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US-Wahl – darum gewinnt Trump:The Show Must Go On

Darum gewinnt Trump
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Trump-Gegner sollten sich nicht zu früh freuen. Allen Umfragen zum Trotz gibt es gute Gründe, warum der amtierende Präsident sich eine zweite Amtszeit sichern könnte.
Publiziert: 03.11.2020 um 00:33 Uhr
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Aktualisiert: 03.11.2020 um 13:04 Uhr
Fabienne Kinzelmann

Journalisten, Umfragen, Prognosen. Alle lagen 2016 daneben. Der Schock sitzt noch tief genug, daher sollte man wissen: Es ist möglich, dass Donald Trump (74) US-Präsident bleibt.

Rechnerisch ist das schnell erklärt.

Die US-Wahl ist kein Beliebtheitswettbewerb. Hillary Clinton (73) hatte drei Millionen Stimmen mehr – aber nicht genügend Wahlleute (Elektoren).

Findet sehr wohl Argumente für einen Trump-Wahlsieg: Auslandredaktorin Fabienne Kinzelmann.
Foto: Paul Seewer
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Umfragen sind ungenau. In manchen Bundesstaaten liegt Joe Biden (77) nur im statistischen Fehlerbereich von ein bis drei Prozentpunkten vorne: Arizona, Florida, North Carolina, Georgia und Iowa.

Gewinnt Trump die, fehlen ihm nur noch elf Wahlleute. Die könnte Pennsylvania (20 Elektoren) bringen.

Allein letzte Woche hielt Trump dort acht Rallys ab. Die Massenevents waren energiegeladen, humorvoll, unterhaltsam. Trump ist hervorragend in dem Job, den er seit Jahrzehnten macht: dem des Entertainers. Selbst seine Corona-Erkrankung war eine grosse Show.

Und traf den Nerv seiner Wähler.

In der Schweiz erschrecken uns ein paar Hundert «Covidioten». In den USA hat Wissenschaftsfeindlichkeit eine völlig andere Dimension. Impfgegner sind auf dem Vormarsch, Evangelikale und «QAnon»-Verschwörungsgläubige feiern Trump wie den Leibhaftigen, Masken sind eine Frage der politischen Haltung.

Dem tief gespaltenen Land fehlt eine gemeinsame Wertebasis. Das ist nicht Trumps Schuld, aber sein Vorteil.

Im Frühling 2015 datete ich einen Amerikaner. Er war sehr schön, sehr klug – und aus Georgia, seit dem Civil Rights Act von 1964 tiefrot (ausser ein Südstaatler steht zur Wahl).

Als Hillary Clinton ihre Kandidatur verkündete, sassen wir bei Vino Rosso auf einem Randstein in Bologna. Mein Date war entsetzt. «You know Hillary?!», fragte er, und dieser Satz hallt mir noch heute nach, wenn ich versuche zu verstehen, warum die Amis lieber einen frauen- und minderheitenfeindlichen Reality-TV-Star ins Weisse Haus gewählt haben als eine erfahrene Politikerin.

Joe Biden wird nicht so gehasst wie Hillary Clinton. Aber er begeistert nicht.

Trump hat treue Fans. Die hat er nicht enttäuscht. Bis Corona kam, lief die Wirtschaft blendend, er hat Steuern gesenkt, fast ein Viertel der mächtigen Bundesrichter ernannt, Friedensabkommen im Nahen Osten erwirkt, sich hinter die Waffenfans gestellt (und trotzdem gewisse Vorrichtungen für halbautomatische Gewehre verboten). Seine Motive waren in der Regel falsch, viele Erfolge sind noch Obama zu verdanken, manche Langzeitfolgen unabsehbar. Aber das ist egal, weil es vielen republikanischen Wählern egal ist.

«Er tut, was seine Fans sofort selbst tun würden, wenn sie so reich und mächtig wären: Er zeigt es den Vollidioten, er tritt sie in den Hintern, er ist die Verkörperung der allerfiesesten Ermächtigungsgelüste», schreibt der deutsche Publizist und US-Kenner Claudius Seidl (61).

Ob das in diesem Jahr wieder zum Sieg reicht, wissen wir erst, wenn alle Stimmen ausgezählt sind. Aber es gibt so viele Unsicherheitsfaktoren wie noch nie.

Die USA sind im Griff der dritten Corona-Welle. Viele trauen sich nicht in die Wahllokale, sind in Quarantäne oder gar erkrankt. Seit Monaten liefern sich Demokraten und Republikaner zudem in zahlreichen Bundesstaaten Verfahrensschlachten darum, welche Stimme zählt – und welche nicht.

Der Feind der Republikaner ist die demografische Entwicklung. Die amerikanische Gesellschaft wird bunter, diverser, jünger. Der traditionelle republikanische Wähler stirbt aus. Mit schmutzigen Tricks versuchen die Republikaner deshalb eine hohe Wahlbeteiligung zu verhindern. Sie säubern Wählerregister, sperren Wahllokale zu und schliessen ganze Wählergruppen aus, streuen Falschinformationen und säen Zweifel an der Briefwahl. Trump hat seine Fans bereits dazu aufgerufen, vor Wahllokalen «nach dem Rechten» zu sehen, also einzuschüchtern.

Können Briefwahlstimmen nicht rechtzeitig ausgezählt werden oder erkennt Trump das Wahlergebnis nicht an, gibt es keinen Weg, die Krise friedlich zu lösen. Gut möglich, dass Joe Biden bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen wie Al Gore im Jahr 2000 einer Verfassungskrise mit einem würdevollen Abgang zuvorkommt.

Wie damals könnte der Oberste Gerichtshof die entscheidende Rolle spielen. Drei der neun Richter hat Trump besetzt. Sie verschaffen Trump den Triumph sicher gern.

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