Kaum Training, kaum Ausrüstung, kaum Munition
So gnadenlos führt Putin seine Rekruten in den Tod

Kreml-Chef Putin gingen die Berufssoldaten aus. Also müssen Reservisten an die Front. Doch diese sind kaum ausgebildet und haben kaum Ausrüstung. Die Folge: Sie haben kaum eine Überlebenschance.
Publiziert: 19.10.2022 um 16:21 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2022 um 16:51 Uhr

Ihren Bruder hat die russische Armee direkt vom Arbeitsplatz im Gebiet Rostow abholen lassen. «Er soll im Donbass kämpfen, was für ein Alptraum», so Viktoria (37) aus Moskau, die anonym bleiben möchte. «Ich kann gar nicht mehr schlafen.» Viktoria weint, bangt nicht nur um ihren Bruder, sondern auch um ihren Mann Andrej. Die Einberufungsstelle im Gebiet Rostow suche diesen schon.

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Viktoria geht es wie vielen in Russland. Landauf, landab klagen Frauen mit kleinen Kindern, die Ernährer der Familie würden wegfallen. Sie wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen, opfern oft noch ihr letztes Geld, um dem Mann das Nötigste für den Einsatz an der Front zu kaufen. Schutzwesten etwa seien begehrt, aber kaum noch zu bekommen oder zu bezahlen. Auch die Reservisten klagen, es gebe teils nicht einmal einen Helm oder eine Waffe. Zudem solle der in Aussicht gestellte Wehrsold gar nicht oder zu spät eintreffen.

«Es ist eine Schande!»

Die Unruhe ist so gross, dass sich in Russland längst auch Gouverneure und Parlamentsabgeordnete wegen der Probleme bei der Mobilmachung einschalten. Sie kaufen inzwischen am Budget des Verteidigungsministeriums vorbei teils selbst Ferngläser und Nachtsichtgeräte für die Einberufenen. Der prominente Abgeordnete Leonid Sluzki (54) donnerte: «Es ist eine Schande.» Manchmal fehlten sogar Munition und Waffen.

Kurz nach der Einberufung werden Reservisten in den Krieg geschickt. Viele Unerfahrene sterben dabei.
Foto: IMAGO/SNA
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Während Hunderttausende ausser Landes geflohen sind, fügen sich viele andere ihrem Schicksal. Es gibt Russen, die entschlossen für die Ziele von Kreml-Chef Wladimir Putin (70) in der Ukraine kämpfen. Aber viele dienen nur, weil sie Flucht oder den Gang ins Gefängnis nicht für Alternativen halten.

Inzwischen lähmt die Angst viele. Sie trauen sich kaum noch auf die Strasse, da die in Russland vielerorts eingesetzte Videoüberwachung laut Behörden jetzt auch helfen soll, Kriegsdienstverweigerer zu finden. Dabei mehren sich inzwischen auch Meldungen, dass viele Einberufene, kaum an der Front angekommen, schon unter der Erde lagen.

«Zwei Wochen Militärübungen wurden versprochen»

Mit Entsetzen reagierten in der vergangenen Woche sogar russische Staatsmedien, als bekannt wurde, dass ein leitender Angestellter der Moskauer Stadtregierung ohne jedwede Kampferfahrung in die Ukraine geschickt wurde. Der 28 Jahre alte Alexej Martynow, der am 23. September einberufen wurde, starb an der Front am 10. Oktober.

Ein ähnliches Schicksal ereilte auch den 27-jährigen, zweifachen Familienvater Igor Puchkow aus der sibirischen Stadt Minussinsk, der, laut seinen Verwandten, ohne jegliche, zusätzliche militärische Ausbildung an die Front geschickt wurde. Gegenüber der «Moscow Times» sagt seine Schwägerin Swetlana Puchkowa: «Wir waren empört. Ihm wurden zwei Wochen Militärübungen versprochen, aber er bekam lediglich 30 Kugeln.»

Gerade einmal zehn Tage nach seiner Einberufung in die russische Armee fiel Puchkow auf dem Schlachtfeld in der Region Cherson. «Er ist weg und seine Frau ist alleine, ohne Geld, ohne irgendetwas», sagt Puchkowa. «Er hatte immer ein Lächeln im Gesicht. Wir wissen nicht einmal, wie er gestorben ist.»

«Am nächsten Tag war er tot»

Am selben Tag starb auch der 35-jährige Alexander Parilow, der wie Puchkow aus Minussinsk stammt. Dessen bester Freund Igor Solondaew zeigt sich gegenüber der «Moscow Times» ebenfalls schockiert: «Niemand hatte während der Ausbildung auch nur ein Maschinengewehr in der Hand gehalten. Nur einen Tag bevor er nach Cherson geschickt wurde, gaben sie ihm Uniform und Gewehr. Am nächsten Tag war er tot.»

Wie so etwas sein könne, fragte ein kremlnaher Journalist Putin am vergangenen Freitag bei einer Pressekonferenz in der Stadt Astana in Kasachstan. Doch über die getöteten Männer, die in Särgen zurückkehren, verlor der Kreml-Chef kein Wort. In etwa zwei Wochen, sagte Putin, solle die «Teilmobilmachung» abgeschlossen sein. Was heute passiere, sei zwar «wenig angenehm», wäre aber später nur noch schlimmer gekommen, sagte Putin. «Also sind meine Handlungen richtig und angemessen.» (bbs/SDA)

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