Hong Kong und Taiwan müssen sich gegen zunehmende Repressionen aus China wehren
Die Zukunft der Demokratie wird in Asien entschieden

Die Welt schaut in den Nahen Osten, auf Syrien, Israel und den Iran. Doch fast unbemerkt spielt sich auch im Fernen Osten ein Drama ab: Taiwan und Hongkong müssen sich gegen zunehmende Repressionen aus China wehren.
Publiziert: 12.05.2018 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 05:35 Uhr
Alexander Görlach*

Das Reich der Mitte wähnt sich auf einem Siegeszug. Auch, weil sich die USA unter Donald Trump mehr für Innen- denn für Aussenpolitik interessiert. Und so hat China in der jüngsten Vergangenheit begonnen, durch Schikanen aller Art die Moral der Bewohner Taiwans und Hong Kongs zu untergraben, um die aufmüpfigen Provinzen, wie Peking sie sieht, vollends unter seine autokratische Führung zu zwingen. Sollte dieses chinesische Modell der Vereinnahmung Erfolg haben und eine Unterjochung Hong Kongs und Taiwans Wirklichkeit werden, wird die kommunistische Führung unter Präsident Xi Jinping die erprobten Mittel auf andere Länder des Erdballs ausweiten. Das verheisst nichts Gutes für Berlin, Washington, Paris oder London.

In einer dreieinhalbstündigen Rede beim Parteikongress im vergangenen Oktober hat Präsident Xi seine Vision der Zukunft Chinas vor den Augen der Welt ausgebreitet: Sein Reich würde sich seinen angestammten Platz in der Welt und vor der Geschichte zurückholen. Das bedeutet nach der alten chinesischen Überzeugung, dass China als Mittelpunkt der Welt den Rest der sie umgebenen Völker als natürlich unterlegen und tendenzielle tributpflichtig betrachtet. Die ethnische Ideologie Pekings weist bereits in diese rassistische Richtung und programmiert einen inneren Konflikt mit den Minderheiten in dem Riesenreich vor. Die vergangenen zwei Jahrhunderte westlicher Dominanz werden als Unfall gesehen, dessen Folgen nun mit Chinas neuer Rolle in der Welt beseitigt werden müssten. 

Schon bald überwacht die Regierung jeden Schritt ihrer Bürger

Der Volksrepublik kommt zu pass, dass viele ökonomische Akteure in der westlichen Welt ihre Regierungen nahezu bedrängen, durch Appeasement den Markt Chinas für sie zu erschliessen. Doch China denkt nicht daran, sich nach Innen oder Aussen zu öffnen, ganz im Gegenteil: Mit einem ausgeklügelten System sollen künftig alle Bewohner des Reiches digital erfasst und kategorisiert werden, gemäss ihrer Anpassung, die sie an die herrschende Ideologie an den Tag legen. Sobald dieses Überwachungssystem in wenigen Jahren verpflichtend werden wird, wird jeder Chinese bei jeder seiner Regungen überwacht werden. 

Chinas Präsident Xi Jinping will das Land zu alter Grösse führen.
Foto: JASON LEE
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Für den Zugang zu seinem Markt für Ausländer denkt das Land: Wenn überhaupt, dann nur zu unseren Bedingungen. Auch hier verlangt Peking totale weltanschauliche Unterwerfung: die Universität Cambridge wurde gezwungen, für China kritische Artikel aus ihrer Online-Bibliothek zu entfernen, wenn sie in dem Reich der Mitte weiter Gehör finden wollte. Seit neuestem werden Hotelketten und Fluggesellschaften  drangsaliert: Wer mit China Geschäfte machen will,  muss Taiwan aus seiner Liste der Länder, in denen Hotels gebucht und zu denen Flugreisen angeboten werden, streichen. Denn Taiwan ist in der Lesart Pekings eine Provinz, ein Teil Chinas. 

Taiwan wird zur Nagelprobe der demokratischen Welt: Das Inselland, das die Portugiesen «La Formosa», die Schöne tauften, wird zwar von vielen Ländern wie ein eigener Staat betrachtet, aus Rücksicht auf China aber wird es anders angefasst. Taiwan musste in den vergangenen Monaten einige Schikanen ertragen: So wurden neue Flugrouten ohne vertraglich zugesicherte Rücksprache mit Taipeh von Peking einseitig festgelegt. Eine Gefahr für die Sicherheit Taiwans. Eine TV-Show wurde aus dem chinesischen Fernsehen abgesetzt, weil sie von der taiwanesischen Regierung Filmförderung erhielt. Auch hier wurde sich um bestehende Absprachen nicht gekümmert.

