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Erdogan macht Druck
Hagia Sophia soll schon in zwei Wochen Moschee sein

Sie galt über Jahrhunderte als grösstes Gebäude der Christenheit. Nun soll Istanbuls Wahrzeichen, die Hagia Sophia, in eine Moschee umgewandelt werden. Erdogan will, dass das Gebäude bereits in zwei Wochen als Moschee genutzt werden kann.
Publiziert: 30.06.2020 um 16:19 Uhr
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Aktualisiert: 11.07.2020 um 10:35 Uhr
Die Hagia Sophia hat 1500 Jahre überlebt.
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Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (66) provoziert den Westen und die ganze christliche Welt: Er will aus der berühmten ehemaligen Kirche Hagia Sophia in Istanbul eine Moschee machen – und das innerhalb von zwei Wochen. «Wir planen, die Vorbereitungen schleunigst zu beenden und am Freitag, den 24. Juli 2020, die Hagia Sophia gemeinsam mit dem Freitagsgebet für Gebete zu eröffnen», sagte Erdogan am Freitagabend. Bisher wurde das rund 1500 Jahre alte Gebäude als Museum genutzt.

Das Oberste Verwaltungsgericht in der Türkei hat einem Bericht zufolge nun aber den Status des berühmten Gebäudes Hagia Sophia in Istanbul als Museum annulliert und damit den Weg zur Nutzung der einstigen Kirche als Moschee freigemacht. Das berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag.

Unesco bedauert Umwandlung in Moschee

Die Unesco hat die Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia von einem reinen Museum in eine Moschee «zutiefst bedauert». Generalsekretärin Audrey Azoulay habe gegenüber dem türkischen Botschafter am Freitagabend ihre tiefe Besorgnis zum Ausdruck gebracht, teilte die Unesco mit. Die Entscheidung für die Umwandlung sei ohne vorigen Dialog getroffen worden.

«Die Heilige Sophia ist ein architektonisches Meisterwerk und ein einzigartiges Zeugnis der Begegnung von Europa und Asien im Laufe der Jahrhunderte. Sein Status als Museum spiegelt die Universalität seines Erbes wider und macht es zu einem starken Symbol des Dialogs», erklärte Azoulay. «Die heute verkündete Entscheidung wirft die Frage auf, wie sich die Änderung des Status auf den universellen Wert des Eigentums auswirkt.»

Menschen rufen «Allahu Akbar!» vor der Kirche

Vor der Hagia Sophia in der Istanbuler Altstadt sammelte sich spontan eine Gruppe Befürworter der Entscheidung. Sie riefen «Allahu Akbar!» («Gott ist gross!»). Die Polizei sperrte den Platz vor der Hagia Sophia ab. Beamte der Einsatzpolizei brachten sich in Stellung, es blieb aber zunächst ruhig.

Erdogan hatte sich bisher gegen eine Veränderung des Bauwerks ausgesprochen. Doch der Druck auf ihn wächst. Der türkische Theologe und Autor Cemil Kilic (45) sagt gegenüber der Süddeutschen Zeitung: «Präsident Erdogan will verlorenes Terrain beim Wähler zurückgewinnen. Wegen der wirtschaftlichen Misere, die durch die Corona-Seuche noch verstärkt wird, steht die Regierung unter Druck. Der Präsident will mit der Hagia Sophia von den ökonomischen Problemen des Landes ablenken.»

Gegen den Willen Atatürks

Die Umwandlung ist eine alte Forderung islamistischer Kreise in der Türkei. Bei einer Meinungsumfrage des Forschungsinstituts «Areda Survey» bei 2500 Personen forderten 73 Prozent der türkischen Bürger eine Wiedereröffnung der Hagia Sophia für den islamischen Kultus, 22 Prozent waren dagegen, der Rest unentschlossen.

Für manche Anhänger Erdogans wäre die Umwandlung nicht zuletzt ein Symbol für die «Wiederentstehung des Osmanischen Reiches». Sie wäre eine Abwendung vom Erbe Kemal Atatürks (1881-1938), dem Staatsgründer der modernen Türkei, und ein Schlag ins Gesicht der Säkularen.

Es wäre nicht die erste Umwandlung eines christlichen Gotteshauses in eine Moschee: Bei der Kirche des Chora-Klosters in Istanbul wurde mehrere Male auf Umwandlung geklagt. Seit 2017 ist das Gebäude nun eine Moschee.

Grösstes Gebäude der Christenheit

Die Hagia Sophia wurde 537 vom byzantinischen Kaiser Justinian erbaut. Bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen 1453 war sie das grösste Gebäude der Christenheit.

Die Osmanen wandelten das Haus in eine Moschee um – das blieb sie 481 Jahre lang. Kemal Atatürk machte aus dem Gebäude 1935 schliesslich ein Museum.

Christen warnen vor Protesten

Der Heilige Synod der orthodoxen Kirche von Griechenland warnte vor Protesten unter Christen in aller Welt und rief die türkischen Behörden zu einem respektvollen Umgang mit dem weltbekannten Gebäude auf. Das oberste Gremium der orthodoxen Kirche Griechenlands nannte die Hagia Sophia ein architektonisches Meisterwerk und «ausserordentliches Beispiel christlicher Kultur». Der Wert des Bauwerks sei «universal».

Auch Cemil Kilic möchte, dass die Hagia Sophia ein Museum bleibt. Kilic: «Dieses Bauwerk ist 1500 Jahre alt und gehört zum Weltkulturerbe. Es ist zentral für die christliche und die islamische Kultur. Man sollte es als Ort der Brüderlichkeit zwischen den Religionen nutzen.» (gf/SDA/szm/bra)

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