Herausforderung Rassismus
Zum ersten Mal wird eine schwarze Frau Chicago regieren

(Chicago) Rund ein Drittel der 2,6 Millionen Einwohner Chicagos sind Schwarze. Und ungefähr die Hälfte sind Frauen. Doch seit 40 Jahren hat es keine Frau mehr auf den Bürgermeistersessel der Metropole am Michigan-See geschafft, eine schwarze Frau noch nie.
Publiziert: 02.04.2019 um 11:36 Uhr
Lori Lightfoot vertrat als Juristin bereits Klientel, die nicht gerade die Basis ihrer angestrebten Wählerschaft widerspiegeln, wie zum Beispiel grosse Tabakfirmen.
Foto: AFP
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Ab diesem Dienstag wird das anders sein: Um die Nachfolge des höchst umstrittenen Obama-Getreuen Rahm Emanuel kämpfen zwei Afro-Amerikanerinnen:

  • Lori Lightfoot, eine 56-jährige Juristin und Aktivistin gegen Polizeigewalt tritt gegen die bekanntere und stärker im Establishment der Stadt und der Demokratischen Partei verankerte Toni Preckwinkle an.
     
  • Die 72-jährige Preckwinkle ist eine frühere Unterstützerin des in Chicago gross gewordenen Barack Obama, die aber später von dem Ex-Präsidenten etwas abrückte.

Gang- und Polizeigewalt an der Tagesordnung

In Chicago brodelt es: In den sozial schwachen und vor allem von Schwarzen bewohnten Gegenden im Süden und Westen der Stadt ist das gesellschaftliche Gefüge in Unordnung geraten. Kriminelle Gangs schrecken vor nichts zurück und greifen eiskalt zur Schusswaffe, wenn es gilt, Kleinkriege um Drogen und Waffen auszufechten.

Die Polizei reagiert in der Stadt, in der einst Al Capone den Untergrund regierte, mit roher Gewalt, wie ihr ein Untersuchungsbericht des US-Justizministeriums 2017 attestierte - vor allem gegen Schwarze, und zum Teil auch mit Willkür. 

Teenager-Mord rüttelte ganze Stadt auf

Der Fall des schwarzen Teenagers Laquan McDonald, der 2015 von einem weissen Polizisten hinterrücks erschossen wurde, rüttelte die Stadt durch. Die Polizei vertuschte die Tat lange, selbst ein öffentlich gemachtes Video, das auf erschreckend eindrucksvolle Weise die Schüsse in den Rücken des Jungen zeigte und monatelange Massenproteste auslöste, führte nicht unmittelbar zur Anklage des Polizisten. 

Erst im Januar 2019 wurde der Polizist wegen Totschlags zu 6,75 Jahren Haft verurteilt. Drei seiner Kollegen, der Vertuschung beschuldigt, wurden freigesprochen.

Glitzerfassade vor sozialer Unruhe

Der Tod des 17 Jahre alten Jungen ist nur das prominenteste Beispiel für die Probleme der Stadt. Aktivisten in Chicago beschuldigen die Stadtspitze um Noch-Bürgermeister und Ex-Obama Stabschef Rahm Emanuel, eine glitzernde Fassade nach aussen zu bauen - mit Wolkenkratzern und schönen Art-Deco-Häusern an der Küste des Michigan-Sees, High-Tech-Jobs in den Bürotürmen für die gut Gebildeten und einem Wohlfühl-Image, das Touristen in die «Windy City» spült. 

An den Rändern, mit Armut und Kriminalität, Drogenproblemen und fehlender Bildung, sieht es anders aus. Die Menschen in diesen Vierteln fühlen sich alleine gelassen, vernachlässigt.

Kandidatinnen nicht unumstritten

Die beiden Kandidatinnen haben grosse Probleme, ihre Wähler zu überzeugen, dass ausgerechnet sie die richtigen sind, das Debakel zu beheben. Tori Lightfoot, in den Umfragen deutlich vorne, und Siegerin eines Feldes von 14 Bewerbern im ersten Wahlgang, hat als Anwältin Fälle bearbeitet, bei denen sie nicht gerade als Advokatin des Volkes in Erscheinung trat. 

Ihre Anwaltskanzlei vertritt etwa grosse Tabakkonzerne. Und als von Emanuel ernannte Chefin eines Gremiums zur Polizeiaufsicht hat sie nach Meinung vieler nicht ausreichend durchgegriffen.

«Die politische Maschinerie ist nicht tot», sagt der Chicagoer Pfarrer und Aktivist Greg Livingston. «Keine der Kandidatinnen ist eine echte Reformerin.» 

Ausgerechnet im Wahlkampf zweier schwarzer Frauen ist Rassismus für ihn das eigentliche Problem, das es zu lösen gilt. Zwischen den Vierteln mit afro-amerikanischer Bevölkerung und den von Weissen bewohnten Gegenden seien die Ressourcen nicht gerecht verteilt. Livingston macht in Chicago ein «Vermächtnis unkontrollierter Gier» aus - und dessen Wurzel sei Rassismus.

Scharfzüngiger Wahlkampf

In den letzten Tagen des Wahlkampfes geht es hoch her in Chicago. Die beiden Frauen nehmen kein Blatt vor den Mund. Angeheizt von Preckwinkle, halten Wähler Lightfoot vor, sie habe einen Polizisten nicht zur Verantwortung gezogen, der vor sieben Jahren einen Schwarzen erschossen hat, wie die «Chicago Tribune» berichtet. Lightfoot reagierte dem Bericht zufolge harsch und hält die Vorwürfe für Lügen. 

Der schwarze Bürgerrechtler Jesse Jackson sieht inzwischen Bedarf zum Eingreifen. Er überzeugte die beiden Frauen, einen Vertrag zu unterschreiben, der unter anderem eine Versöhnungs-Pressekonferenz am Tag nach der Wahl vorsieht. (SDA)

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