Kapitänin Rackete nimmt Europa in die Pflicht
«Wir müssen auch Klimaflüchtlinge aufnehmen»

Sie ist kämpferisch und nimmt kein Blatt vor den Mund. Seenot-Kapitänin Carola Rackete (31) sieht Europa in der Pflicht, künftig auch Klimaflüchtlinge aufzunehmen.
Publiziert: 15.07.2019 um 07:51 Uhr
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Aktualisiert: 18.07.2019 um 16:19 Uhr

Eine Studie der ETH Zürich warnt, dass sich die Metropolen der Welt auf eine drastische Erwärmung des Stadtklimas einstellen müssen. In Grossstädten auf der Nordhalbkugel würden künftig Bedingungen herrschen, wie sie heute mehr als tausend Kilometer weiter südlich vorzufinden sind. Das wird auch Folgen für Menschen und Gesellschaften haben.

In einem Gespräch mit der deutschen «Bild» warnt jetzt Carola Rackete (31), Kapitänin der Sea-Watch 3, dass die Flüchtlingssituation in Zukunft noch «schwieriger» werde. Der Zusammenbruch des Klimasystems sorge für «Klimaflüchtlinge, die wir natürlich aufnehmen müssen». Rackete rettete Ende Juni mehrere Dutzend Migranten aus Seenot im Mittelmeer. Italien verhaftete sie nach dem unerlaubten Anlegen mit der Sea-Watch 3. Jetzt wartet Rackete an einem unbekannten Ort in den italienischen Alpen, wo «Bild» sie traf, auf ihre nächste Anhörung in Sizilien.

Was ist ein Klimaflüchtling?

Der jungen Kapitänin, die mit ihrem mutigen Einstehen für Menschen weltweit für Schlagzeilen sorgte, ist das Klima sehr wichtig. Sie liess den Journalisten der Bild wissen, bitte «möglichst umweltfreundlich anzureisen». Und Rackete sagt unumwunden, dass Deutschland auch Klimaflüchtlinge aufnehmen soll.

Für viele ist sie eine Heldin: Die deutsche Kapitänin Carola Rackete (31), die mehrere Dutzend Migranten aus Seenot im Mittelmeer gerettet hat.
Foto: AFP
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Doch was sind Klimaflüchtlinge? Die Schweizerische Flüchtlingshilfe schreibt, dass Klimaflucht heute eine Tatsache ist. Sie entlarve den Mythos aus der Nachkriegszeit, wonach «echte Flüchtlinge» aus ihrem Herkunftsland aus politischen Gründen flüchten müssen und alle anderen Menschen «Wirtschaftsflüchtlinge» seien, die freiwillig migrieren würden – in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Völkerrechtlich sind Menschen nicht geschützt, die vor Naturkatastrophen fliehen, vor schleichender Umweltzerstörung, vor Abfolgen von Dürren und Hochwasser, Bodenversalzung und zunehmender Wüstenbildung. «Da kommt noch einiges auf uns zu», sagt Rackete, «über das heute niemand reden will.»

Auch Europas Verantwortung

Auch sie unterscheidet zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten. Infolge der Zerstörung der Nahrungsgrundlage in einigen Ländern Afrikas durch europäische Industrieländer sei jetzt aber der Punkt von «forced migration» erreicht, einer durch Klimaeinflüsse erzwungenen Migration. Rackete: «Da haben wir dann keine Wahl mehr und können nicht einfach sagen, dass wir die Menschen nicht wollen. Es ist auch Europas Verantwortung.»

Zum Vorwurf, dass Seenotrettung die Menschen erst dazu motiviere, auf Boote zu gehen, meint Rackete, dass mehr Menschen sterben, wenn es weniger Rettungsschiffe im Mittelmeer gibt. Die Zahl der Ertrunkenen sei nur zurückgegangen, weil insbesondere Libyen mehr Menschen an der Überfahrt hindere. Menschen würden in «KZ-ähnliche» Lager gesteckt oder schon in der Sahara gestoppt.

Ob sie sich wieder ans Steuer von einem Rettungsschiff setzen werde? Rackete sieht ihre Zukunft mehr im Umweltbereich. Erst wolle sie das Strafverfahren in Italien hinter sich bringen. Und sie hofft, dass ihre Klage gegen den italienischen Innenminister und Heisssporn Matteo Salvini (46) durchkommt. Rackete will, dass er nie wieder Lügen über sie verbreiten darf. (kes)

Carola Rackete wieder auf freiem Fuss
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Nach vier Tagen Hausarrest:Carola Rackete wieder auf freiem Fuss
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