Ex-Botschafter Dominik Langenbacher (72)
«Wir können nicht alle Migranten dem Asylrecht unterstellen»

Dominik Langenbacher war jahrelang Botschafter in afrikanischen Ländern. Im Interview äussert er sich zu den Putschen, dem Einfluss der Russen und Chinesen, dem Arbeitskräftepotenzial, zur verblendeten Migrationspolitik der Schweiz sowie zur «Mohrenkopf»-Diskussion.
Publiziert: 02.10.2023 um 01:31 Uhr
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Aktualisiert: 03.10.2023 um 14:16 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

Afrika ist in Bewegung. Während sich der Westen über die vergangenen Jahre zurückgezogen hat, ist der Einfluss von China und Russland gewachsen. Gleich in mehreren Staaten hat in den vergangenen Monaten die Armee gegen die Regierung geputscht. 

Wohin entwickelt sich der Kontinent mit einer Bevölkerung von 1,2 Milliarden Menschen, die ein mittleres Alter von nur 19 Jahren aufweisen? Wie gross wird der Einfluss von Moskau und China noch werden? Wie könnte die Schweiz junge Arbeitskräfte holen? Der ehemalige Botschafter für die Schweiz in Somalia, Äthiopien und der Elfenbeinküste, Dominik Langenbacher (72), hat dazu pointierte Meinungen. 

Herr Langenbacher, in Afrika wird eine Regierung nach der andern geputscht. Was ist los?
Seit dem Putsch in Mali 2012 haben sich wegen der islamistischen Bedrohung in der Sahelzone die internationalen Beziehungen militarisiert. Auch in anderen Ländern sind bewaffnete Konflikte im Gang. Die Militärs machen heute in Afrika Politik. Die Wirtschaft ist aber im Krebsgang. Seit Donald Trump und dem Brexit hat der Westen deshalb seine Präsenz in Afrika reduziert.

Dominik Langenbacher arbeitete viele Jahre als Botschafter für die Schweiz in afrikanischen Staaten.
Foto: Siggi Bucher
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Der Afrika-Kenner

Dominik Langenbacher (72) ist als Diplomatensohn in Berlin, New York und Bangkok aufgewachsen. Nach dem Jus-Studium in Bern trat er in den diplomatischen Dienst ein. Für die Uno war er Vizepräsident des Entwicklungsprogramms UNDP und arbeitete dann als Koordinator für Somalia. Er war schweizerischer Geschäftsträger in Madagaskar, wo der Dokumentarfilm «Der Diplomat. Dominik Langenbacher in Madagaskar» entstand. Im Justizdepartement war er für die Migration zuständig.

Zuletzt war er Botschafter für die Schweiz in Somalia, Äthiopien und der Elfenbeinküste. Von diesen Orten aus war er jeweils für mehrere afrikanische Länder zuständig. Langenbacher ist seit 1990 mit der Kenianerin Bilha (63) verheiratet und lebt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und in Ferenberg bei Bern. Er ist pensioniert und schreibt auf www.otherPriorities.com regelmässig anekdotische Geschichten aus Afrika. (gf)

Dominik Langenbacher (72) ist als Diplomatensohn in Berlin, New York und Bangkok aufgewachsen. Nach dem Jus-Studium in Bern trat er in den diplomatischen Dienst ein. Für die Uno war er Vizepräsident des Entwicklungsprogramms UNDP und arbeitete dann als Koordinator für Somalia. Er war schweizerischer Geschäftsträger in Madagaskar, wo der Dokumentarfilm «Der Diplomat. Dominik Langenbacher in Madagaskar» entstand. Im Justizdepartement war er für die Migration zuständig.

Zuletzt war er Botschafter für die Schweiz in Somalia, Äthiopien und der Elfenbeinküste. Von diesen Orten aus war er jeweils für mehrere afrikanische Länder zuständig. Langenbacher ist seit 1990 mit der Kenianerin Bilha (63) verheiratet und lebt in der kenianischen Hauptstadt Nairobi und in Ferenberg bei Bern. Er ist pensioniert und schreibt auf www.otherPriorities.com regelmässig anekdotische Geschichten aus Afrika. (gf)

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Welche Rolle spielt dabei die junge Generation?
Sie machen Druck auf ihre Regierungen. Sie wehren sich gegen die kartellisierten Polit-Eliten. Der Westen wird dabei als Partner der korrupten Regierung wahrgenommen. Die Jungen wollen Veränderung. Die Militärs spannen mit ihnen zusammen, wollen aber ihrerseits nur an die Regierungstöpfe.

In unserem Interview vor sechs Jahren bezeichneten Sie Afrika als aufstrebenden Kontinenten. Sagen Sie das nach den Regierungs-Umstürzen immer noch?
Auf jeden Fall. Gerade ist die Afrikanische Union in die G20 aufgenommen worden. Der Kontinent hat Fortschritte gemacht, etwa in der Ernährungssicherheit, in der Ausbildung und in der Gesundheit. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel hört man von Naturkatastrophen und Ernteausfällen, aber kaum mehr von Massensterben wegen Hungers.

Durch den Rückzug der westlichen Verbündeten ist in Afrika ein Vakuum entstanden, das Russland und China füllen wollen. Wie ist deren Einfluss spürbar?
China gibt Kredite für die Infrastruktur und die Wirtschaft, während Russland – vor allem die Wagner-Gruppe – mit Waffen und Ausbildung das Militär unterstützt. Beiden geht es aber um die gleichen Ziele: Rohstoffe und Marktzutritt. 

