Das musst du zum Verfahren vor dem UN-Gericht wissen
Hat Israel in Gaza einen Völkermord begangen?

Israel muss sich wegen der Angriffe im Gazastreifen erstmals wegen des Vorwurfs des Völkermordes vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Südafrika hat das Land verklagt. Was wird dort verhandelt? Und was sind mögliche Folgen?
Publiziert: 11.01.2024 um 08:04 Uhr
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Aktualisiert: 11.01.2024 um 09:33 Uhr

Ab Donnerstag muss sich Israel gegen den Vorwurf des Völkermordes verteidigen. Südafrika hat das Land im Rahmen der Angriffe auf den Gazastreifen verklagt. Das Verfahren ist hochbrisant. Folgende Übersicht liefert Antworten auf die wichtigsten Fragen. 

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Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen, während der UN-Gerichtshof über Konflikte zwischen Staaten entscheiden soll. Sowohl Israel als auch Südafrika dürfen jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Israel schickt den früheren Richter am obersten Gerichtshof, Aharon Barak (87), einen Überlebenden des Holocaust.

Am Donnerstag beginnt das Völkermord-Verfahren. Beide Länder schickten hochrangige Delegationen nach Den Haag.
Foto: keystone-sda.ch
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Was wirft Südafrika Israel vor?

In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika die Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Israel töte Palästinenser, «füge ihnen schwere geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen».

Südafrika nennt die hohe Zahl von mehr als 21'000 Todesopfern im Gazastreifen, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, Angriffe auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen. Inzwischen ist die Opferzahl nach Angaben der Behörden, die von der islamistischen Hamas kontrolliert werden, bereits auf mehr als 23'000 angestiegen. 

Äusserungen israelischer Minister werden ebenfalls als Beleg für die Absicht des Völkermords angeführt. Südafrika spricht von «direkter und öffentlicher Anstiftung zum Völkermord». Unter dem Eindruck des Massakers vom 7. Oktober, bei dem Terroristen der islamistischen Hamas und anderer Gruppierungen in Israel mehr als 1200 Menschen töteten, hatte Verteidigungsminister Joav Galant etwa von «menschlichen Tieren» gesprochen und erklärt: «Wir werden alles auslöschen.»

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Was ist die Grundlage der Klage?

Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention. Beide Staaten haben diese Konvention unterzeichnet und sich damit nicht nur verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen, sondern auch diesen zu verhindern und zu bestrafen. In der Konvention wird Völkermord definiert als eine Handlung, «die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören.»

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Wie lautet die Reaktion Israels?

Israel weist die Vorwürfe entschieden zurück und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung nach den Angriffen vom 7. Oktober. «Die Vergewaltigungsmaschine der Hamas trägt volle moralische Verantwortung für alle Opfer in diesem Krieg.» Alles werde getan, um zivile Bürger zu schützen, hiess es.

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Was passiert bei der Anhörung?

Zunächst wird Südafrika am Donnerstag seine Klage erläutern. Am Freitag hat Israel die Gelegenheit, zu reagieren. Bei dieser Anhörung wird es zunächst um einen Eilantrag Südafrikas gehen. Es hatte das Gericht aufgefordert, das sofortige Ende der militärischen Gewalt anzuordnen und die Rechte der Palästinenser zu schützen.

UN-Richter müssen jetzt noch nicht feststellen, ob tatsächlich Völkermord verübt wurde. Es würde die Möglichkeit ausreichen, dass die Konvention verletzt wurde. Das ist eine niedrige Schwelle für eine Entscheidung. Aber auch dafür gilt, dass es deutliche Hinweise auf eine Absicht Israels geben muss, die Palästinenser auszulöschen. Dann könnten die Richter Israel theoretisch auferlegen, die Gewalt sofort zu beenden, um weiteren Schaden zu verhindern. Das Urteil über den Eilantrag soll in wenigen Wochen fallen. Jeder Spruch des internationalen Gerichtshofs ist bindend. Das Gericht hat aber keine Machtmittel, die Durchsetzung zu erzwingen. Ein möglicher Schuldspruch hätte vor allem eine symbolische Wirkung. Der internationale Druck auf Israel würde sich weiter erhöhen und könnte dem Ruf des Landes schaden.

Die Entscheidung, ob Israel einen Völkermord begangen hat, fällt jedoch erst viel später. Solche Verfahren können sich über Jahre hinziehen. (SDA/ene)

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