Das muss Kanzlerin Merkel jetzt tun
Asylkurs ändern, Machos beruhigen

Nach dem Abschneiden der CDU/CSU bei der deutschen Bundestagswahl gilt Kanzlerin Angela Merkel als so gut wie wiedergewählt. Klaus Armingeon von der Leitung des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Bern erklärt, was wir von ihr in den kommenden vier Jahren erwarten können.
Publiziert: 25.09.2017 um 09:15 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:04 Uhr
Guido Felder

Welches sind die Themen, mit denen sich Angela Merkel in den kommenden vier Jahren beschäftigen muss?
Laut dem jüngsten Politbarometer sind es in dieser Reihenfolge Migration, Altersvorsorge, Soziale Gerechtigkeit, Bildung, Arbeitslosigkeit, Terror/Krieg, Kriminalität, Familie, Gesundheitswesen und Löhne/Kosten. Ein weiteres wichtiges «Querschnittsthema» ist die Europäische Union, in der Deutschland eine Führungsrolle hat. Das betrifft Themen wie Euro, Digitalisierung, Flüchtlinge, Fiskalpolitik und das Verhältnis zwischen Mitgliedsstaaten und der Kommission.

Klaus Armingeon (61) vom Lehrstuhl für Vergleichende Politik und Europapolitik an der Universität Bern.
Foto: Annette Boutellier

Wie wird sie diese Themen angehen?
Welche Themen wie angepackt werden, hängt von den Koalitionspartnern ab. Die denkbare Jamaica-Koalition (CDU/CSU plus FDP plus Grüne) hätte starke innere Spannungen auszuhalten. Angela Merkel wird wahrscheinlich ihre bisherige persönliche Linie weiterverfolgen: ausserordentlich pragmatisch, stabilitätsorientiert, konfliktminimierend, aber dennoch nicht ohne normative «rote Linien» (etwa in der Flüchtlingspolitik), also durch Werte bestimmte Leitlinien der Politik.

Merkel braucht eine neue Regierung, die SPD will in die Opposition ziehen.
Foto: Imago
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Wird Merkel in Zukunft mehr gestalten als nur verwalten?
Diese Verwaltungsorientierung ist auch für die Zukunft zu erwarten. Fairerweise muss gesagt werden, dass diese gemächliche Politik mit klaren Zielen (etwa in der Euro-Politik/europäischen Fiskalpolitik) sich sehr zugunsten der Deutschen oder der deutschen Wirtschaft ausgewirkt hat. Manchmal ist man mit einer soliden «Verwaltung» erheblich besser dran als mit einer aufgeregten Regierung, die viele Themen anpacken will und am Ende nur eine Zick-Zack-Politik der Alpha-Tiere zustande bringt. Die Regierung May in Grossbritannien ist in dieser Hinsicht das Gegenteil der Regierung Merkel.

Was kann Angela Merkel noch bewegen?
Deutschland hat zwei Parteien, die den Wohlfahrtsstaat stützen: CDU und SPD, und das entspricht ziemlich genau der Situation in der Schweiz mit der CVP und der SP. Die deutschen Liberalen, die viel klarer wirtschaftsliberal sind als die schweizerischen Freisinnigen, wollen diesen Wohlfahrtsstaat zurückdrängen und Voraussetzungen zur Dynamisierung der Wirtschaft schaffen. Die deutschen Grünen haben eine vergleichbare Programmatik mit den schweizerischen Grünen, wobei sie weniger entschlossen sozialdemokratisch-sozialpolitische Ziele verfolgen. Es kommt also auf die Kombination von Parteien in der Opposition und Regierung an, was eine neue Regierung Merkel bewegen kann. Bleibt es bei der grossen Koalition, sieht vieles nach einer Konsolidierung der bisherigen Politik an. Viel mehr Bewegung könnte durch eine Jamaica-Koalition zustanden kommen.

Welches ist der Unterschied zwischen AfD und SVP?
Programmatisch und wahlsoziologisch gibt es zwischen der AfD und der SVP sehr viele Ähnlichkeiten — freilich ist die AfD viel weniger professionell, sehr viel stärker intern zerstritten und viel weniger etabliert. Deutschland hatte in der Nachkriegszeit bis zum Aufkommen der AfD (und abgesehen von sehr kleinen Parteien, wie der NPD) keine eigenständige rechtspopulistische Partei wie die SVP in der Schweiz, die Freiheitlichen in Österreich, den Front National in Frankreich etc. Man kann dies damit erklären, dass die Deutschen aufgrund ihrer schrecklichen jüngsten Geschichte ausserordentlich sensibel und skeptisch gegenüber rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Parteien waren. Ein zweiter, wichtiger Faktor ist das parteipolitische Angebot. Von Franz-Josef Strauss, dem ehemaligen Chef der bayerischen CSU, wird berichtet, er habe gesagt «Rechts von uns ist nur noch die Wand». Die CSU hat also die Wählerinnen und Wähler mit rechtspopulistischen oder gar rechtsextremen Ansichten integriert. Die CDU hat – durchaus mit guten wahlsoziologischen Gründen – die Mitte-links-Positionen der Partei stärker akzentuiert. Damit entstand zwischen der CDU/CSU und der Wand jetzt erstmals Luft, die von der AfD genutzt wurde. 

Wie wird Angela Merkel mit der AfD umgehen, die erstmals im Bundestag vertreten ist?
Angela Merkel hat ganz klar gesagt, dass eine Koalition mit der AfD für sie nicht in Frage käme. Sie fährt auch einen klaren Kurs der Ausgrenzung der AfD (und der Linken auf der linken Seite) von den Parteien des demokratischen Kerns. Sie und ihre Partei müssen jetzt klären, wie sie programmatisch weiterfahren wollen. Können sie ein bisschen nach rechts gehen, der AfD die Luft zwischen Wand und CDU/CSU nehmen und die «entlaufenen» Wähler wieder integrieren? Oder wird man die bisherige Linie fortsetzen und damit leben, dass es eine rechtspopulistische Partei gibt, die sozusagen die Betriebskosten einer Demokratie in einer entgrenzten Welt darstellt? 

Wie wird Kanzlerin Merkel in die Geschichte eingehen?
Deutschland hatte grosse Kanzler, die mit entscheidenden Veränderungen verbunden waren: Konrad Adenauer und die Westintegration, Willy Brandt als Reformkanzler und Schaffer der neuen Ostpolitik, Helmut Schmidt als sozialdemokratischer Pragmatiker und Macher, Helmut Kohl als Kanzler der Wiedervereinigung. Angela Merkel ist hingegen viel weniger mit Veränderungen verbunden, als mit Stabilisierung, Konsolidierung und – nach der Ära Schröder – Rekalibrierung (Wiedereinstellung). Sie vertritt entschlossen und sehr erfolgreich die Interessen Deutschlands und der deutschen Industrie. «Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben» ist das Motto des CDU/CSU-Wahlprogramm. Das erfordert derzeit vor allem Kontinuität und bedächtige und vorsichtige Anpassungen an äussere Herausforderungen. Ich könnte mir vorstellen, dass sie sich nicht viel Gedanken macht, wie sie in die Geschichte eingehen könnte. Was sie will, ist ein erfolgreiches, ein wirtschaftlich blühendes und ein hinreichend soziales Deutschland.

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