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Wie tief stecken die beiden Grossmächte schon in den Systemen drin?
Beide agierten bisher recht erfolgreich, wobei die Russen mit den Putschen zurzeit mehr Schwung haben. Aber die Bevölkerung ist nicht zufrieden, weder mit den Chinesen noch mit den Wagner-Söldnern. Die Afrikaner checken, dass es denen nur ums Gold und um andere Bodenschätze geht und sie mit den korrupten Regierungen zusammenspannen.

Wie macht sich die Wagner-Gruppe bemerkbar?
Der militärische Zusammenschluss von Mali, Burkina Faso und Niger, die prorussische Demonstration in Ghana und militärische Bewegungen von Niger an seiner südlichen Grenze zu Benin tragen sicher die Handschrift der Wagner-Gruppe. Die Afrikanische Union, deren beide betroffenen Regionalorganisationen und die verdrängten politischen Eliten werden aber in Zusammenarbeit mit der Uno und dem Westen dauerhaften Militärregimes den Riegel schieben.

Wie weit werden Moskau und Peking ihren Einfluss noch ausbauen können?
Sie werden sich nicht halten können. Der Honeymoon der Afrikaner mit den Chinesen ist definitiv vorbei, auch jener mit den Russen wird nicht lange dauern. Die jungen Afrikaner wollen Teil des Westens sein. Sie werden sich von den Chinesen und Russen abwenden.

Gibt es eine Möglichkeit für den Westen, seinen Einfluss in Afrika zurückzugewinnen?
Die afrikanischen Staaten führen neuerdings ihre massive Verschuldung auf den Klimawandel zurück. Einerseits ist dies wegen ihrer Misswirtschaft und Korruption natürlich scheinheilig. Andererseits trägt Afrika mit nur vier Prozent des globalen CO2-Ausstosses kaum etwas zur Klimakrise bei, muss aber die weltweit schwersten Folgen ertragen. Es finden erste Verhandlungen statt, in denen einzelne westliche Länder ihre Schulden erlassen und die afrikanischen Staaten dafür mit dem frei werdenden Betrag in ihrem Land die Klimafolgen bekämpfen. In solchen sogenannten CO2-Swaps sehe ich die Möglichkeit einer neuen Annäherung. 

Wie wird sich Afrika nach den Putschen weiterentwickeln?
Die Militärs werden sich nicht durchsetzen. Das hat sich in Mali gezeigt, wo es seit dem Putsch 2012 innerhalb des Militärs immer wieder zu Machtwechseln gekommen ist. Sie werden in die Kasernen zurückkehren und neuen – und alten – politischen Eliten Platz machen. Afrika wird weitere Fortschritte machen, trotz allem.

Im letzten Interview sagten Sie, dass viele afrikanische Asylbewerber ungerechtfertigterweise in der Schweiz Asyl erhalten hätten. Halten Sie an dieser Aussage fest?
Ja. Und da hat sich die Schweiz selber etwas eingebrockt. Gerade bei Eritrea hat man zu lange mit der allgemeinen Menschenrechtslage argumentiert und dessen Migranten als Asylbewerber aufgenommen. Es gab ausser in bestimmten Kriegszeiten keinen Grund, alle Eritreer aufzunehmen.

Viele flüchteten, weil sie zwangsrekrutiert wurden…
Auch in der Schweiz muss man ins Militär, auch in der Ukraine werden Männer zwangsrekrutiert. Das ist kein Grund für eine Aufnahme.

In der Schweiz brauchen wir Arbeitskräfte. Wie könnte man Menschen von einem Kontinent, wo eine enorme Arbeitslosigkeit herrscht, holen und in die Arbeitswelt integrieren?
Das Problem in der Schweiz ist, dass wir ausser mit der EU keine Arbeitsmigration zulassen. Menschen aus Nicht-EU-Staaten können nur über eine konkrete Vermittlung für einen bestimmten Arbeitgeber in die Schweiz kommen. Hier müsste die Politik handeln und dafür sorgen, dass wir auch aus Drittländern Einreise für Arbeit vorsehen und regeln. Wir können auf die Länge nicht einfach alle Migranten dem Asylrecht unterstellen.

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Wie soll das geschehen?
Wir müssten mit afrikanischen Ländern verhandeln und Kontingente schaffen. Personen könnten mit einem Visum zum Arbeiten in die Schweiz kommen, dafür müsste das entsprechende Land Leute, die es hier nicht geschafft haben, zurücknehmen. Bedingung für eine Einreise in die Schweiz wäre, dass sie sich hier bewähren und auf eigenen Beinen stehen können. Sonst müssten sie wieder die Heimreise antreten. 

Sie selber haben mehrere Jahre in Afrika gearbeitet und eine Kenianerin geheiratet. Was fasziniert sie an diesem Kontinent?
Die kulturellen Verschiedenheiten zwischen unserer westlichen und der afrikanischen Welt. Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass es falsch ist zu glauben, nur wir würden richtig leben und denken. Die Afrikaner leben in zwei Welten: Sie beherrschen unsere Welt und haben gleichzeitig eine ursprüngliche Lebensrealität, so wie ich mir Leben vorstelle. In einigen Generationen könnte sich dies allerdings verlieren. 

Seit dem Putsch in Niger sprechen viele den Namen des Landes nur noch französisch mit «Nischer» aus, weil es mit «g» diskriminierend töne. Auch das Wort «Mohrenkopf» wurde durch Schokokuss ersetzt. Was halten Sie – als Afrika-Kenner und Ehemann einer Afrikanerin – von dieser Diskussion?
Meine Frau und ich schütteln über solche Sprachakrobatik in der Schweiz nur den Kopf. Das ist woke und identitäre Ideologie, die mit Afrika, wie ich es kenne, nichts zu tun hat.

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