In Südtirol sitzen fünf noch immer in U-Haft, sie gehören nicht zu den Neuchristen
Sie liessen ihre Kinder nächtelang auf Knien beten

Die «Neuchristen» haben mit der religiöse Kindesmisshandlung im Taufener Ahrntal nichts zu tun. Die fünf Frauen waren nicht Mitglieder der Schweizer Glaubensgruppe, sondern sahen sich lediglich die Predigten des «Schwert-Bischofs» Nikolaus Schneider (84) an.
Publiziert: 08.01.2022 um 18:38 Uhr
|
Aktualisiert: 07.02.2022 um 10:22 Uhr
Myrte Müller

Zwei Kinder (14) aus dem Südtiroler Sand in Taufers gingen durch die Hölle. Sie mussten stundenlang beten – auch in der Nacht. Sie durften nicht fernsehen, keine Musik hören oder in die Handys ihrer Altersgenossen schauen. «Sündigten» sie, wurden sie erbarmungslos bestraft. Zuletzt erschienen sie nicht mehr in der Schule. Nachbarn alarmierten die Carabinieri. Diese platzierten Wanzen im Haus und beobachteten die Glaubensgemeinschaft, wie «Il Fatto Quotidiano» berichtete.

Ende des vergangenen Jahres kam für die Kids die Erlösung aus dem religiösen Martyrium. Die Polizei nahm die Mutter, die Grossmutter und die Tante fest. Zudem wanderten zwei weitere Frauen aus der benachbarten Gemeinde Steinhaus in U-Haft. Es handelt sich dabei offenbar um eine Sekten-Priesterin und ihre Tochter.

Der Vorwurf der Behörden: Verdacht auf psychische Kindesmisshandlung. Die anfängliche Behauptung, die Frauen seien Anhängerinnen der fundamentalistischen alt-katholischen «Neuchristen» mit Sitz in Rehetobel im Kanton Appenzell Ausserrhoden, mussten die Ermittler in der Zwischenzeit revidieren. Der Verdacht kam auf, weil die Frauen sich Videos des sogenannten Schwert-Bischofs, Nikolaus Schneider angesehen hatte. Das berichtet «Stol.it».

Im südtirolischen Sand in Taufers wurden im Dezember 2021 fünf Anhängerinnen der von Nikolaus Schneider gegründeten Sekte «Neuchristen» wegen psychischer Kindesmisshandlung festgenommen.
Foto: zVg
1/5

«Schwert-Bischof» verteufelt Corona-Politik

Die Religionsgemeinschaft wurde 1990 vom St. Galler Nikolaus Schneider (84) gegründet. Der ehemaligen Schweizergardist verteufelt die moderne westliche Welt, hält Corona für eine Grippe, sieht die Medien im Dienste Satans. «Neuchristen» gibt es in Deutschland, in den Niederlanden, in Frankreich, Österreich und in Kamerun.

Trieb die Pandemie die Familie in die Arme einer religiös fanatischen Frau? Mutter, Grossmutter und Tante waren erst im Jahr zuvor vom Vinschgau ins Ahrntal gezogen. Vielleicht gelockt von der «Priesterin», die heute im Verdacht steht, zur Kindesmisshandlung angetrieben zu haben. Wie die Frauen sich radikalisiert haben, muss jetzt die Staatsanwaltschaft Bozen klären.

Südtiroler Gemeindepfarrei ahnungslos

Der Dekan von Taufers (Ahrntal) ist überrascht von der Nachricht in seiner Pfarrgemeinde. «Was sich an fanatischem Gedankengut so umtreibt und umtut, davon weiss ich leider nichts», sagt Franz-Josef Campidell gegenüber «Rainews». Diese Leute würden ja nicht aus der Kirche austreten. «Das geschieht alles sozusagen unter der Decke», so der Priester.

Die verhafteten Frauen sind zur Zeit noch im Gefängnis von Trient in Haft. Vier von ihnen machen von ihrem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern. Nur eine weist alle Vorwürfe von sich. Für die Frauen gibt es nun Hafterleichterungen, ihre Einzelhaft soll bald aufgehoben.

Die Kinder waren in einer sozialen Einrichtung untergebracht. Jetzt werden sie im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens in Anwesenheit des Untersuchungsrichters und eines Psychologen zur Misshandlung befragt, berichten weiter Südtiroler Medien.

«Das Gebet muss freiwillig sein und von Herzen kommen»

Von Beginn an bestritt der «Schwert-Bischof» vehement, etwas mit der Kindesmisshandlung im Ahrntal zu tun zu haben. Nikolaus Schneider sagte damals fassungslos gegenüber Blick: «Wir haben gar keine Mitglieder in Sand in Taufers und fragen uns, wie wir mit diesem Fall in Verbindung gebracht wurden, denn wir lehren unsere Mitglieder niemals solche Handlungsweisen.

Es sei, als würde eine Herstellerfirma von Kugelschreibern verantwortlich gemacht für katastrophale Unterschriftenfälschungen, die angeblich mit ihren Kugelschreibern getätigt wurden. «Das Gebet muss absolut freiwillig sein, aus dem Herzen kommen», so Schneider weiter. Er tendiere auf kurze Herzensgebete – Qualität nicht Quantität – nur das sei Gott wohlgefällig. «Anderes habe ich nie empfohlen», erklärte der Schwert-Bischof.

Fehler gefunden? Jetzt melden