Das bedeutet das Urteil des obersten Gerichtes in Israel
Ein Paukenschlag – wegen des Krieges aber kaum beachtet

Das oberste Gericht in Israel hat ein Kernelement der umstrittenen Justizreform gekippt. Die Reaktionen auf das bahnbrechende Urteil sind aber eher verhalten, auch die der Opposition. Das liegt vor allem am Krieg im Gazastreifen. Blick erklärt die Hintergründe.
Publiziert: 02.01.2024 um 18:02 Uhr
RMS_Portrait_AUTOR_814.JPG
Martin MeulReporter News

Es war eine Sensation, die das Oberste israelische Gericht am Montag bekannt gab. Eine hauchdünne Mehrheit von acht der 15 Richter war dafür, eine im Juli verabschiedete Gesetzesänderung für nichtig zu erklären. Diese Grundgesetzänderung hatte dem Gericht die Möglichkeit genommen, gegen «unangemessene» Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen.

Im letzten Jahr waren in Israel wegen dieser Justizreform regelmässig Hunderttausende Menschen auf die Strasse gegangen. Die Opposition befürchtete, dass durch die Gesetzesänderung die Korruption und die willkürliche Besetzung wichtiger Posten gefördert werden könnten. Der Entscheid des Gerichts ist ein herber Rückschlag für die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74). Hier kommen die wichtigsten Fragen und Antworten.

Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu steht seit Montag noch stärker unter Druck.
Foto: keystone-sda.ch
1/5

Wie haben Netanyahu und seine Regierung auf den Entscheid reagiert?

Netanyahus rechtskonservative Likud-Partei hat bislang vor allem den Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Urteils kritisiert. «Die Gerichtsentscheidung widerspricht dem Willen des Volkes nach Einigkeit, vor allem in Zeiten des Krieges», hiess es. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte am Montag, die Hamas habe ihren Überfall möglicherweise auch deshalb am 7. Oktober ausgeführt, weil sie die israelische Gesellschaft im Chaos wähnte.

Wird Netanyahu den Entscheid des Gerichts respektieren?

Der Ministerpräsident hat sich zu dieser Frage selbst noch nicht geäussert. Allerdings lassen verschiedene Aussagen von anderen Akteuren darauf schliessen, dass das Urteil des Gerichts wohl nicht einfach so hingenommen wird. Gegenüber dem Medienportal Ynet sagte beispielsweise die treibende Kraft hinter der Reform, der israelische Justizminister Yariv Levin: «Das Urteil wird uns nicht entmutigen. Während der Kampf an verschiedenen Fronten andauert, werden wir weiter mit Zurückhaltung und Verantwortung handeln.» Der israelische Parlamentspräsident Amir Ochana erklärte unterdessen, dass das Oberste Gericht gar nicht befugt sei, Grundgesetze für nichtig zu erklären. 

Was bedeutet das Urteil für Israels Demokratie?

Viel hängt davon ab, wie die Regierung reagieren wird. Klar aber ist, dass es in Israels Geschichte noch nie vorgekommen ist, dass das Oberste Gericht ein solches Gesetz der Regierung gekippt hat. Sollte die Regierung sich nun gegen das Urteil stellen, droht dem Land vermutlich eine Staatskrise. Immerhin hat die ausschlaggebende Justizreform schon Hunderttausende Menschen auf die Strasse gebracht. Die Proteste endeten erst mit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023. 

Wie wirkt sich das Ganze auf Netanyahus Beliebtheit aus?

Auch ohne diesen herben Rückschlag ist Ministerpräsident Benjamin Netanyahu im Volk zunehmend unbeliebt. Vor allem, weil er den Angriff der Hamas Anfang Oktober nicht verhindert hat, dafür keine Verantwortung übernehmen will und weil sich immer noch über 100 Geiseln in der Gewalt der palästinensischen Terrororganisation befinden. Das Urteil des Gerichts ist Wasser auf die Mühlen der Kritiker. Die «Jerusalem Post» berichtete am Dienstag, dass sich gemäss Umfragen nur noch 15 Prozent der Bevölkerung vorstellen können, dass Netanyahu nach Ende des Gaza-Kriegs Ministerpräsident bleiben soll. 

Wie hat die Öffentlichkeit auf das Urteil reagiert?

Die Reaktionen sind eher verhalten, vor allem wenn man sie mit dem Ausmass der Proteste gegen die Justizreform vergleicht. Die Strassen in Tel Aviv sind leer. Beobachter vor Ort gehen davon aus, dass dies vor allem am Krieg im Gazastreifen liegt. Dieser dominiere die öffentliche Debatte. «Jeden Morgen werden im Radio die Namen der gefallenen Soldaten verlesen», sagte beispielsweise ARD-Korrespondentin Nadja Armbrust. 

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Liebe Leserin, Lieber Leser
Der Kommentarbereich von Blick+-Artikeln ist unseren Nutzern mit Abo vorbehalten. Melde dich bitte an, falls du ein Abo hast. Noch kein Blick+-Abo? Finde unsere Angebote hier:
Hast du bereits ein Abo?