Foto: Kirsty Wigglesworth

Brexit rückt näher
EU-Parlament stimmt für Grossbritanniens Austritt

Letzter Akt im Brexit-Drama: Das EU-Parlament hat am Mittwoch abschliessend den Austrittsvertrag für Grossbritannien gebilligt. Damit verlässt das Land am Freitag um Mitternacht in einem geregelten Verfahren nach 47 Jahren die EU.
Publiziert: 29.01.2020 um 17:41 Uhr
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Aktualisiert: 30.01.2020 um 13:13 Uhr
Können jubeln: Chef der Brexit-Partei Nigel Farage und Premierminister Boris Johnson führen Grossbritannien Ende Januar aus der EU. (Archiv)
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Obwohl viele EU-Abgeordnete nur schweren Herzens für den Brexit-Vertrag votierten, bekam das Abkommen am Abend eine klare Mehrheit. Denn Alternative sei ein «wilder, harter Brexit» ohne jegliche Regelung, sagte der belgische Liberale Guy Verhofstadt. Für den Vertrag stimmten 621 Abgeordnete, 49 dagegen, 13 enthielten sich.

Was bedeutet das Votum der EU?

Das Votum dürfe nicht als Unterstützung des EU-Austritts Grossbritannien gesehen werden, sagte der Liberale Guy Verhofstadt in den Beratungen vor der Abstimmung. «Es ist ein Votum für einen geordneten Brexit, gegen ein wilden, einen harten Brexit.»

Er persönlich würde jederzeit alles tun, um den Austritt der Briten noch zu stoppen, sagte der Leiter des Brexit-Ausschuss im EU-Parlament weiter.

Vertrag braucht nochmals Zustimmung aller Mitgliedstaaten

Die Abgeordneten applaudierten nach dem Votum. Viele sangen das schottische Abschiedslied «Auld Lang Syne» («Längst vergangene Zeit»). Parlamentspräsident David Sassoli sprach von einem «traurigen Tag».

Nach dem Parlamentsvotum müssen am Donnerstag die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten dem Vertrag zustimmen. Das gilt aber als Formsache.

Was regelt der Austrittsvertrag?

Der Austrittsvertrag regelt unter anderem die Rechte der Bürger beider Seiten und die Finanzverpflichtungen Londons. Zudem sieht er eine Übergangsphase bis Ende des Jahres vor, in der Grossbritannien noch im Binnenmarkt und der Zollunion bleibt. Die Zeit wollen beide Seiten nutzen, um ein Handelsabkommen auszuarbeiten.

Stellt der Brexit die Idee der EU infrage?

Er glaube weiter, dass der Brexit «ein riesiger Fehler» sei, sagte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion, Manfred Weber. Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, die Spanierin Iratxe Garcia, konnte am Vormittag ihre Tränen nicht zurückhalten, als sie die britischen Mitglieder ihrer Gruppe verabschiedete.

Die SPD-Abgeordnete Gabriele Bischoff sah den Tag auch als «Mahnung (...), was aus dem populistischen Leichtsinn arroganter Eliten heraus resultieren kann.» Der Ko-Vorsitzende der Linksfraktion, Martin Schirdewan, warnte davor, zur Tagesordnung überzugehen. Sonst könnten «weitere Länder die EU verlassen» und damit «das gesamteuropäische Projekt infrage» stellen.

EU muss aus dem Fall Grossbritannien lernen

Der frühere belgische Regierungschef Verhofstadt forderte, Lehren aus dem Brexit zu ziehen. Dieser habe nicht mit dem Referendum der Briten 2016 begonnen, sagte er. Vielmehr sei ein Fehler schon vor langer Zeit gewesen, Grossbritannien immer mehr Ausnahmen von EU-Regeln zu gewähren.

Dies habe die Union der Möglichkeit beraubt, «effektiv zu handeln», sagte Verhofstadt. Die EU müsse deshalb nun auch reformiert werden und zu «einer echten Union» ohne Ausnahmen und Veto-Möglichkeiten gemacht werden.

