Krise kann dem Herrscher nichts anhaben
Je mehr Trump wütet, desto stärker ist Erdogan

Aus Wut über einen verhafteten US-Pastor belegt US-Präsident Donald Trump die Türkei mit Strafzöllen. Diese Massnahme, welche die Türken mitten in der Krise trifft, hat drastische Auswirkungen. Allerdings kaum für Präsident Erdogan.
Publiziert: 13.08.2018 um 18:21 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:03 Uhr
Idol für viele, aber nicht für alle Türken: Erdogan bei einer Veranstaltung am Schwarzen Meer.
Foto: AP
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Guido Felder

Die türkische Wirtschaft darbt schon seit Monaten. Nun bringt US-Präsident Donald Trump (72) die Türken mit der Erhöhung von Strafzöllen noch mehr ins Schwitzen. Die Lira ist allein am Freitag um 18 Prozent auf ein Rekordtief gefallen und hat somit seit Anfang Jahr über 40 Prozent ihres Wertes gegenüber dem US-Dollar eingebüsst. Dem Land am Bosporus droht der wirtschaftliche Kollaps – wie schon 2001!

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Doch so sehr die Krise und die Strafzölle die Türkei durchschütteln, so sehr festigen sie die Macht von Präsident Recep Tayyip Erdogan (64). Jedenfalls kurzfristig. Dieser Meinung ist Christoph Ramm, Türkeiexperte an der Uni Bern. Ramm: «Trumps Strafaktion sorgt dafür, dass sich in der Türkei auch die Opposition hinter Erdogan stellt.»

Schwiegersohn als Finanzminister

Auch längerfristig wird Erdogan die Krise wohl überstehen. Einerseits halten immer noch viele Türken Erdogan zugute, dass er das Land aus dem finanziellen Loch von 2001 wieder zur Blüte geführt hat. Andererseits hat sich Erdogan seine Macht mit der Einführung des autoritären Präsidialsystems zementieren lassen.

Alle wichtigen Posten sind mit Erdogans Leuten besetzt, dabei kommt es weniger auf deren Kompetenz als auf die Loyalität an. Schwiegersohn Berat Albayrak (40) etwa amtet seit Anfang Juli als Finanzminister. Als er am Freitag schweissgebadet ein «neues ökonomisches Modell» vorstellen wollte, sackte die Lira mehrere Prozente ab.

Nato für Erdogan zu wichtig

Es gibt kaum Kräfte, die den Präsidenten vom Thron stossen könnten. Und wer sich jetzt noch gegen ihn auflehnt, bekommt seine Macht zu spüren: Das Innenministerium hat angekündigt, gegen negative Kommentare zur Wirtschaftslage in sozialen Netzwerken vorzugehen.

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Erdogan deutete gestern gar an, dass die Türkei bereit zu einem Krieg sei. Staaten, die Frieden wollten, müssten bereit zu Krieg sein, sagte er. «Wir sind bereit, mit allem, was wir haben.» Er warnte den Westen indirekt davor, dass er aus der Nato austreten und sich «neue Freunde und Verbündete suchen» werde. Doch glaubt Ramm derzeit nicht an einen Austritt aus dem Verteidigungsbündnis: «Die Nato ist der einzige Sicherheitsgarant, Russland wäre zu unzuverlässig.»

Die Krise zeige jedoch jetzt schon erste Auswirkungen auf das restliche Europa und die Weltwirtschaft. Banken in Spanien, Frankreich, Italien und Deutschland bangen um die Rückzahlung ihrer türkischen Kredite. «Es ist im Eigeninteresse der Europäer», so Ramm, «nicht in die amerikanisch-türkische Eskalationsspirale einzusteigen».

Polterer kann auch vernünftig sein

Der Türkeiexperte rät zu einer nüchternen Perspektive: «Erdogan ist zwar ein Meister der nationalistischen Rhetorik, er kann aber auch pragmatisch sein.» Das habe etwa die Freilassung von deutschen Journalisten im vergangenen Jahr gezeigt, die er zuerst verhindert hatte. Ein Ergebnis der erfolgreichen Diplomatie sei das Tauwetter zwischen Ankara und Berlin: Ende September trifft Erdogan bei einem Staatsbesuch Kanzlerin Angela Merkel (64).

Die USA haben mit Wirkung auf gestern Montag die Zölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei von 25 auf 50 Prozent erhöht. Auslöser ist die Verhaftung des evangelischen US-Pastors Andrew Brunson (50), dem die Türken Verbindungen zur verbotenen Gülen-Bewegung vorwerfen.

Türkei treibt Franken hoch

Der Absturz der türkischen Lira hat die Anleger in sichere Häfen wie den Schweizer Franken getrieben. Das lässt sich am Euro-Kurs ablesen. Mussten am Donnerstag für einen Euro über 1.15 Franken bezahlt werden, waren es am Freitag nur noch 1.135 Franken. Damit ist der Franken zum Euro so stark wie noch nie in diesem Jahr. Analysten befürchten, dass einige europäische Banken in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, weil sie grössere Kredite in der Türkei ausstehend haben. Die Schweizer Banken sind dagegen wenig betroffen. l

Der Absturz der türkischen Lira hat die Anleger in sichere Häfen wie den Schweizer Franken getrieben. Das lässt sich am Euro-Kurs ablesen. Mussten am Donnerstag für einen Euro über 1.15 Franken bezahlt werden, waren es am Freitag nur noch 1.135 Franken. Damit ist der Franken zum Euro so stark wie noch nie in diesem Jahr. Analysten befürchten, dass einige europäische Banken in Mitleidenschaft gezogen werden könnten, weil sie grössere Kredite in der Türkei ausstehend haben. Die Schweizer Banken sind dagegen wenig betroffen. l

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