Video von Lukaschenko-Gegner Protasewitsch aufgetaucht
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Aus U-Haft in Minsk:Video von Lukaschenko-Gegner Protasewitsch aufgetaucht

Video veröffentlicht
Hier führt Lukaschenko den gekidnappten Lukaschenko-Kritiker vor

Mit einer erzwungenen Zwischenlandung bekommt Alexander Lukaschenko einen seiner grössten Gegner zu fassen. Wer ist der 26-Jährige, vor dem der Belarus-Diktator zittert?
Publiziert: 24.05.2021 um 19:36 Uhr
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Aktualisiert: 25.05.2021 um 08:16 Uhr
Fabienne Kinzelmann und Anastasia Mamonova

Ein Staatschef lässt einen europäischen Linienflug vom Himmel holen, um einen 26-Jährigen zu verhaften. Klingt unglaublich – so unglaublich, dass auch Roman Protasewitsch keine Gefahr witterte, als er in Athen eine Ryanair-Maschine bestieg. Bei einer erzwungenen Zwischenlandung in Minsk wurde der belarussische Regimegegner dann aber verhaftet.

Nun gibt es ein erstes Lebenszeichen von ihm. Ein Video aus dem Gefängnis wird derzeit im Netz verbreitet. «Guten Tag, ich heisse Roman Protasewitsch. Ich wurde gestern am internationalen Flughafen in Minsk von Mitarbeitern des Innenministeriums festgenommen», sagt der Blogger in die Kamera. Derzeit befinde er sich in U-Haft.

«Ich kann sagen, dass ich keine gesundheitlichen Probleme habe, auch nicht mit dem Herzen oder anderen Organen», sagt er. Die Behörden würden ihn «maximal korrekt» und gesetzeskonform behandeln. «Ich setze die Zusammenarbeit mit den Ermittlern fort, sage aus und gebe zu, an der Organisation der Massenunruhen in Minsk beteiligt gewesen zu sein.»

Das ist das neuste Bild von Roman Protasewitsch aus der U-Haft.
Foto: Twitter
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Auf Twitter zweifeln zahlreiche User an, dass der Blogger die Aufnahmen auf freiwilliger Basis gemacht habe. Nach Einschätzung der Opposition ist das Video unter Druck zustande gekommen. «Roman hat nie freiwillig gesagt, was er jetzt in die Kamera gesagt hat», hiess es bei Telegram. Er sehe zudem «ziemlich gefoltert» aus. «Sein Gesicht ist geschminkt, Spuren von Schlägen sind sichtbar, seine Nase ist gebrochen.»

Auf seinem Telegram-Kanal informierten sich die Demonstranten

Wer ist der junge Mann, den Belarus-Diktator Lukaschenko offenbar um jeden Preis stummschalten will?

Rückblende: Am 9. August 2020 finden in Belarus Präsidentschaftswahlen statt. Lukaschenko, seit 1994 an der Macht, erklärt sich anschliessend mit 80 Prozent der Stimmen zum Sieger. Doch die Belarussen haben die Gewaltherrschaft satt. Wochenlang gehen Jung und Alt auf die Strasse.

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Mittendrin in den Demokratie-Protesten: der Telegram-Kanal Nexta. Weil Lukaschenko das Internet und einzelne Websites teilweise zensiert und ausschaltet, informieren und organisieren sich die protestwilligen Belarussen über den oppositionellen Informationskanal. Laut einem BBC-Bericht abonnieren ihn am 12. August schon 1,5 Millionen Menschen.

Mitgründer und Chefredaktor von Nexta: Roman Protasewitsch.

Nexta gibt detaillierte Protest-Tipps

Ursprünglich zur Verbreitung von satirischen und regimekritischen Videos gegründet, wird Nexta in den Protestwochen nach der manipulierten Präsidentschaftswahl zur wichtigsten Oppositionsplattform.

