Blick-Reporter Scheiber auf den Spuren der radikalen Gläubigen
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Nach Islamisten-Demo:Blick-Reporter Scheiber auf den Spuren der radikalen Gläubigen

Experte Ahmad A. Omeirate über die wachsende Gefahr
«Islamistisches Gedankengut wird nicht einfach an der Grenze abgelegt»

Der Islamismus hat in Europa Fuss gefasst. Im Interview erklärt der libanon-stämmige Experte Ahmad A. Omeirate, wo Gefahr droht und wie man den Extremisten auf einfache Weise den Riegel schieben könnte.
Publiziert: 14.11.2023 um 00:56 Uhr
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Aktualisiert: 14.11.2023 um 18:28 Uhr

Dschihadistische Fahnen und Forderung nach einem Kalifat: Der Umzug der Islamisten in der deutschen Stadt Essen Anfang November schockierte ganz Europa. Der deutsche Islamismusexperte Ahmad A. Omeirate (39) erklärt, wie und wo sich Muslime radikalisieren und wie man sie stoppen kann.

Herr Omeirate, wie haben Sie reagiert, als Sie von der Demonstration in Essen und andern deutschen Städten gehört haben?
Ahmad A. Omeirate: Ich habe tatsächlich schon im Vorfeld erkannt, dass Islamisten mobilisiert haben und es sich nicht um eine gängige Pro-Palästinenser-Demonstration handeln sollte. Es war offensichtlich, dass es den Initiatoren der Demonstration um die Emotionalisierung und Instrumentalisierung des Konflikts ging.

Woran haben Sie das erkannt?
Auf Social Media wurde die Demonstration von einschlägig bekannten Accounts beworben, die der panislamistischen Bewegung Hizb ut-Tahrir, auf Deutsch Partei der Befreiung, nahestehen.

Ahmad A. Omeirate arbeitet seit mehreren Jahren zu den Themen Interkulturalität, Islamismus, Antisemitismus und Clankriminalität.
Foto: imago images/Future Image
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Worum ging es den Initiatoren?
Um Rekrutierung, Mobilisierung und Radikalisierung von Teilnehmern sowie die Forderung eines Kalifats und der Vernichtung Israels.

Die Polizei Essen sagte gegenüber Blick, dass die Kundgebung friedlich verlaufen sei und man keine Verstösse gegen das Gesetz festgestellt habe. Wie sehen Sie das?
Friedlich kann sie nicht gewesen sein, wenn ganz gemäss der Scharia geschlechtergetrennt demonstriert, Israel als Kindermörder beschimpft und ein Kalifat gefordert wurde. Der Redner hat selber verkündet, dass ihm die Polizei im Vorfeld gewisse Äusserungen verboten habe. Er hat sie dennoch gemacht.

Auch islamistische Fahnen wurden gezeigt…
Viele der Demonstranten wurden intern instruiert, wie sie unter dem Radar der Polizei durchschlüpfen können und haben daher verbotene Fahnen leicht verändert. Aber auch nicht verbotene Symbole sind problematisch. Es wurden Fahnen gezeigt, unter denen in dschihadistischen Kreisen Andersgläubige wie Armenier, Assyrer und Jesiden verfolgt und ermordet wurden.

Was meinten die Demonstranten eigentlich mit der Forderung nach einem Kalifat? Wollen Sie die ganze Welt beherrschen?
Es gibt zwei Interpretationen. Der Verfassungsschutz geht tatsächlich davon aus, dass die Bewegung direkt ein weltweites Kalifat anstrebt. Meiner Meinung nach fokussieren sie sich aber zuerst auf die arabisch-muslimischen Länder im Nahen Osten. Sie wollen an das ehemalige islamische Reich und an die glorreiche Zeit der Frühmuslime vom siebten bis neunten Jahrhundert anknüpfen. Und da steht ihnen die aktuellen arabischen Machthaber sowie Israel im Wege.

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«Eine Radikalisierung findet sukzessiv im kleinen Kreise statt und nie von heute auf morgen.»
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Was sind das für Leute, die in Deutschland ein Kalifat fordern? Wo haben sie sich radikalisiert?
Das ist unterschiedlich. Viele sind hier geboren und aufgewachsen oder sind zum Islam konvertiert und werden von islamistischen Mitstreitern rekrutiert, instrumentalisiert und radikalisiert. Auf der andern Seite bringen einige Migranten ihr Gedankengut mit. Dieses wird nicht einfach an der Grenze zu Europa abgelegt.

Wo findet bei in Deutschland aufgewachsenen Muslimen die Radikalisierung statt?
Einerseits in bestimmten Moscheen, Einrichtungen, Vereinen, aus denen nicht viel an die Öffentlichkeit dringt. Sehr viel passiert aber in den sozialen Medien, wo man auf einfache Weise Videos und Bilder aus dem Gazastreifen und andere Propaganda teilen kann. Eine Radikalisierung findet sukzessiv im kleinen Kreise statt und nie von heute auf morgen.

