Hisbollah-Chef Nasrallah ist tot
Israels Sieg könnte sehr teuer werden

Hassan Nasrallah, Führer der Hisbollah, wurde von israelischen Bomben getötet. Benjamin Netanyahu geht als Sieger aus dem Konflikt hervor. Doch der Preis für diesen militärischen Erfolg könnte sehr hoch sein.
Publiziert: 28.09.2024 um 20:29 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2024 um 13:56 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Hassan Nasrallah ist unter israelischen Bomben gestorben
  • Israel zeigt unangefochtene militärische Überlegenheit im Nahen Osten
  • Doch das hat seinen Preis für die jüdische Bevölkerung in anderen Regionen
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Die Hisbollah bestätigte den Tod ihres Generalsekretärs Hassan Nasrallah, kurz nachdem die israelische Armee dies bekannt gegeben hatte.
Foto: keystone-sda.ch
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Richard Werly

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah (†64) ist unter israelischen Bomben gestorben. Diese Meldung hielt man vor einigen Monaten noch für undenkbar. Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 schien der jüdische Staat mehr denn je in Schwierigkeiten zu sein, gefangen in der Gefahr einer fatalen Verstrickung im Gazastreifen, der von israelischen Truppen als Vergeltung für das Massaker an über 1100 Menschen verwüstet wurde.

Fast täglich schlugen Raketen und Flugkörper in Nordisrael ein und zwangen über 70'000 Menschen zur Flucht. Dann kam es zum Fernkrieg gegen die libanesische Hisbollah. Aus diesem blutigen Kräftemessen geht Benjamin Netanyahu (74) heute als eindeutiger Sieger hervor. Nasrallah wurde eliminiert, vor ihm mehrere Kommandanten der Terrormiliz und Hunderte von Führungskräften der libanesischen Schiitenbewegung, die durch die Explosion ihrer Pager verstümmelt wurden.

Am 31. Juli gelang es den israelischen Kräften sogar, den politischen Führer der Hamas, Ismail Haniyeh (†62), bei einem Angriff auf das Gästehaus, in dem er sich aufhielt, mitten in der iranischen Hauptstadt Teheran zu töten.

Technologische Überlegenheit und ein starker Geheimdienst

Diese Siege kommen zu einem entscheidenden Zeitpunkt. Nur wenige Tage vor dem Gedenken an den 7. Oktober, jenes Massaker, das Israel geschworen hat zu rächen, indem es alle tötet, die es in Auftrag gegeben haben oder daran beteiligt waren. Doch wie hoch wird der Preis für diese militärischen Erfolge sein, die dank der technologischen Überlegenheit der israelischen Waffen und der aussergewöhnlichen Fähigkeiten seiner Geheimdienste errungen wurden?

Unangefochtene militärische Überlegenheit

Der geopolitische Preis. Wird die unangefochtene Überlegenheit der israelischen Armee den letzten Widerstand der Hamas brechen und der schiitischen Bewegung im Südlibanon das Rückgrat brechen? Wird der Iran, der derzeit von westlichen Wirtschaftssanktionen hart getroffen wird und dem weitere gezielte Tötungen durch Israel drohen, endlich seine Haltung ändern und aufhören, seine «Stellvertreter» zu bewaffnen, damit diese den jüdischen Staat angreifen? Das ist sehr unwahrscheinlich. Ja, das Mullah-Regime ist in grossen Schwierigkeiten. Ja, Netanyahu kann einen Sieg für sich verbuchen. Ja, alle, die Israel angreifen, haben Angst. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass der Wunsch nach Rache auf beiden Seiten tief sitzt. Die Hamas ist in die Knie gezwungen worden. Die libanesischen Schiiten sind gedemütigt. Können die arabischen Mächte sie im Stich lassen und über ihre Leichen hinweg verhandeln? Oder besteht im Gegenteil die Gefahr, dass eine weitere Front eröffnet wird?

Der Preis der Angst für die Juden. Israel ringt mit der eigenen Stärke. Sein Gegenschlag ist erbarmungslos. Der Preis dafür ist eine beispiellose Zahl von Todesopfern in Gaza. Mehr als 40'000 Tote im palästinensischen Gebiet. Und nun Luftangriffe auf die libanesische Hauptstadt und den Südlibanon, die Hunderte von Toten fordern. Die wahrscheinlichste Folge wird, trotz der weltweiten Besinnung anlässlich des 7. Oktobers, ein Anstieg des Antisemitismus sein. Der gesteigerte Hass auf Israel macht de facto alle Juden in den westlichen Ländern zu potenziellen Zielen. Den Preis der Angst zahlen vor allem die jüdischen Gemeinden in Europa, die dem alltäglichen Zusammenleben mit grossen muslimischen Gemeinden ausgesetzt sind. Netanyahus Antwort: Alle Juden sollen nach Israel kommen und dort Zuflucht finden.

Sieg und Verwundbarkeit

Der Preis der militärischen Eskalation. Israel hat in seiner Geschichte immer wieder Momente des Ruhms und der Verwundbarkeit erlebt. Mit der Beseitigung Nasrallahs, der in seinem Hauptquartier in Beirut, versteckt unter Wohnhäusern, getötet wurde, verzeichnet die israelische Armee einen ihrer beeindruckendsten Erfolge. Voraussetzung für die Überlegenheit ist jedoch eine ständige militärische Eskalation. Israel ist immer stärker auf amerikanische Waffenlieferungen angewiesen, sie sind für seine Operationen unerlässlich. Das hat seinen Preis, auch finanziell. Das Land hängt nun vollständig von diesem Krieg ab. Die demokratische Debatte bleibt in Israel zwar lebendig, wo auf Demonstrationen täglich der Rücktritt Netanyahus gefordert wird. Doch die extreme Rechte drängt an die Schalthebel der Macht. Der jüdische Staat bleibt belagert. Diese Realität wird nicht verschwinden.

Der politische Preis. Netanyahu hat erreicht, was er wollte: Am 7. Oktober wird er als der Mann erscheinen, der sich dem internationalen Druck nie gebeugt und die Feinde Israels beseitigt hat. Dies geschah um den Preis einer permanenten Kriegspolitik und einer Demütigung der palästinensischen Bevölkerung. Kann die israelische Demokratie die Kontrolle zurückgewinnen? Wird die regierende Koalition aus Rechten und Rechtsextremen nicht noch stärker versucht sein, ihren Vorteil auszuspielen, zum Beispiel in den besetzten Gebieten durch den Ausbau der Siedlungen? Das Schwert Israels ist seine höchste Garantie. Aber es kann auch seinen Institutionen und seiner Gesellschaft schaden.

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