Hillary Clinton veröffentlicht «schonungsloses» Buch
Die grosse Enttäuschung

Zehn Monate nach ihrer Niederlage gegen Donald Trump hat sich Hillary Rodham Clinton zurückgemeldet. «What Happened» (deutsch: Was geschah) ist bereits ihr drittes autobiografisches Werk. Und nach eigener Einschätzung «das ehrlichste, offenste und schonungsloseste» von allen.
Publiziert: 14.09.2017 um 10:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:56 Uhr
Hillary Clinton rechnet in ihrem neuen Buch «What Happened» mit ihren Amtskollegen ab.
Foto: Nancy Kaszerman
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Johannes von Dohnanyi

Zumindest die Selbsteinschätzung der 69-jährigen Demokratin ist ungebrochen: «Ich war davon überzeugt, dass ich eine verdammt gute Präsidentin sein würde», schreibt Clinton. Und entsprechend hatte sie das Wahlergebnis umgehauen.

Die Erinnerung an die ersten Tage und Wochen nach der Niederlage zeigt eine Clinton, die viele Amerikaner während des Wahlkampfs vermisst hatten: eine willensstarke, aber eben auch verletzliche Frau, die den Schmerz über die Niederlage mit dem Ausmisten von Kleiderschränken und den Vorbereitungen auf das Thanksgiving-Fest im Kreis der Familie bekämpft. Die es mit Yoga- und Atemübungen versucht. «Und mit einer ordentlichen Menge an Chardonnay.»

Geborgenheit in der Familie

Es sind durchaus anrührende Einblicke in das Seelen- und Familienleben der Clintons. Die waidwunde Hillary auf der Couch im Trainingsanzug. Der – noch – schwache Trost, künftig mehr Zeit für die Enkel zu haben. Die ersten trotzigen Theaterbesuche am New Yorker Broadway. Die Fürsorge von Bill Clinton, von Tochter Chelsea, dem Schwiegersohn und den Enkelkindern – all das liest sich gut und flüssig.

Sentimentalitäten verkaufen sich. Die dürfen bei der Nabelschau einer Verliererin von Clintons Kaliber nicht fehlen. Angesichts des gemunkelten Millionenhonorars ein verständlicher Wunsch des Verlags.

«Ich war die Beste!»

So viel hatte sie im Leben erreicht. Aber dem eigenen Ehrgeiz hatte der Erfolg nicht genügt. Ehrgeiz selbst innerhalb der eigenen Familie. Seit den politischen Anfängen in Arkansas hatten sie und ihr Mann immer gemeinsam gekämpft. Aber: Ob als First Lady neben Ehemann Bill, als Aussenministerin unter Obama oder als – durchaus erfolgreiche – Senatorin: Über die zweite Reihe hinaus hatte sie es nie geschafft. Diesmal, bei den Wahlen von 2016, wollte sie es endlich wissen.

Clinton setzt bewusst auf volles Risiko: Nach zwei Amtsperioden des ersten schwarzen Präsidenten die nächste Demokratin im Weissen Haus? Dazu noch eine Frau? Und dann auch noch sie, die von den Republikanern seit vielen Jahren geradezu verteufelt wird? Aber am Ende siegt eben der vom Vater eingeimpfte Ehrgeiz, dass man es, gerade nach Niederlagen, immer wieder versuchen muss: «Ich war davon überzeugt, dass Bill und Barack recht hatten: Ich würde ein besserer Präsident sein als alle anderen Mitbewerber.»

Eine lange Liste von Gegnern und Feinden

Und so beschreibt Hillary detailliert auf über 500 Seiten, wer und was aus ihrer Sicht an ihrer Niederlage Schuld hatte. Auch sie selbst, gibt die unterlegene Präsidentschaftskandidatin immerhin zu, habe sicher taktische und strategische Fehler gemacht. Doch diese Selbstreflektion ist nur der kleinste Teil des Buchs. Für den Rest teilt sie aus.

Selbstverständlich gegen «diesen sexistischen Widerling» Donald Trump, seine «bedauernswerten» Anhänger und die persönlichen Angriffe durch die «feigen Spitzenpolitiker» der Republikanischen Partei. Natürlich gegen den von Trump geschassten FBI-Chef James Comey, der zwei Wochen vor den Wahlen andauernde Ermittlungen wegen ihres Umgangs mit dienstlichen E-Mails bekannt gab. Nicht zu vergessen gegen ihren «Erzfeind» Wladimir Putin, auf dessen Befehl hin sich russische Geheimdienste und Hacker zugunsten Trumps in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt haben sollen.

Blick zurück im Zorn

Ganze TV-Serien sind gedreht worden über die skrupellosen Ränkespiele, wenn es um die Macht in Washington geht. Aber der Kampf zwischen dem Populisten Trump und der erfahrenen Politikerin Clinton war besonders widerlich. Durchaus faszinierend lesen sich die schmutzigen Lügen, mit denen die Republikaner die demokratische Kandidatin verleumden. Die falschen Behauptungen, mit denen sie die Clinton-Stiftung als verbrecherische Organisation darstellen. Ihre Weigerung, die Warnungen der Geheimdienste vor der Einmischung aus Moskau zu hinterfragen. Alles spannende Details. Und nichts wirklich Neues.

Verblüffend ist eher Clintons Empörung vor allem über die amerikanischen Wählerinnen, die Trump an der Urne seine sexistischen Entgleisungen und seine Verachtung für Frauen verzeihen. Und das, klagt sie, «obwohl doch ich es war, die seit vielen Jahren für die Frauen gekämpft hatte.» Dass es ihre arrogant kühle Behandlung brennender politischer und gesellschaftlicher Probleme gewesen sein könnte, die die Wählerinnen in die Arme eines vulgären Populisten trieben – auf diese Frage findet sie keine Antwort.

Und dann macht Clinton auch keinen halt vor beissender Kritik an den liberalen Medien, an ihrem linken – und als «verträumten Idealisten» beschriebenen – innerparteilichen Gegner Bernie Sanders und sogar an Barack Obama. Dessen Rat, es auf keine offene Auseinandersetzung mit Sanders ankommen zu lassen, sei falsch gewesen, klagt sie.

Kleine Einblicke statt grosser Einsichten

Und so hat Hillary Rodham Clinton mit «What Happened» eine grosse Chance verpasst. Verbitterte Schuldzuweisungen ein Jahr nach der Niederlage mögen für sie als therapeutisches Schreiben Sinn gemacht haben. Dem eigenen Anspruch, gerade angesichts der katastrophalen Präsidentschaft Trumps beim dringend notwendigen Neuanfang der eigenen Partei zu helfen, genügt ihr überflüssiges Buch nicht.

Schlimmer noch: Indem sie alte Wunden wieder aufreisst, hat Clinton der immer noch orientierungslosen Demokratischen Partei einen Bärendienst erwiesen.

«Nie», hatte Muhammad Ali 1971 nach seinem verlorenen Kampf gegen Joe Frazier gesagt, «hätte ich geglaubt, diesen Kampf zu verlieren. Aber jetzt geht es nur noch darum, wie ich mit dieser Niederlage umgehe.» An dieser Haltung hatte sich Hillary Rodham Clinton messen wollen. Geoutet hat sie sich nicht als richtungsweisende Politikerin, sondern als rachsüchtige und vor allem schlechte Verliererin.

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