Das meint BLICK zum Wahl-Poker der Konservativen
May hat sich verzockt

Sie pokerte hoch – und verlor das Spiel. Premierministerin Theresa May wollte bei der Briten-Wahl ihre Macht ausbauen. Doch die Konservativen verlieren ihre Mehrheit. Ein Debakel.
Publiziert: 09.06.2017 um 07:20 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 10:39 Uhr
Theresa May (60) hat sich verzockt
Foto: WILL OLIVER
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Adrian Meyer

Ihre Karten sahen so gut aus, dass die britische Premierministerin Theresa May (60) all-in pokerte. Als sie im April überraschend Neuwahlen ausrief, lagen die Konservativen in den Umfragen in einem Allzeithoch, während die oppositionelle Labour-Partei eine historische Krise erlitt. Es schien der perfekte Zeitpunkt zu sein, um ihre Macht zu festigen und die konservative Mehrheit im Parlament auszubauen. Mit dem Mantra «strong and stable leadership», starke und stabile Führung, wollte May gestärkt in die anstehenden Brexit-Verhandlungen starten. 

Sie hat sich gewaltig verzockt. 

Bereits in den Nachwahlbefragungen am Donnerstagabend zeigte sich, dass May die absolute Mehrheit von 326 Sitzen im Parlament wohl verfehlt. Als in der Nacht nach und nach die Resultate der einzelnen Wahlkreise eintrudelten, verfestigte sich das Bild. Oppositionsführer Jeremy Corbyn (68) forderte May auf, zurückzutreten. Als um 6.30 Uhr 600 von 650 Wahlkreisen ausgezählt waren, war der Fall ziemlich klar: Es kommt zum Patt im Parlament. Labour gewann bis zu dem Zeitpunkt bereits über 30 Sitze dazu, während die Konservativen mehr als ein Dutzend verloren. Die Briten nennen ein solches Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse «hung parliament». 

Es drohen Ungewissheit und Unsicherheit

Nun tritt ein, wovor sich viele fürchteten, aber was keiner ernsthaft erwartete: Chaos. Bei einem solchen Patt beginnt ein wochenlanges Gerangel um eine Regierungskoalition. Ausgerechnet jetzt, wo sich die Briten auf die Brexit-Verhandlungen mit der EU konzentrieren sollten. Anstatt Stabilität, droht Unsicherheit und Ungewissheit. 

Denn mit wem wollen und können die Konservativen überhaupt zusammenarbeiten? Die schottischen Nationalisten der SNP und die Liberaldemokraten sind gegen den Brexit, eine Superkoalition mit der Labour-Partei unter dem urlinken Corbyn scheint ausgeschlossen, die Rechtspopulisten UKIP und die Grünen verschwinden in der Versenkung. Zum überraschenden Zünglein an der Waage werden die Nordirischen Unionisten der «Democratic Unionist Party» – eine Partei, die die Homo-Ehe sowie die Abtreibung ablehnt.

Für Theresa May wird es eng

Theresa May, die einstige Heldin der Brexit-Fans, hat sich das Debakel selber eingebrockt. Sie stellte Parteipolitik über die Interessen des Landes. Doch sie überschätzte ihre persönliche Beliebtheit. Im Wahlkampf wirkte sie arrogant und schwach. Im persönlichen Kontakt mit Land und Leuten drosch sie unentwegt hohle Phrasen, wich aus, verzog ihr Gesicht, wirkte gestresst, von der Rolle. Zum Rohrkrepierer wurde ein Kernpunkt des Wahlprogramms: Sie wollte von Senioren jegliches Vermögen über 100’000 Pfund für die Pflege einkassieren. Gegner nannten das sofort «Demenzsteuer», die Wähler tobten, May musste einen peinlichen Rückzieher machen.

Für May wird es nun eng. Innerhalb ihrer Partei wurden Rufe laut nach ihrer Absetzung und einem neuen Wettstreit um die Parteiführung. Wer hier sein Déjà-vu erlebt, ist nicht allein: Einen solchen «leadership contest» hielten die Konservativen bereits, nachdem Ex-Premier David Cameron kurz nach der Brexit-Abstimmung zurücktrat. 

Solch parteiinterne Kämpfe und ein gleichzeitiges Gerangel um die Regierungsbildung kommen für die Briten zum erdenklich schlechtesten Zeitpunkt: Eigentlich sollte die ganze Energie den Brexit-Verhandlungen gelten. Doch nun müssen sie erst einmal herausfinden, wer überhaupt die Macht übernimmt. Von der EU dürfen sie kaum Geduld erwarten. Denn die Union liess bereits vor der Wahl durchblicken: Wer am Verhandlungstisch sitzt, ist Brüssel ziemlich egal. 

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