Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Entscheid des EU-Parlaments
Wird Prostitution nun in ganz Europa verboten?

Das EU-Parlament will europaweit die Prostitution abschaffen oder wenigstens eindämmen. Es hat diese Woche trotz des Widerstands der Sexarbeiterinnen einen entsprechenden Antrag angenommen. Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 16.09.2023 um 21:21 Uhr
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Aktualisiert: 16.09.2023 um 21:25 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Schluss mit Sex gegen Geld: Die Mitglieder des EU-Parlaments haben am Donnerstag mit 234 Ja gegen 175 Nein bei 122 Enthaltungen einen Antrag angenommen, in dem die EU-Staaten aufgefordert werden, das Anbieten von Prostitution zu entkriminalisieren, Freier hingegen zu bestrafen. Diese Regel ist schon in nordischen Staaten in Kraft. 

Wir sagen, was du zum Thema wissen musst. 

Wird die Prostitution nun in ganz Europa verboten?

Das ist offen. Der Bericht ist zwar nicht bindend, dient aber als Empfehlung an die EU-Mitgliedstaaten, individuell ein System zur Verringerung der Nachfrage und zur Bestrafung von Kunden einzuführen. Die schwedische sozialdemokratische Abgeordnete Heléne Fritzon (62) sagte: «Prostitution ist ein europäisches Problem, und deshalb brauchen wir eine gemeinsame Antwort.» Welche Länder darauf eingehen werden, ist offen. 

Das EU-Parlament möchte die Prostitution europaweit einschränken.
Foto: Keystone
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Wie funktioniert das nordische Modell?

Es besteht aus vier Grundpfeilern:

  • Kriminalisierung der (auch einvernehmlichen) Prostitution, der Vermietung von Räumen an Sexarbeiterinnen und der Vermittlung von sexuellen Dienstleistungen

  • Bestrafung der Freier, keine Bestrafung aber des Anbietens

  • Angebote zum Ausstieg

  • Aufklärungsmassnahmen in der Bevölkerung

Schweden hat das Modell als erstes Land 1999 eingeführt. Obwohl die Prostitution damit verboten ist, gibt es im Internet viele Sexanzeigen von Sexarbeiterinnen, die ihre Dienste im Verborgenen anbieten. Der Trick: Diese Anzeigen werden auf Servern im Ausland abgespeichert, was die Verfolgung durch die schwedischen Behörden massiv erschwert.

Ableitungen des nordischen Modells gibt es inzwischen auch in Norwegen, Island, Kanada, Nordirland, Frankreich, Irland und Israel. 

Wie erfolgreich ist das nordische Modell?

Es gibt mehrere Studien, die aber wenig schlüssige Resultate zeigen. Das schreiben die wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestags in einer Dokumentation zu den Auswirkungen des nordischen Modells. Grundsätzlich sind aber die Prostitution, der Menschenhandel und die Zuhälterei zurückgegangen.

Eine Dissertation weist auf der anderen Seite darauf hin, dass das Gesetz das soziale Stigma von Sexarbeit verschärft habe, von einem Anstieg von Gewalt auszugehen sei und auch Sexarbeiterinnen selber polizeilichen Repressionen ausgesetzt seien. 

Wer sind die Gegner?

Die lautesten Kritikerinnen sind jene Menschen, die es selber betrifft: die Prostituierten. Auch Menschenrechtsverbände warnen vor einem Prostitutionsverbot. In einem Schreiben ans EU-Parlament haben das europäische Netzwerk der Sexworker-Organisationen, Human Right Watch, Amnesty International und zehn weitere Organisationen die Parlamentarier aufgefordert, gegen den Bericht zu stimmen. 

Sie befürchten eine Verlagerung der Sexarbeit in den Untergrund, ein höheres Sicherheitsrisiko für die Frauen, und sie betonen, dass Sexarbeiterinnen damit das Recht auf Selbstbestimmung genommen werde. «Durch die Kriminalisierung des Kaufs von sexuellen Diensten wird einer ganzen Gruppe von Menschen (meist Frauen) das Recht verweigert, Entscheidungen über ihr Leben zu treffen», heisst es im Schreiben. 

Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO äussert sich kritisch, weil sie von mehr HIV-Infektionen ausgeht. 

Wie ist die Situation in der Schweiz?

Der Nationalrat hat 2022 mit 172 gegen 11 Stimmen eine EVP-Motion abgelehnt, die das nordische Modell auf die Schweiz übertragen wollte. Der Bundesrat begründete seine ablehnende Haltung damit, dass die gewünschte Wirkung umstritten sei und sich das Sexgewerbe in die Illegalität verlagern würde. Für die Ahndung von Verstössen wie Menschenhandel und Missbrauch von Minderjährigen bestünden heute schon griffige Gesetze. 

Abgelehnt wurden entsprechende Bestrebungen auch in Finnland, Dänemark, Grossbritannien und Spanien. 

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