FDP-Politiker Thomas Kemmerich war nur einen Tag lang Ministerpräsident von Thüringen – aber die Krise, die seine Wahl auslöste, bleibt
Der 24-Stunden-Mann

Es ist die kürzeste Amtszeit, die ein Ministerpräsident in Deutschland je im Amt war. Nach der Skandal-Wahl von Thüringen räumte FDP-Mann Thomas Kemmerich (54) seinen Job. Nach Druck von aussen.
Publiziert: 07.02.2020 um 11:05 Uhr
Gibt sein Amt wieder ab: Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich liess sich mit Hilfe der AfD zum Ministerpräsidenten wählen.
Foto: DUKAS
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Fabienne Kinzelmann

Nur 24 Stunden lang war Thomas Kemmerich (54) als Thüringens Ministerpräsident im Amt. Nun musste er schon wieder seinen Rückzug verkünden. «Der Rücktritt ist unumgänglich», gab er gestern kleinlaut zu. Am Vortag war er mit Stimmen der rechtspopulistischen AfD überraschend ins höchste Amt des ostdeutschen Bundeslands gewählt worden.

FDP-Parteichef Christian Lindner (41) hat Kemmerich zurückgepfiffen. Und das, nachdem er selbst offenbar noch grünes Licht für die Wahl gegeben hat. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer (57) hatte ihn vor dem möglichen AfD-Coup gewarnt. Trotzdem haben die Liberalen von der verbotenen Frucht genascht: Sie liessen es wissentlich und willentlich geschehen, dass die Rechtspopulisten unter AfD-Landeschef Björn Höcke (47) im entscheidenden dritten Wahlgang (bei dem eine einfache Mehrheit reicht) nicht für ihren eigenen Ministerpräsidentenkandidaten stimmten, sondern für den von der CDU unterstützten Kemmerich.

Der Sündenfall – besonders für die FDP

Und das, obwohl sich das linke und das bürgerliche Lager seit Jahren mit aller Kraft gemeinsam gegen die Rechtspopulisten stemmen. Kemmerichs Wahl wird damit zum Sündenfall – besonders für die FDP. Die Liberalen machen nun auf dem Absatz kehrt. Der Gegenwind war schlicht zu stark.

AfD beisst sich die Zähne aus

Mit demokratischen Mitteln wurde die AfD in den letzten Jahren schon mehrmals ausgebremst.

1. Kein Bundestags-Vize

Im Bundestag steht jeder Fraktion ein Posten im Parlamentspräsidium zu. Sie braucht für ihren Kandidaten aber eine Mehrheit. Seit der Bundestagswahl im September 2017 lassen die anderen Parteien die AfD auflaufen: Im vergangenen Dezember fiel bereits der vierte Kandidat der Rechtspopulisten durch.

2. Kenia-Koalitionen

In allen 16 Landtagsparlamenten sind die Rechtspopulisten mittlerweile vertreten. Doch niemand will mit ihnen regieren. Das führt zu neuen Bündnissen und Farbenlehren: Nach Sachsen-Anhalt schlossen sich CDU, SPD und Grüne auch in Sachsen und Brandenburg 2019 zu einer schwarz-rot-grünen «Kenia-Koalition» zusammen.

3. Kein AfD-Bürgermeister

Bei der Bürgermeisterwahl in Görlitz unterstützten Grüne und Linke den CDU-Politiker Octavian Ursu (52), um den ersten AfD-Bürgermeister zu verhindern. Der setzte sich mit Hilfe des linken Lagers vergangenen Juni in der Stichwahl mit 55,2 zu 44,8 Prozent gegen den AfD-Kandidaten durch. Fabienne Kinzelmann

Mit demokratischen Mitteln wurde die AfD in den letzten Jahren schon mehrmals ausgebremst.

1. Kein Bundestags-Vize

Im Bundestag steht jeder Fraktion ein Posten im Parlamentspräsidium zu. Sie braucht für ihren Kandidaten aber eine Mehrheit. Seit der Bundestagswahl im September 2017 lassen die anderen Parteien die AfD auflaufen: Im vergangenen Dezember fiel bereits der vierte Kandidat der Rechtspopulisten durch.

2. Kenia-Koalitionen

In allen 16 Landtagsparlamenten sind die Rechtspopulisten mittlerweile vertreten. Doch niemand will mit ihnen regieren. Das führt zu neuen Bündnissen und Farbenlehren: Nach Sachsen-Anhalt schlossen sich CDU, SPD und Grüne auch in Sachsen und Brandenburg 2019 zu einer schwarz-rot-grünen «Kenia-Koalition» zusammen.

3. Kein AfD-Bürgermeister

Bei der Bürgermeisterwahl in Görlitz unterstützten Grüne und Linke den CDU-Politiker Octavian Ursu (52), um den ersten AfD-Bürgermeister zu verhindern. Der setzte sich mit Hilfe des linken Lagers vergangenen Juni in der Stichwahl mit 55,2 zu 44,8 Prozent gegen den AfD-Kandidaten durch. Fabienne Kinzelmann

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Tausende gingen am Mittwochabend gegen die Wahl auf die Strasse, selbst aus den eigenen Reihen hagelte es Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (65) meldete sich vom Staatsbesuch in Südafrika zu Wort: «Die Wahl dieses Ministerpräsidenten war ein einzigartiger Vorgang, der mit einer Grundüberzeugung für die CDU und auch für mich gebrochen hat, dass nämlich keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen.»

Kemmerich hat keine Mehrheit im Thüringer Landtag. Mit nur 73 Stimmen mehr als nötig schafften die Liberalen bei der Wahl im vergangenen Oktober überhaupt nur knapp den Einzug. Ein völlig unbekannter Vertreter einer Mini-Fraktion wird mit Hilfe von Rechtspopulisten überraschend Ministerpräsident. Demokratie oder nicht? Selbst die FDP hat mittlerweile eingesehen: nein.

Kemmerich rudert zurück

«Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen», sagte Kemmerich bei seiner Rücktrittserklärung. «Demokraten brauchen demokratische Mehrheiten. Die sich offensichtlich in diesem Parlament nicht herstellen lassen.» SPD und Grüne hatten ihm da für eine künftige Zusammenarbeit längst eine Absage erteilt, die letzte Hoffnung auf eine Minderheitsregierung hatte sich spätestens mit Angela Merkels Machtwort erledigt.

Die FDP-Fraktion werde die Auflösung des Thüringer Landtags beantragen, so 24-Stunden-Mann Kemmerich. Damit wolle man Neuwahlen herbeiführen und den «Makel» von seiner Wahl nehmen.

Knall bis in die Bundespolitik

Nur 24 Stunden später ist es dafür aber schon zu spät. Der Thüringer Wahl-Knall wirkt bis in die Bundespolitik – und gefährdet Merkels seit Monaten wacklige Grosse Koalition. Die FDP könnte die Quittung bereits bei der Bürgerschaftswahl am 23. Februar in Hamburg erwarten. Für Parteichef Christian Lindner kommt sie eventuell sogar noch früher: Er will noch heute innerhalb des Vorstands die Vertrauensfrage stellen.

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