Finnlands Umweltministerin warnt vor lahmer Klimapolitik
«Die Asiaten hängen Europa ab!»

Niemand will schneller klimaneutral sein als Finnland. Umweltministerin Krista Mikkonen erklärt, welche Rolle Atomkraft spielt, was die Schweiz lernen kann – und warum noch nie so viel Geld da war wie jetzt.
Publiziert: 10.01.2021 um 10:29 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2022 um 17:19 Uhr
Interview: Fabienne Kinzelmann

Machen die Finnen eigentlich gerade irgendwas falsch? In ihrer Regierung sitzen mehr Frauen als Männer, sie haben die Corona-Krise mit nur 586 Todesfällen im Griff – und dann wollen sie auch noch bis 2035 klimaneutral werden. Ganze 15 Jahre früher als die Schweiz! Wie soll das funktionieren? SonntagsBlick hat bei Umweltministerin Krista Mikkonen nachgefragt.

Sie wollen als erstes Land der Welt klimaneutral werden. Sind Sie auf dem richtigen Weg?
Krista Mikkonen: Als wir uns dieses Ziel gesetzt haben, wussten wir nicht, was auf uns zukommt. Wir haben vor einem Jahr einfach unseren nationalen Klimarat gefragt: Wann müssen wir klimaneutral sein, um das Abkommen von Paris einzuhalten? Und der hat uns klar gesagt: 2035. Um das zu schaffen, arbeiten wir an Roadmaps – für Mobilität und Industrie bis hin zu den Steuern. Die Steuern für Torf haben wir schon verdoppelt. Es ist sehr wichtig, möglichst detaillierte Pläne zu haben. Auch für die Unternehmen, damit sie planen können. Wenn sie wissen, dass der Preis für fossile Energien beständig steigt, lohnt sich das Investieren nicht.

Wissen Sie schon, wie sehr Sie Ihre Emissionen im vergangenen Jahr runterbekommen haben?
Nein, leider noch nicht. Aber wir haben uns Ziele in jedem Bereich gesetzt und berechnet, wie viele Emissionen uns etwa diese Steuerverdopplung bringt. 15 Jahre sind für unser Ziel gleichermassen ein langer wie ein kurzer Zeitraum. Deswegen ist es so wichtig, diese Pläne rechtzeitig zu machen.

Die Grünen-Politikerin Krista Mikkonen (48) verantwortet seit Juni 2019 das Umweltdepartement in Finnland.
Foto: Finnish Government
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Mindestens 75 Länder bekennen sich mittlerweile zu einem Netto-null-Ziel, die EU setzt aber – wie auch die Schweiz — erst auf 2050.
Die EU hat sich jetzt immerhin ein Zwischenziel bis 2030 gesetzt. Aber ich finde, das müsste viel höher sein. Die EU sollte vorangehen, so wie das die nordischen Länder und Grossbritannien machen. Ich finde es auch vielversprechend, all die Anstrengungen der asiatischen Länder wie Japan, Südkorea und China oder von Südafrika zu sehen. Es geht um «jetzt oder nie» – besonders mit dem Geld zum Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Corona-Krise. Viele Länder setzen diese Gelder sehr weise ein und stellen sicher, dass sie klimatechnisch wirklich einen Unterschied machen.

Wie kann ich mir Finnland im Jahr 2035 vorstellen?
Nicht so anders als heute. Der Wandel wird für uns im Alltag keinen grossen Unterschied machen – es ist ja nicht so, dass wir auf Strom oder Transport verzichten. Die Energie kommt einfach aus anderen Quellen als heute.

Etwa aus Atomkraftwerken?

Wir planen keine neuen Atomkernkraftwerke. Die bestehenden Kernkraftwerke sind aber eingeplant und sollten auch bis zu Ende laufen. Zwei Atomkraftwerke sind noch im Bau, davon bräuchten wir nur eins und das würde 2080 auslaufen. Danach sind wir für unsere Klimaneutralität nicht mehr auf Atomkraft angewiesen.

Wie planen Sie, die Emissionen loszuwerden, die im Ausland entstehen?
Das ist ein grosses Problem, an dem wir arbeiten. Wir wissen, dass etwa importierte Produkte viele Emissionen verbrauchen. Wir wissen aber ehrlich gesagt noch nicht, wie wir die sauber berechnen. Idealerweise würde das Produktionsland den Treibhausgasausstoss selbst minimieren.

