Fünfte Amtszeit gesichert
Doch was passiert, wenn Putin nicht mehr ist?

Viele können sich ein Russland ohne Putin an der Spitze kaum mehr vorstellen. Doch was passiert, wenn er nicht mehr ist? Ein Blick in andere Länder mit Langzeitherrschern zeigt: Es wird wohl alles beim Alten bleiben.
Publiziert: 18.03.2024 um 00:06 Uhr
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Die fünfte Amtszeit, das dritte Jahrzehnt als mächtigster Mann Russlands: So sieht die Zukunft von Wladimir Putin (71) aus. Das russische Staatsfernsehen erklärte den 71-Jährigen am Sonntag nach Schliessung der Wahllokale auf Grundlage mehrerer Wählernachbefragungen zum Sieger. Demnach soll er mindestens 87 Prozent der Stimmen gewonnen haben. Bei der Wahl waren keine echten Oppositionskandidaten zugelassen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Putins politische Karriere das Stadium «Präsident auf Lebzeiten» erreicht hat.

Seine erneute Ernennung offenbart jedoch eine unangenehme Tatsache für die künftige politische Stabilität Russlands: Der Präsident und sein Umfeld haben keine sichtbaren Vorbereitungen für eine Nach-Putin-Ära getroffen. Im Jahr 2020 stimmten die russischen Wähler für Verfassungsänderungen, die es Putin ermöglichen würden, bis 2036 an der Macht zu bleiben. Was danach passiert, weiss niemand.

Putin hat «absolute Unterstützung» des Volkes

Der Kreml hat deutlich gemacht, dass er keine Alternativen zu seinem System der Ein-Mann-Herrschaft am Horizont sieht. «Wenn wir davon ausgehen, dass der Präsident als Kandidat antritt, dann ist es offensichtlich, dass es in der gegenwärtigen Phase keinen wirklichen Wettbewerb um das Präsidentenamt geben kann», sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow (56) und fügte hinzu, dass Putin «die absolute Unterstützung der Bevölkerung geniesst».

Was passiert, wenn Kremlchef Wladimir Putin nicht mehr ist?
Foto: IMAGO
Die fünfte Amtszeit, das dritte Jahrzehnt an der Macht: Wladimir Putin sitzt fest im Sattel.
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Einige Kreml-Beobachter, wie der CNN-Journalist Nathan Hodge, stellen fest, dass die Wiederwahl Putins ein Problem aufzeigt: Das System, das in den vergangenen zwei Jahrzehnten unter seiner Herrschaft aufgebaut wurde, ist brüchig, gerontokratisch und anfällig für einen grossen Schock, wenn die Person an der Spitze wegfällt. Für den Mann, der heute der dienstälteste russische Staatschef seit dem sowjetischen Diktator Joseph Stalin (1878–1953) ist, mag das keine dringende Angelegenheit sein – sollte es aber.

Kremlchef kam Machtverlust gefährlich nahe

Denn in den vergangenen Jahren kam Putin einem Machtverlust gefährlich nahe: Im Juni 2023 sah er sich mit der grössten Bedrohung seiner Macht konfrontiert, als sein ehemaliger Verbündeter Jewgeni Prigoschin (1961–2023) eine bewaffnete Rebellion anzettelte und seine Truppen aufforderte, nach Moskau zu marschieren und die russische Militärführung zu stürzen. Und wer weiss, was passiert, wenn Russland den Ukraine-Krieg verlieren sollte. Hinzu kommen Gerüchte über seine schlechte Gesundheit. Was passiert also, wenn Putin plötzlich nicht mehr ist?

Es ist verlockend zu glauben, dass Russland seine diktatorischen Fesseln abschütteln, seine Beziehungen zum Westen normalisieren und den Weg der Demokratie einschlagen würde, wenn Putin von der Macht entfernt würde, zum Beispiel durch einen Palastputsch. Ein solches Denken ist jedoch falsch. Die Geschichte zeigt, dass die Aussichten für Russland schwierig sind.

Die sicherste Garantie dafür, dass Russland keine demokratischen Reformen durchführen wird, ist die Macht seiner Sicherheits- und Geheimdienste. In den entscheidenden Momenten der sowjetischen und postsowjetischen Geschichte, inmitten von Putschen, Beinahe-Putschen, Reformen und Revolutionen, haben der KGB und seine Nachfolger stets als Königsmacher fungiert. Ihre Macht ist beständig geblieben. Es gibt wenig Grund zur Annahme, dass sie das nicht wieder tun werden. Aber was, wenn Putin stirbt?

Auf Autokraten folgen Autokraten

Das Magazin «Foreign Policy» hat bereits 2015 eine Analyse von 79 Diktatoren, die zwischen 1946 und 2014 im Amt gestorben sind, durchgeführt. Auch diese zeigt, dass der Tod eines Diktators fast nie die Demokratie einleitet. Auch wird das Regime in der Regel nicht gestürzt. Stattdessen besteht das Regime in der überwiegenden Mehrheit (92 Prozent) der Fälle auch nach dem Tod des Autokraten fort.

Der Tod von Hugo Chávez in Venezuela im Jahr 2013, von Meles Zenawi in Äthiopien 2012 und von Kim Jong Il in Nordkorea 2011 veranschaulichen diesen Trend. Verglichen mit anderen Formen des Führungswechsels in Autokratien – wie Putschen, Wahlen oder Amtszeitbeschränkungen –, die etwa in der Hälfte der Fälle zum Zusammenbruch des Regimes führen, ist der Tod eines Diktators bemerkenswert folgenlos.

Und die «Washington Post» fand heraus, dass in 87 Prozent der Fälle, in denen ein Staatsoberhaupt im Amt starb, das Regime – oder die Gruppe, die an der Macht war und die Regeln für das Regieren festlegte – im folgenden Jahr intakt blieb. Und in 76 Prozent der Fälle war es auch fünf Jahre später noch an der Macht. Für Russland heisst das also: Auch ohne Putin wird es wohl erstmal so weitergehen wie bisher.

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