Das eigentliche Problem, das China mit Taiwan hat, ist, dass die 24 Millionen Taiwanesen der Erzählung von Staatspräsident Xi konterkarieren, wonach alle ethnischen Han-Chinesen die Prinzipien der westlichen Demokratie ablehnten, da sie nach der Lehre der konfuzianischen Staatskunst lebten. In einem idealen Staat, der zur Zeit des grossen Philosophen fünfhundert Jahre vor Christi Geburt natürlich keine Demokratie war, braucht es in der Interpretation Pekings nicht viele Parteien, sondern eine strikte Ordnung, die Harmonie herstellt und erhält und durch Meritokratie seinen Bürgern den Aufstieg ermöglicht. Die Taiwanesen aber, in einer grossen Mehrheit ethnischen Han-Chinesen, hören nicht auf Peking und möchten lieber in einer Demokratie leben. 

Die junge Generation will eigenständig sein

Vor allem die junge Generation will eigenständig sein. Als die Volksrepublik sich von einigen Jahren durch ein trickreiches  Wirtschaftsabkommen mehr Einfluss über Taiwan sichern wollte, waren es Studenten, die mit der so genannten Sonnenblumen-Bewegung den Kongress in Taipeh besetzten und so das Abkommen verhinderten. Die Protagonisten dieser Bewegung aus dem Jahr 2014 haben eigene Parteien gegründet, fünf Sitze gehen heute an sie. Zwei weitere Akteure der Bewegung studieren heute in England an ausgewiesenen Universitäten. So geht Protest in einer Demokratie.

In Hong Kong gab es eine ähnliche Bewegung, die sich ebenfalls gegen eine vertrags-unkonforme Übergriffigkeit Pekings wehren wollte. Die Protagonisten sitzen heute alle im Gefängnis. So greift Peking in Hong Kong durch. In Taiwan schaut man daher mit Entsetzen darauf, was aus der Stadt eine Flugstunde entfernt in den vergangenen zwanzig Jahren geworden ist. Die Stimmung in der autonomen Region Hong Kong, die, anders als Taiwan, in der Tat und rechtlich verbindlich, zur Volksrepublik China gehört, ist schlecht. In Taiwan befürchtet man, dass ein Mehr mit China ebenso das Inselland ruinieren wird. Die Methode Pekings ist in Hong Kong ist wie in Taiwan.

Der Verfassung der autonomen Region, das «basic law”» das Großbritannien und die Volksrepublik ausgehandelt haben und dessen Einhaltung die USA garantierten, wurde aus Peking konzediert, dass man sich vielleicht an die darin getroffenen Absprachen halten würde, vielleicht aber auch nicht. Das Basic Law ist die Verfassung Hong Kongs. Für ein nicht-demokratisches Staatswesen wie das Chinas sind Verfassungen und die darin verbrieften Bürgerrechte natürlich ohne Bedeutung. Für ausländische Investments und Wirtschaftskooperation mit dem Riesenreich bedeutet dies, dass auch solche Absprachen sehr schnell Makulatur werden können, wenn es den Machthabern gefällt.

In Hong Kong und Taiwan werden in den sozialen Medien Szenarien durchgespielt: Was, wenn Peking in Hong Kong den Strom abstellt? Kann die Armee der Volksrepublik Taiwan einnehmen? In Hong Kong, das eigentlich als Wegweiser gesehen wurde, die Volksrepublik weiter zu öffnen, denkt man angesichts der Repressalien darüber hinaus offen über eine Unabhängigkeitsbewegung quasi aus Notwehr nach, weil man von China kulturell unterdrückt sei. Die Machthaber in Peking reagieren auf dieses Bestreben, dass sie selbst verursacht haben, mit noch mehr Härte. In Taiwan ist man hingegen eher besorgt über die wirtschaftliche Übermacht des Riesenreichs vor der Haustür, die den Inselstaat auszehren könnte, durch ein eine Unterbrechung seiner Handelsrouten beispielsweise.

Diese beiden, Taiwan und Hong Kong, brauchen die volle Unterstützung der demokratischen Welt. Deshalb ist es ein wichtiger Schritt, dass US-Präsident Trump Taiwan durch die Unterzeichnung des «Taiwan Travel Act» den Rücken gestärkt hat. 

Denn wenn Taiwan und Hong Kong fallen, wird China sich grösseren westlichen demokratischen Spielern zuwenden. Die Konfuzius-Institute, die die Volksrepublik bereits in vielen Ländern unterhält, sind die Vorboten chinesischer Einmischung. Hier werden Berichten zufolge schon heute kritische Landsleute bespitzelt. Der chinesische Drache ist erwacht. Er will ganz sicher nicht nur spielen.

*Alexander Görlach ist Affiliate Professor am College der Harvard Universität, im In Defense of Democracy-Programm der F. D. Roosevelt-Stiftung und Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs

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