Wie finanzieren Sie all Ihre Pläne denn – ausser durch höhere Steuern?
Wir haben viele Subventionen, um die fossilen Energien loszuwerden. Und so viel Geld wie jetzt war ja noch nie da – nicht nur bei uns, auch bei den anderen Ländern. Die Corona-Wiederaufbauhilfen für den Übergang zu einer emissionsarmen Gesellschaft einzusetzen, ist eine einmalige Chance.

Wie haben Sie das mit der finnischen Fluggesellschaft gehalten, als die Flugzeuge urplötzlich stillstehen mussten?
Die haben zumindest nicht direkt Geld erhalten. Aber weil sie teilweise in Staatsbesitz ist, hat Finnland mehr Anteile gekauft.

An der Torfindustrie, der Sie mit Steuern an den Kragen gehen, hängen in Finnland rund 4000 Arbeitsplätze. Wie wollen Sie die langfristig retten?
Es sind eher 2000 direkt in der Torfindustrie. Den Menschen, deren Arbeitsplätze wegfallen, müssen wir neue Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bieten und ihnen helfen, einen neuen Job zu finden. Das Gute an der Torfindustrie ist, dass wir auch für Rückbau und Renaturierung viele Arbeitskräfte brauchen werden. Diese Jobs sind dann sogar schon in den betreffenden Regionen.

Kann Finnland mit seinen 5,5 Millionen Einwohnern global einen Unterschied machen – und haben Sie nicht Angst um Ihre Wettbewerbsfähigkeit?
Der Wettbewerb sollte sich darum drehen, wer zuerst klimaneutral ist. Das wäre das Beste für den Planeten und für uns alle. Die Steuern werden uns langfristig eher einen Vorteil verschaffen – das sieht auch unsere Industrie mittlerweile so. Und wir Finnen sind sehr gut darin, technische Lösungen zu finden, zum Beispiel bei klimafreundlichen Heizsystemen. Die könnten wir weltweit verkaufen. Ich sorge mich eher, dass Europa von den Asiaten abgehängt wird. Die EU wird ihre Vorreiterrolle verlieren und damit auch ihre Wettbewerbsfähigkeit, wenn sie sich nicht anstrengt. Das schadet dann automatisch auch unserer finnischen Industrie.

Macht der hohe Frauenanteil in Ihrer Regierung einen Unterschied bei Ihrer Klimapolitik?
Das kann ich mir gut vorstellen. Viele Studien zeigen ja, dass Frauen eine progressivere Umweltpolitik befürworten. Ich kenne aber auch viele männliche Politiker, die eine ambitionierte Klimapolitik vorantreiben.

Was kann die Schweiz von Finnland lernen?
Dass man alle Sektoren einbeziehen muss und Regierungen nichts allein machen können. Und man braucht die Gesellschaft: die Älteren, die Organisationen, die Kirchen, Städte und Gemeinden. Sie alle müssen darüber nachdenken, was sie gegen den Klimawandel tun können, sich ein gemeinsames Ziel setzen und die Klimapolitik unterstützen.

Wie haben Sie denn Ihre Industrie überzeugt?
Wir haben zuallererst die grössten Industrien eingeladen, mit uns Roadmaps zu erstellen: Chemie, Holz, Technologie und Energie. Dann wurde es ein Selbstläufer. Selbst die kleinsten Industrien wollten plötzlich ihre eigenen Roadmaps haben. Darauf bin ich sehr stolz, weil es bedeutet, dass wir die Leute auf die richtige Weise einbezogen haben.

Zur Person

Die Grünen-Politikerin Krista Mikkonen (48) ist seit Juni 2019 Umweltministerin. Sie ist Teil der finnischen Regierungskoalition. Seit Amtsantritt von Sanna Marin (35) ist diese rein weiblich geführt. Mikkonen ist studierte Biologin und Mutter von drei Kindern.

Die Grünen-Politikerin Krista Mikkonen (48) ist seit Juni 2019 Umweltministerin. Sie ist Teil der finnischen Regierungskoalition. Seit Amtsantritt von Sanna Marin (35) ist diese rein weiblich geführt. Mikkonen ist studierte Biologin und Mutter von drei Kindern.

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