«Eine Internet-Abschaltung ist ein grosser Fehler der Behörden», sagt der junge Aktivist und Journalist Protasewitsch damals der BBC. «Fast alle Belarussen haben jetzt Telegram und gehen auf die Strasse, um Veränderungen im Land herbeizuführen.»

Nexta veröffentlicht Hilferufe, Karten mit dem Standort der Polizei sowie Adressen für Demonstranten und Kontakte von Anwälten und Menschenrechtsaktivisten. Ausserdem gibt es auf dem Kanal Tipps, wie man die anderen Mittel umgehen kann. Vor der dritten Protestnacht gab Nexta den Demonstranten detaillierte Anweisungen für den Strassenprotest.

Protasewitsch-Familie floh nach Warschau

Es gibt selbstverständlich auch Kritik: Gegenüber der BBC äussern etablierte unabhängige Medien Befürchtungen, weil Nexta nicht nach journalistischen Standards arbeitet. Auch die Finanzierung ist unklar. Zudem sitzt das damals vierköpfige Redaktionsteam – darunter Protasewitsch – in Warschau.

Er lebt dort offenbar bereits seit 2019. Auch seine Familie ist mittlerweile nach Polen geflohen, erzählt Protasewitschs Mutter dem «Spiegel»: «Gleich nach den Wahlen in Belarus, als bei uns vor der Haustür die Beschattung einsetzte, als unsere Freunde Anrufe bekamen, als sie mich selbst beschatteten und mein Mann eine Vorladung in den KGB erhielt. Damals haben wir mit unserem Sohn zusammen die Entscheidung getroffen, dass man uns dort herausholt.»

Der gerade erst 26 Jahre alt gewordene Protasewitsch blickt bereits auf eine lange Karriere als politischer Aktivist und Journalist zurück. Bereits als Jugendlicher nahm er an Protesten teil, später studierte er an der Fakultät für Journalismus der Belarussischen Staatlichen Universität, brach die Uni jedoch für den Aktivismus und die journalistische Arbeit ab.

In Belarus drohen ihm 15 Jahre Haft

Wie der Deutschlandfunk berichtet, arbeitete Protasewitsch ab 2017 für verschiedene belarussische Medien als Reporter. Ab März 2019 war er Fotograf von euroradio.fm. Auch für die belarussische Ausgabe von Radio Free Europe/Radio Liberty war er als Reporter unterwegs. Ein Foto von 2017 zeigt, wie er in Minsk verhaftet wird, als er von einer Demo berichtet. Im Januar 2020 bat er in Polen um politisches Asyl.

Im September vergangenen Jahres – rund einen Monat nach der manipulierten Präsidentschaftswahl – verliess Protasewitsch Nexta. Im März 2021 gab er bekannt, dass er nun für den Telegram-Kanal Belamova arbeite. Laut eigenen Angaben handelt es sich dabei um «den grössten Telegramkanal über Politik in Belarus».

Seit seiner Verhaftung am Sonntag in Minsk fehlte von Protasewitsch zunächst jegliche Spur. In Belarus drohen ihm 15 Jahre Haft, er gilt als Extremist und Terrorist.

Behörden bestätigen nach über 24 Stunden Verhaftung

Am späten Montagabend bestätigen die Behörden dann die Festnahme. Er sei in Untersuchungshaft genommen worden, teilte das Innenministerium am Montagabend im Nachrichtenkanal Telegram mit.

Zugleich wies das Innenministerium Berichte in sozialen Netzwerken zurück, wonach der Journalist im Krankenhaus liege. Der Haftanstalt lägen keine Informationen über gesundheitliche Beschwerden vor. Mehr als 24 Stunden hatte die autoritäre Führung des Landes keine Angaben zum Verbleib des Oppositionsaktivisten gemacht.

Seine Mutter war verzweifelt. «Er ist ein Journalist, ein Junge noch, der einfach über Ereignisse berichten will», so beschreibt ihn Natalja Protasewitsch gegenüber dem «Spiegel». Ein Junge, für den ein Diktator einen Kampfjet losschickt.

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