unverschämtheit, einer Regierung zu gratulieren, die Tausende umgebracht und mehr als 500 davon gesteinigt hat. Es überrascht mich aber nicht. Wenn eine deutsche Grünen-Politikerin wie Claudia Roth ein Kopftuch trägt, wenn sie das Regime besucht, kann ich sie nicht ernst nehmen.

Auch unsere alt Bundesrätin Micheline Calmy-Rey tat es – als Zeichen des Respekts gegenüber den kulturellen Gepflogenheiten.
Das wird immer gesagt, stimmt aber nicht. Das hat nichts mit Kultur zu tun. Tausende sind nicht mit dem Kopftuch einverstanden und sind deswegen schon auf die Strasse gegangen. Wieso akzeptiert das der Westen nicht?

Unter Hashtags wie #MyStealthyFreedom ist in den letzten zwei Jahren eine Anti-Kopftuch-Bewegung entstanden. Vergangenen Sommer verurteilte die Justiz mehrere Frauen deshalb zu langjährigen Haftstrafen und Peitschenhieben.
So geht es pro Jahr Hunderten von Frauen. Wenn das Kopftuch freiwillig wäre, bitte schön. Aber es wird per Gesetz aufgezwungen und dann auch noch mit Willkür und Brutalität durchgesetzt. Das Kopftuch ist eine Menschenrechtsverletzung, kein Kulturphänomen. Schon ein Mädchen ab neun Jahren muss sich verhüllen!

Die Schweiz stimmt voraussichtlich dieses Jahr über ein Verhüllungsverbot ab: Das Gesicht darf in der Öffentlichkeit nicht verdeckt sein. Ist ein Verbot der richtige Weg?
Die Gesichtsverhüllung muss in der Öffentlichkeit verboten werden. Genauso wie das Kopftuch am Arbeitsplatz.

Die Burka-Initiative und ihr Gegenvorschlag

Die Burka-Initiative kommt voraussichtlich noch dieses Jahr vors Volk: Demnach soll im öffentlichen Raum niemand mehr das Gesicht verhüllen dürfen. Treiber der Initiative ist das rechtskonservative Egerkinger Komitee. Das Parlament arbeitet derzeit an einem indirekten Gegenvorschlag. Geeinigt hat es sich bisher darauf, dass man nur dann das Gesicht zeigen muss, wenn man sich gegenüber den Behörden oder im öffentlichen Verkehr identifizieren muss. Zudem soll die Gleichstellung gefördert werden: Bei staatlichen Integrationsprogrammen soll künftig den besonderen Anliegen von Frauen Rechnung getragen werden. Der Gegenentwurf tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird.

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Die Burka-Initiative kommt voraussichtlich noch dieses Jahr vors Volk: Demnach soll im öffentlichen Raum niemand mehr das Gesicht verhüllen dürfen. Treiber der Initiative ist das rechtskonservative Egerkinger Komitee. Das Parlament arbeitet derzeit an einem indirekten Gegenvorschlag. Geeinigt hat es sich bisher darauf, dass man nur dann das Gesicht zeigen muss, wenn man sich gegenüber den Behörden oder im öffentlichen Verkehr identifizieren muss. Zudem soll die Gleichstellung gefördert werden: Bei staatlichen Integrationsprogrammen soll künftig den besonderen Anliegen von Frauen Rechnung getragen werden. Der Gegenentwurf tritt in Kraft, wenn die Initiative abgelehnt wird.

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Das ist radikal, Frau Ahadi.
Sie müssen sehen, dass wir es mit einer politischen Bewegung zu tun haben, die sich mehr und mehr durchzusetzen versucht. Diese wollen, dass es normal ist, dass Mädchen nicht mit Jungen schwimmen dürfen oder schon Kinder ein Kopftuch tragen müssen.

Da geht es doch um Familien. Warum soll dahinter eine politische Bewegung stecken?
Das sieht man daran, dass es nicht reicht, wenn ein Rektor anweist, dass alle Kinder schwimmen lernen müssen. Die Familien sind über die Moschee mit den islamischen Ländern Saudi-Arabien, Iran und der Türkei vernetzt. Diese wiederum raten dem Vater, er solle eine Anklage machen, und sie bezahlen sogar noch das Verfahren. Ich weiss von Fällen, in denen es genau so ablief.

Sie kämpften für die Freiheit, so zu leben, wie Sie es wollen. Sollte dies nicht auch für jene gelten, die sich verhüllen wollen?
Die säkulare Gesellschaft ist eine Errungenschaft der Aufklärung und unserer westlichen Welt. Dazu gehört auch der Schutz der Frauenrechte.

Die treibende Kraft hinter der Initiative, die SVP, ist nicht dafür bekannt, dass sie sich für die Rechte der Frauen starkmacht. Ihr gehts um Ausländerpolitik.
Die Linken haben versagt. Sie überlassen den Rechten das Feld, indem sie alles verharmlosen. Die AfD hat mich 2016 an eine Veranstaltung eingeladen.

Haben Sie angenommen?
Nein, ich bin gegen diese Rassisten. Die gleichen Leute haben mich letzten Sommer angegriffen. Beim Einkaufen standen plötzlich bullige Männer um mich herum und schrien mir von nahem in die Ohren, ich solle abhauen. Das habe ich vorher noch nie erlebt.

Träumen Sie da nicht manchmal von einer Rückkehr in den Iran?
Sobald das Regime weg ist, steige ich ins Flugzeug. Ich habe meine Familie seit über 40 Jahren nicht gesehen, weil es zu gefährlich für sie ist. Im Iran leben kann ich aber nicht mehr. Ich fühle mich in Deutschland zu Hause.

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