Britischer Wirtschaftsminister warnt wegen Gaskrise vor «sehr schwierigem Winter»
Werden in Europa Millionen Menschen frieren?

In Europa wird das Gas knapp. Das könnte Auswirkungen auf Millionen von Haushalten haben. Auch in der Schweiz muss man mit steigenden Preisen rechnen.
Publiziert: 23.09.2021 um 17:37 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2021 um 18:05 Uhr
Guido Felder

Die Briten zittern schon jetzt vor dem bevorstehenden Winter. Denn wegen Gasknappheit dürfte es für Hunderttausende von Familien schwierig werden, ihre Häuser richtig zu heizen oder die hohen Gas- und Stromrechnungen zu bezahlen. Wirtschaftsminister Kwasi Kwarteng (46) sprach wörtlich von einem «sehr schwierigen Winter», William Hague (60), der ehemalige Führer der britischen Konservativen, von einem «mehr als heiklen Winter».

In Grossbritannien sind die Gaspreise seit Anfang Jahr um satte 250 Prozent gestiegen. Dafür gibt es mehrere Ursachen, die zusammenspielen. Global ist Gas zurzeit knapp, unter anderem wegen des letzten Winters, der lang und frostig war. Andere Länder haben rechtzeitig mehr Gas importiert. Zudem bringt Nigeria als einer der wichtigsten Lieferanten weniger Gas als sonst auf den Markt.

Lokal lassen Reparaturarbeiten auf Ölplattformen in der Nordsee sowie ein Brand in einer wichtigen Gaspipeline die Preise in die Höhe schnellen. Zudem gibt es mehrere EU-Abgeordnete, die Russland vorwerfen, die Gaslieferung nach Europa bewusst zu drosseln. Mit dieser Massnahme wollten die Russen die Preise in die Höhe treiben und Deutschland zwingen, die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 zu beschleunigen.

Der britische Premierminister Boris Johnson gibt sich optimistisch: «Weihnachten findet auf jeden Fall statt.»
Foto: AFP
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«Falsche Energiepolitik»

CNN sieht die Energiekrise in einem andern Problem, nämlich der europäischen Energiepolitik. CNN schreibt in einem Kommentar: «Die Region hat stark in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie investiert, kann den Menschen aber nicht genügend benötigten Ökostrom liefern.» Tatsächlich fehlt es dieses Jahr wegen schwachen Windes an genügend Energie von Windkraftwerken im Meer.

CNN schlägt Alarm und warnt davor, dass nicht nur die Briten, sondern «Hunderte Millionen Menschen» in Europa frieren und auf hohen Stromrechnungen sitzen würden.

Fabriken geschlossen

Die Energieknappheit hat auch Einfluss auf die Lebensmittelindustrie. Denn um Dünger für die Landwirtschaft herzustellen, braucht es Gas. Bereits haben die beiden grössten britischen Fabriken die Produktion unterbrochen. Auch bei der Herstellung von Verpackungsmaterial kommts zu Engpässen.

Einige Unternehmen haben die Arbeitszeit für ihre Angestellten reduziert und überlegen sich die Einführung einer Drei- oder Viertage-Woche.

Der Gasmangel könnte in Grossbritannien sogar einen Dominoeffekt haben: Weil Gas zur Kühlung von AKW gebraucht wird, redet man schon von einer Stilllegung von Atomkraftwerken, was zu noch grösserer Energieknappheit führen würde.

Schweiz braucht nicht zu frieren

In der Schweiz, so heisst es beim Verband der Schweizerischen Gasindustrie, muss niemand frieren. Direktorin Daniela Decurtins (55) bezeichnet die aktuelle Marktsituation zwar auch als «aussergewöhnlich», sagt aber gegenüber Blick auf Anfrage: «Die Schweiz ist ein sehr kleiner Gasmarkt. Gemäss den Branchenspezialisten sind aktuell keine Versorgungsengpässe absehbar.»

Auf die Endkonsumenten in der Schweiz würden sich die höheren Handelspreise unterschiedlich stark und, je nachdem, früher oder später auswirken, weil die Gasversorgungsunternehmen unterschiedliche Beschaffungsstrategien hätten. «Einige Unternehmen sind für den Winter mehr oder weniger vollständig eingedeckt, andere werden noch viel Gas beschaffen müssen», sagt Decurtins.

Gemäss «20 Minuten» kündigen Regionalversorger wie die Berner EWB an, die Strompreise ab Oktober um 30 Oktober zu erhöhen. Über 20 Prozent aller Haushalte heizen in der Schweiz mit Gas.

Folgt eine Überkapazität?

Decurtins erwartet, dass es nach dem Winterhalbjahr zu einer Entspannung, ja sogar Überversorgung kommen könnte. Grund sei unter anderem die neue Pipeline von Russland nach Europa. Decurtins: «Mit Nord Stream 2 wird in Kürze – Experten gehen Stand heute von Februar 2022 aus – dauerhaft zusätzliche Kapazität ans Netz kommen.»

Auch der britische Premierminister Boris Johnson (57) gibt sich optimistisch. Die Gasknappheit sei nur ein «kurzfristiges Problem», das sich schon wieder «einrenken» werde. Johnson: «Ich glaube nicht, dass es jemandem an Essen fehlen wird diesen Winter. Weihnachten findet auf jeden Fall statt.»

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