Die Liberalen übergaben ihren scheidenden Kollegen aus Grossbritannien EU-Flaggen. Fraktionschef Dacian Ciolos zeigte sich zuversichtlich, dass das blaue Banner mit den gelben Sternen eines Tages auch wieder in Grossbritannien wehen werde. Auch die Grünen wünschten ihren britischen Kollegen nicht «Lebe wohl», sondern «Auf Wiedersehen».

Jubel auf Seiten der Befürworter

Hochzufrieden zeigte sich hingegen der britische Brexit-Wegbereiter Nigel Farage. Er rechne damit, dass weitere Länder die Union verlassen würden. Farage nannte dabei als mögliche Kandidaten Dänemark, Polen oder Italien. Die EU sei ein «anti-demokratisches» und «sehr gefährliches politisches Projekt», sagte er. «Ich will, dass sie abgerissen wird.» Dafür werde er auch weiter kämpfen.

Zusammen mit den Mitgliedern seiner Brexit-Partei schwenkte Farage nach seiner letzten Rede im Plenum britische Fähnchen und handelte sich deshalb eine Rüge der stellvertretenden Parlamentspräsidentin Mairead McGuinness ein: «Tun sie Ihre Flaggen weg», sagte sie. «Und nehmen sie Sie mit, wenn Sie jetzt gehen.»

Von der Leyen kündigt klare Verhandlungslinie an

Die EU beschäftigt unterdessen die Frage, wie die künftigen Beziehungen zu Grossbritannien nach der Übergangsphase aussehen werden. Die EU-Kommission will dazu am Montag einen Vorschlag vorlegen, die Mitgliedstaaten entscheiden dann am 25. Februar. Die Gespräche könnten anschliessend im März starten.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte Grossbritannien eine «einzigartige» Partnerschaft in Aussicht. Die EU-Seite werde «all unsere Energie aufwenden», um dies möglich zu machen. Doch gelte dies nur bei fairen Wettbewerbsbedingungen, machte die EU-Kommissionschefin deutlich.

«Wir werden unsere Unternehmen mit Sicherheit nicht einem unfairen Wettbewerb aussetzen», betonte von der Leyen. Der Zugang Grossbritanniens zum EU-Binnenmarkt werde davon abhängen, wie sehr sich das Land künftig an gemeinsame Standards halte. «Das liegt im gegenseitigen Interesse», sagte von der Leyen.

Auch der deutsche Aussenminister Heiko Maas warb für «die engstmögliche Partnerschaft mit Grossbritannien». Die Verhandlungen darüber würden aber zur «Herkulesaufgabe», schrieb er in einem Gastbeitrag für «Zeit Online».

Gleichzeitig will die EU zeigen, dass sie trotz des Brexit nach vorne blickt. Von der Leyen, Parlamentspräsident Sassoli und der EU-Ratsvorsitzende Charles Michel kündigten für den Brexit-Tag am Freitag eine gemeinsame Pressekonferenz an. Thema: «Die Zukunft Europas».

Brexit am Freitag

Grossbritannien tritt am Freitag (31. Januar) um Mitternacht aus der EU aus. Auf britischer Seite ist der Austrittsvertrag bereits ratifiziert. Nach der Zustimmung des EU-Parlaments müssen am Donnerstag nochmals die verbleibenden 27 EU-Mitgliedstaaten dem Vertrag zustimmen. Das gilt aber als Formsache.

Der 176 Seiten lange Austrittsvertrag regelt unter anderem die Rechte der Bürger beider Seiten und die Finanzverpflichtungen Londons. Zudem sieht er eine Übergangsphase bis Ende des Jahres vor, in der Grossbritannien noch im Binnenmarkt und der Zollunion bleibt. Die Zeit wollen beide Seiten nutzen, um ein Handelsabkommen auszuarbeiten. (SDA)

Brexit-News

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seitdem findet ein langwieriger Prozess der Kompromissfindung zwischen britischer Politik und der EU statt. Am 31. Januar 2020 treten die Briten offiziell aus der EU aus. Behalten Sie den Überblick im Brexit-Chaos mit dem Newsticker von Blick.ch.

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