Camerons Brexit-Poker gescheitert. Für Europarechtler ist klar
«Für die Schweiz ist die letzte Hoffnung gestorben»

Der englische Premierminister David Cameron (49) hat es nicht geschafft, der EU Zugeständnisse bei der Zuwanderung abzuringen. Für Bern bedeutet das nichts Gutes, sagt EU-Experte Dieter Freiburghaus (72).
Publiziert: 21.02.2016 um 06:49 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 05:45 Uhr
Dieter Freiburghaus ist emeritierter Professor für institutionelle Politik und gilt als rennomierter EU-Experte.
Foto: Philippe Rossier
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Moritz Kaufmann

Grosse Aufruhr in Grossbritannien. Am 23. Juni stimmt das Königreich darüber ab, ob es weiter Teil der EU sein will oder nicht. Das verkündete Premierminister David Cameron (49) gestern Nachmittag. Zuvor zitierte er sämtliche Kabinettsmitglieder zu sich nach Hause in die Downing Street 10 in London. Es war das erste mal seit dem Falkland-Krieg 1982, dass das britische Kabinett an einem Samstag tagte. Cameron will EU-Mitglied bleiben. Doch nicht weniger als sechs Minister seiner konservativen Regierung stellen sich gegen ihn und werben für den Austritt. Welche Bedeutung hat der Brexit-Poker für das Verhältnis Schweiz-EU? Antworten vom renommierten Europarechtler Dieter Freiburghaus.

Herr Freiburghaus, der englische Premierminister David Cameron inszeniert sich nach den Verhandlungen mit der EU als Sieger. Was konnte er herausholen?
Dieter Freiburghaus: Sehr wenig. Es wurde beschlossen, dass England bei den Lohnkostenzuschüssen für EU-Einwanderer bremsen kann. Das fällt aber kaum ins Gewicht, da die meisten EU-Migranten in England nicht zu wenig verdienen. Ausserdem muss England noch ein bisschen weniger Kinderzulagen bezahlen. Das sind Peanuts.

Warum ist er denn so zufrieden?
Er selbst ist ja gegen einen EU-Austritt. Davon muss er jetzt seine Landsleute überzeugen, die ja in diesem Sommer über den Verbleib abstimmen werden. Deshalb inszeniert er sich als harter Verhandler. Eigentlich ging es ihm aber gar nie um die EU.

Worum ging es ihm dann?
Es ging um seine Macht. Er wollte letztes Jahr die Wahlen gewinnen, deshalb hat er den Engländern das EU-Referendum versprochen. Wenn die Briten nun Ja sagen zum Verbleib in der EU, steht Cameron als grosser Sieger da. Es ist eine Hochrisikostrategie. Aber bei der EU hat er nicht erhalten, was er wollte.

Was wollte er?
Cameron wollte die Zuwanderung aus der EU begrenzen. Das war für die restlichen Staaten aber kein Thema. Das zeigt: Wenn es nicht mal David Cameron schafft, an der Personenfreizügigkeit zu rütteln, dann hat die Schweiz erst recht keine Chance. Weder bei der einseitigen Schutzklausel, noch beim Inländervorrang wird die EU jemals mitmachen.

Die Schweiz könnte doch die Schutzklausel einführen und davon ausgehen, dass die EU nicht interveniert.
So weit wird es gar nicht kommen! Das Bundesgericht hat festgehalten, dass es sich bei der Personenfreizügigkeit um Völkerrecht mit Vorrang zum Landesrecht handelt. Der Bundesrat kann nicht einfach ein Gesetz erlassen, bei dem er gegen Völkerrecht verstösst. Damit würde er sich vollends unglaubwürdig machen. Bevor die EU die Bilateralen kündigt, müsste es der Bundesrat selber tun.

Welche Möglichkeiten gibt es denn jetzt noch, um die Masseneinwanderungsinitiative EU-konform umzusetzen?
Keine! Es gab nie welche. Das wird nun auch dem letzten Politiker in Bern klar. Der Bundesrat spielte bisher auf Zeit und hoffte, dass sich doch noch irgendwo ein Türlein öffnet. Mit dem Verhandlungsresultat von David Cameron ist für die Schweiz die letzte Hoffnung gestorben!

Dann müssen wir die Bilateralen kündigen.
Darüber müssten wir nochmals abstimmen, denn darum ging es nicht bei der Masseneinwanderungsinitiative.

Was ist, wenn England am 23. Juni für den EU-Austritt stimmt?
Das hat keinen Einfluss auf die Schweiz. Die restlichen 27 EU-Mitglieder würden nur enger zusammenrücken.

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