Blick analysiert das «Bürgergespräch» im russischen Staats-TV
Putin verbreitete in seiner Rede diese versteckten Botschaften

Wladimir Putin lud am Donnerstag nach einem Jahr Pause wieder zum «Bürgergespräch». Die Fragen waren abgekartet. In Putins Antworten aber verstecken sich einige Überraschungen. Eine Analyse.
Publiziert: 14.12.2023 um 17:46 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2023 um 10:13 Uhr
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Wladimir Putin (71) nennt es Bürgergespräch. Doch der Moskauer Event, an dem der russische Präsident jeweils zum Jahresende Fragen seiner Bürger beantwortet, ist nichts anderes als eine Märchenstunde.

2022 liess Putin die Konferenz absagen. Zu viele negative Schlagzeilen machte seine Armee angesichts der ukrainischen Rückeroberungen damals. Am Donnerstag aber rührte der Kreml-Chef wieder mit der ganz grossen Propaganda-Kelle an.

Wirklich spannend waren nicht seine «Fakten», sondern das, was Putin zwischen den Zeilen sagte. Blick hat die drei wichtigsten Botschaften rausgefiltert. Insbesondere seine Nachricht an die Amerikaner hat es in sich.

Wladimir Putin trat am Donnerstag für das traditionelle Bürgergespräch gut gelaunt vor die Kameras.
Foto: keystone-sda.ch
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Putin: «Es sieht so aus, als kämen wir bald ans Ende.» Klartext: «Selenski, gib auf! Du hast keine Chance.»

Während die Ukraine um die Unterstützung aus dem Westen bangen muss, scheint es für Russland an der Front gut zu laufen. Natürlich nur, wenn man – wie Putin – über das Massensterben auf dem Schlachtfeld hinwegschaut. Laut US-Angaben wurden seit Ausbruch des Krieges mehr als 315'000 Russen getötet oder verwundet.

Die russische Wirtschaft aber wuchs 2023 um 3,5 Prozent. Das Land investiert nächstes Jahr 100 Milliarden Dollar ins Militär. Die Kriegsindustrie produziert Rekordmengen an Waffen. Und die Nordkoreaner und Iraner liefern Drohnen und Munition.

Auch eine neue Rekrutierungswelle sei nicht notwendig, sagt Putin. Derzeit kämpften 617'000 russische Soldaten in der Ukraine. Zu den 300'000 mobilisierten Männern kämen mehr als 480'000 hinzu, die freiwillig «ihr Heimatland verteidigen wollen». Die ursprünglichen Kriegsziele seien dieselben wie am 24. Februar: «Denazifizierung, Demilitarisierung, Aufzwingen eines neutralen Status».

Putins Propaganda wirkt. Das Land macht seinen Wahn auch nach fast zwei Jahren Kriegszustand weiterhin mit.

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Putin: «Ja zu besseren US-Beziehungen – sobald interne Änderungen passiert sind.» Klartext: «Wählt Trump, dann wird alles wieder wie früher»

Für Aufsehen sorgte Putin mit seiner Botschaft an die Amerikaner: Die USA seien ein «wichtiges Land», sagte er. Aber eines, das mit seinem «imperialistischen Gehabe» aufhören müsse. «Respektiert andere Völker und Länder, dann können wir unsere Beziehungen wieder vollständig aufbauen», betonte Putin.

Dazu brauche es allerdings erst einmal «interne Änderungen». Unverblümt tönt Putin damit an, was sich Moskau wünscht: die rasche Rückkehr von Donald Trump (77) ins Weisse Haus. Sobald Trump wieder da sei, so die versteckte Botschaft, werde alles wieder gut. Trump selbst hat angekündigt, «binnen 24 Stunden» den Krieg in der Ukraine beenden zu können.

An die Europäer gerichtete sagte Putin, er wisse, dass viele Menschen denken, Russland tue das Richtige. Das ist Wasser auf die Mühlen jener Kreise, die auch hierzulande für ein Ende der Russland-Sanktionen und für eine Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Riesenreich eintreten.

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Putin: «Was in Gaza passiert, ist eine Katastrophe.» Klartext: «Verbünden wir uns gegen den Westen, meine arabischen Freunde!»

Die Zustände in Gaza bezeichnet Putin als «Katastrophe». Die klare Rhetorik und seine kürzliche Nahost-Reise, auf der er in Saudi-Arabien und in den Emiraten mit den höchsten Ehren empfangen worden ist, zeigen: Putin ist alles andere als isoliert. Nur weil der Westen sich gegen Moskau auflehnt, heisst das noch lange nicht, dass Russland keine Freunde mehr hat.

Ein Beispiel: Das Handelsvolumen zwischen Russland und China ist mit mehr als 200 Milliarden Dollar pro Jahr so hoch wie noch nie.

Fazit: Putin wird die russischen Präsidentschaftswahlen am 17. März locker gewinnen und bis mindestens 2030 regieren können. Nächstes Jahr wirds also wieder eine Märchenstunde geben. Und wenn sich Europa und Amerika nicht zusammenraufen, dann wird der Märchenonkel in Moskau wieder frischfröhlich über seine grausigen Erfolge berichten können.

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