Wie gross ist die Gefahr, dass sich angepasste Muslime von Islamisten vereinnahmen lassen und selber radikal werden?
Gerade beim Nahost-Konflikt schaltet sich bei vielen die Rationalität aus, es geht nur um Emotionen. Wenn jemand psychisch labil ist, besteht die Gefahr, dass er oder sie bei Islamisten Anschluss findet und sich islamistisch betätigt.

Wie schätzen Sie die in Deutschland aktiven Gruppierungen wie Generation Islam, Realität Islam oder Muslim Interaktiv ein?
Es sind genau jene Bewegungen, die im Netz für Stimmung sorgen und auf der Strasse mobilisieren können. Sie nutzen Konflikte wie jetzt im Nahen Osten aus, um ihre Propaganda vor allem unter Jungen und auch unter Nicht-Muslimen zu verbreiten. Viele Muslime lassen sich von den Namen der Organisation verführen und merken gar nicht, dass es sich um sektenartige Gruppierungen handelt, die der verbotenen Hizb ut-Tahrir Bewegung nahestehen.

Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Liegt es an der unkontrollierten Zuwanderung von 2015?
Es kamen tatsächlich Menschen, die ein antisemitisches Weltbild vertreten. Aber schon früher verzeichnete man grosse Einwanderungswellen, etwa als der damalige syrische Präsident Hafiz al-Assad Menschen in Hama massakrierte oder aus dem Bürgerkrieg im Libanon. Mit jeder Bewegung wurden Ideologien transportiert, zu der man sich öffentlich nicht bekennt. So geben sich Funktionäre bestimmter Institutionen oft gegen aussen demokratisch, sind im Innern aber demokratiefeindlich.

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«Nur schon die Sperrung von Social-Media-Konten würde viel bringen.»
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Wie muss die Politik gegen den aufkommenden Islamismus ankämpfen?
Nur schon die Sperrung von Social-Media-Konten würde viel bringen, damit das Gift zumindest nicht mehr ungefiltert in den Zimmern von Kindern und Jugendlichen ankommt. Darüber hinaus muss die Politik endlich begreifen, dass sie Islamismus nicht mit Islamismus bekämpfen kann. Organisationen wie der Zentralrat der Muslime in Deutschland, Milli Görüs, DITIB oder Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands vertreten nicht die Interessen der Muslime, sondern in erster Linie sich selbst und ihre islamistische Agenda.

Müssen wir uns damit abfinden, dass Islamismus heute praktisch zu Europa gehört?
Wenn uns die muslimische Welt vor islamistischen Bewegungen warnt, die sie schon lange loshaben will und die hier in Europa gedeihen und quasi auch die Politik mitbestimmen, darf man sich nicht wundern, wenn der Islamismus hier zum Problem wird. Wohlgemerkt, es geht nicht um einzelne Muslime, sondern um den Einfluss der Funktionäre. Wir müssen ihnen den Hahn zudrehen.

Wie schlimm ist die Situation im übrigen Europa?
Im Verhältnis etwa zu Frankreich oder Grossbritannien ist Deutschland gar nicht so schlecht aufgestellt. Hier wird Gegensteuer gegeben, wenn auch nicht so stark, wie man es sich aus liberaler Sicht wünscht. Gerade gegenüber Funktionären ist man hier sehr freundlich. In Frankreich hat die Bekämpfung nicht die gewünschten Resultate gebracht und in Österreich ist sie am Scheitern.

Im Koran steht, dass Muslime Ungläubige töten sollen. Kann es überhaupt einen friedlichen Islam geben, wenn Muslime glauben, sich an dieses Gesetz halten zu müssen?
Der Koran ist chronologisch aufgebaut. Wenn in einem Vers etwas steht und in einem späteren Vers das Gegenteil, so muss man sich an die jüngere Aussage halten. Das tun aber die Islamisten nicht. Sie reissen genau das heraus, was ihnen passt, um ihre islamistische Agenda zu zementieren.

Vom Flüchtling zum Islamismus-Experten

Ahmad A. Omeirate wurde 1984 als Sohn libanesischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Berlin-Neukölln geboren. Er studierte Wirtschaft- und Islamwissenschaft und arbeitet seit mehreren Jahren zu den Themen Interkulturalität, Islamismus, Antisemitismus und Clankriminalität.

Ahmad A. Omeirate wurde 1984 als Sohn libanesischer Bürgerkriegsflüchtlinge in Berlin-Neukölln geboren. Er studierte Wirtschaft- und Islamwissenschaft und arbeitet seit mehreren Jahren zu den Themen Interkulturalität, Islamismus, Antisemitismus und Clankriminalität.

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