Experte über die israelischen Attacken im Libanon mit rund 500 Toten
«Zivile Opfer werden billigend in Kauf genommen – das ist Teil der Strategie»

Israels Armee startete in den letzten Tagen intensive Angriffe auf Ortschaften im Südlibanon. Fast 500 Menschen starben. Nun zeigen Aussagen des Militärs: Israel möchte die Hisbollah durch flächendeckenden Beschuss zu Verhandlungen zwingen. Ein Experte schätzt ein.
Publiziert: 24.09.2024 um 11:11 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2024 um 14:38 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Israel plant grossangelegte Angriffe im Osten des Libanon
  • Strategie: Hisbollah durch Eskalation an Verhandlungstisch zwingen
  • Fast 500 Menschen durch Luftangriffe ums Leben gekommen
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Opfer suchen nach ihren Habseligkeiten, nachdem eine Apotheke getroffen worden war.
Foto: AFP
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Janine EnderliRedaktorin News

Die Spannungen zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz im Libanon haben sich in den vergangenen Tagen zugespitzt. Nach massiven Luftangriffen auf Hisbollah-Stellungen in Beirut und der Bekaa-Ebene kamen fast 500 Menschen ums Leben. Als Nächstes plant Israel nach eigenen Aussagen grossangelegte Angriffe im Osten des Libanon.

Hinter den blutigen Operationen soll offenbar eine Strategie stecken, wie ein Bericht der amerikanischen Nachrichtenseite «Axios» verrät. Der Plan: Durch eine erhöhte Eskalationsstufe soll die Hisbollah an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Israelische Beamte führten aus, dass die Hisbollah mithilfe von «Deeskalation durch Eskalation» so weit geschwächt werden soll, bis die Miliz keine andere Option als Verhandlungen übrig hat. Nahost-Experte Andreas Böhm ordnet Israels Strategie ein.

«Dass zivile Opfer billigend in Kauf genommen werden, ist Teil der Strategie»

«‹Deeskalation durch Eskalation› ist natürlich Rhetorik oder Propaganda», vermutet Böhm, der an der Universität St. Gallen lehrt und selbst schon Studien zum Libanon verfasst hat. «Es geht darum, möglichst viele Waffen- und Munitionslager der Hisbollah zu zerstören. Dass dabei eher flächendeckend als zielgerichtet vorgegangen wird und zivile Opfer billigend in Kauf genommen werden, ist Teil der Strategie», unterstreicht Böhm. 

Teil jeder solchen Strategie sei, dass die eigene Position vis-à-vis dem Gegner gestärkt werde, wenn es um künftige Verhandlungen geht. Konkret heisst dies: Die Hisbollah soll hinter den Fluss Litani zurückgedrängt werden. «Aber vorher soll sie so viel wie möglich geschwächt werden.»

Libanesen fordern Ende des Konflikts

Klar ist: Zahlreiche hochrangige Hisbollah-Kommandanten wurden in den letzten Wochen durch israelische Angriffe eliminiert. Dies setzt die Miliz enorm unter Druck. Beobachter sprechen von den schwersten Schlägen, die die Hisbollah in jüngster Zeit hinnehmen musste.

Die Schläge hinterliessen im Libanon bereits Eindruck. Teile der Öffentlichkeit kritisieren die Raketenangriffe der Hisbollah und fordern ein Ende des Konflikts. Die Zeitung «An-Nahar» richtete deutliche Worte an Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah (64): «90 Prozent der Libanesen fordern die Einstellung des Konflikts mit Nachdruck von Ihnen, Herr Nasrallah.» 

«Dann ist eine Bodenoffensive im Bereich des Möglichen»

Obwohl die USA die Unterstützung Israels im Grundsatz weiter bekräftigen, scheint Israels wichtigster Verbündeter an Einfluss auf die Militärspitze zu verlieren. Der Experte glaubt: «Die US-Regierung hat sich resignierend zurückgezogen und den Versuch aufgegeben, Einfluss auszuüben. Ein Angriff auf den Libanon war eine der vielen roten Linien, die Biden aufgegeben hat.» 

Böhm vermutet, dass die gegenseitigen Angriffe weitergehen werden. Auf eine potenzielle israelische Bodenoffensive im Libanon angesprochen, sagt der Experte: «Wenn es stimmt, dass Israel die Uno Grenztruppe Unifil aufgefordert hat, abzuziehen, ist eine Bodenoffensive zumindest im Bereich des Möglichen.» Die UN-Beobachtermission setzte ihre Patrouillen im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon wegen der erhöhten Gefahr für ihr Personal am Dienstagmorgen vorübergehend aus. Das Risiko aufgrund des gegenseitigen Beschusses mache es zurzeit nötig, dass die Blauhelmsoldaten in ihren Stützpunkten bleiben, sagte ein UN-Sprecher. Einige zivile Mitarbeiter der Friedensmission seien mit ihren Angehörigen in Richtung der weiter nördlich gelegenen Hauptstadt Beirut geschickt worden. 

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