Doch das könnte ihm zum Verhängnis werden
Erdogan schaltet seinen stärksten Gegner aus

Der Istanbuler Bürgermeister soll wegen einer Beleidigung ins Gefängnis – und nicht mehr politisch aktiv sein dürfen. Damit räumt Präsident Erdogan einen Konkurrenten aus dem Weg, um weiter an der Macht bleiben zu können.
Publiziert: 11.01.2023 um 10:46 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2023 um 07:10 Uhr
Tanja von Arx
Tanja von ArxAuslandredaktorin

«Wer Istanbul gewinnt, gewinnt die Türkei», sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan (68) einmal. Ekrem Imamoğlu (52) gelang vor drei Jahren ein spektakulärer Sieg bei der Bürgermeisterwahl in der Metropole am Bosporus. Umfragen zufolge hätte der Oppositionspolitiker auch gute Chancen, Erdogan an der Staatsspitze zu beerben.

Doch ein halbes Jahr vor der Präsidentschaftswahl in der Türkei hat nun ein Gericht der Karriere des ehrgeizigen Politikers einen massiven Schlag versetzt.

Imamoğlu wurde verurteilt und muss für zwei Jahre und sieben Monate in den Knast. Grund dafür: Innenminister Süleyman Soylu (53) von der Regierungspartei AKP hatte ihn einen Idioten genannt – woraufhin Imamoğlu konterte. Er sagte, jene seien Idioten, welche die Bürgermeisterwahl in Istanbul annulliert hätten.

Der Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu soll zwei Jahre und sieben Monate ins Gefängnis. Grund dafür: Er hat einem Politiker Konter gegeben, der ihn einen Idioten genannt hatte.
Foto: IMAGO/ZUMA Wire
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«Imamoğlu ist eine zentrale Figur der Opposition»

Die Bürgermeisterwahl von 2019 wurde zweimal abgehalten. Beim ersten Urnengang lag Imamoğlu mit etwa 14'000 Stimmen vor seinem Konkurrenten von der AKP, der Partei von Präsident Erdogan (68). Die AKP focht das Ergebnis an, und der zuständige Hohe Wahlrat erklärte die Wahl für ungültig. Bei der Wahlwiederholung gewann Imamoğlu erneut – mit etwa 800'000 Stimmen Vorsprung.

Für seine Bemerkung soll Imamoğlu nun für zwei Jahre und sieben Monate in den Knast. Ein hartes Urteil. Nicht ohne Grund. «Es liegt sehr nahe, dass Präsident Erdogan und seine Regierung mit Blick auf die anstehende Präsidentschaftswahl vom Juni einen Kandidaten mit grossen Chancen verhindern wollen», sagt Türkei-Experte Ali Sonay von der Universität Bern zu Blick.

Imamoğlu hätte gute Chancen gehabt, Erdogan als Präsidenten abzulösen. «Das Bürgermeisteramt in Istanbul geht einher mit politischer, wirtschaftlicher und symbolischer Macht, weshalb Imamoğlu zu einer zentralen Figur der Opposition geworden ist – so sehr, dass er als möglicher Kandidat der anstehenden Präsidentschaftswahlen diskutiert wurde.»

«Gerichtsprozesse sind das zentrale Instrument»

Das Urteil sorgt in der Türkei für Wirbel. Ein grosser Teil der Bevölkerung erachtet die Verurteilung laut Umfragen ebenfalls als ungerecht und als politisch motiviert. Zehntausende Menschen gingen einen Tag nach der Verurteilung in Istanbul auf die Strasse.

Imamoğlu ist nur einer von vielen, die von Erdogan kalt gestellt wurden. Sonay zu Blick: «Gerichtsprozesse sind das zentrale Instrument, um Gegner, welche die Macht respektive die Regierung der AKP herausfordern, zu schwächen, zu delegitimieren oder ineffektiv zu machen.»

In der Türkei kann der Präsident maximal zwei Amtszeiten regieren. Damit wäre Erdogan nur noch weitere fünf Jahre an der Macht, würde er wiedergewählt. Dass er sich damit einfach aus der Politik zurückzieht, glaubt Sonay nicht. «Er wird eine mögliche weitere Amtszeit sicherlich nutzen, um auf seine Nachfolge hinzuwirken.» So könne er zum Beispiel weiter Einfluss ausüben, wenn er AKP-Parteivorsitzender bleibe.

Türken zweifeln an Erdogan

So fest sich Erdogan auch an die Macht klammert, könnte ihm das harte Vorgehen gegen Imamoğlu zum Verhängnis werden. Das umstrittene Urteil könnte der schwierigen Zusammenarbeit der stark zersplitterten Opposition in der Türkei neuen Schwung verleihen. Bisher konnte sich das Bündnis nicht auf einen einzigen Kandidaten einigen.

Erste Umfragen zeigen, dass die Entscheidung vom Mittwoch auf Erdogan zurückfallen könnte. Demnach halten selbst viele Wähler seiner islamisch-konservativen AKP-Partei das Urteil gegen den Bürgermeister für «politisch» motiviert.

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