Doch Sprache wird er nie verstehen
Bub (11) dank Gentherapie von angeborener Taubheit geheilt

Der 11-jährige Aissam Dam war von Geburt an taub. Doch nun kann der Marokkaner erstmals hören – dank einer neuartigen Gentherapie. Dennoch wird er wohl nie eine Sprache sprechen oder verstehen können.
Publiziert: 25.01.2024 um 19:05 Uhr

Aissam Dam (11) ist in einer Welt ohne Geräusche aufgewachsen. Seit seiner Geburt hörte der taube Bub nichts und lebte in vollkommener Stille. Nur mit einer selbst erfundenen Zeichensprache konnte sich der Marokkaner, der in seiner Heimat nie die Schule besuchte, verständigen. Er leidet an einem Gendefekt, von dem weltweit etwa 200'000 Menschen betroffen sind. Seine Taubheit wurde nie behandelt – bis vor einem Jahr. 

Der Bub hat als erster Mensch in den USA mit einer Therapie begonnen, die sich noch im Forschungsstadium befindet. Das berichtet die «New York Times». In einem Kinderspital in Philadelphia wurde bei der Behandlung ein einzelnes Gen, das für die Taubheit verantwortlich ist, durch eine intakte Version ersetzt.

Nach mehrmonatiger Therapie kann Aissam Dam heute fast normal hören. Aber Sprache verstehen oder selbst sprechen wird er wohl nie können, sagen Fachleute. Denn dem Bericht zufolge hat das Gehirn ein Zeitfenster für das Erlernen von Sprache: Es beginnt im zweiten oder dritten Lebensjahr – nach dem fünften ist es für immer geschlossen.

Aissam Diam (Mitte) kann dank einer Gentherapie erstmals hören.
Foto: AFP
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Forscher wollen auch jüngere Kinder behandeln

Auch wenn der Junge wahrscheinlich nie in der Lage sein wird, sich in gesprochener Sprache zu verständigen, kann ihm das neu erworbene Hörvermögen helfen, Situationen im Strassenverkehr oder Ähnliches besser einzuschätzen. Ausserdem kann der Marokkaner jetzt Musik hören. «Es gibt keinen Ton, den ich nicht mag», schwärmt der Junge mithilfe eines Dolmetschers. Die Gebärdensprache beherrscht er mittlerweile.

Für die Wissenschaftler ist es ein bedeutender Schritt. Aktuell laufen laut «New York Times» fast ein halbes Dutzend Studien mit dieser Therapie oder stehen kurz bevor. Nach dem jüngsten Erfolg mit Aissam Dam wollen die Forscher auch zunehmend jüngere Kinder behandeln. Laut Manny Simons, Geschäftsführer der beteiligten Firma Akouos, ist das Innenohr ein kleiner, abgeschlossener Raum – eine dort angewandte Gentherapie habe daher keine Auswirkungen auf Zellen in anderen Teilen des Körpers.

Doch die Umsetzung bleibt derzeit schwierig: Die Mehrheit der Säuglinge, die mit dieser Taubheit zur Welt kommen, erhielten bereits im frühen Alter Cochlea-Hörimplantate. Sie wären für eine solche Therapie dem Bericht zufolge nicht mehr relevant. (gs)

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