Lehrer in Paris enthauptet
Sechs Schüler im Fall Samuel Paty vor Gericht

Samuel Paty zeigte im Unterricht zum Thema Meinungsfreiheit umstrittene Mohammed-Karikaturen. Das löste eine Hetzkampagne gegen ihn aus. Ein Dschihadist (18) zahlte Jugendlichen 300 Euro, wenn sie ihm Paty zeigen und enthauptete ihn.
Publiziert: 29.11.2023 um 11:14 Uhr
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Aktualisiert: 29.11.2023 um 11:30 Uhr

Am Anfang stand eine Lüge einer Schülerin (13), es folgte eine Hetzkampagne in den Onlinediensten, zehn Tage später – am 16. Oktober 2020 – wurde der französische Lehrer Samuel Paty (†47) von einem Dschihadisten (18) in der Nähe seiner Schule enthauptet. Das Mädchen sowie fünf Schüler, die damals 14 oder 15 Jahre alt waren und dem Attentäter geholfen hatten, den Lehrer ausfindig zu machen, stehen seit Montag in Paris vor einem Jugendgericht. Ihnen droht die Haft von 2,5 Jahren.

Die Angeklagten erschienen teils mit Kapuze, Sonnenbrille oder medizinischer Maske vor dem Gesicht, in Begleitung ihrer Eltern oder Anwälte. Auch die Eltern des Lehrers sowie mehrere seiner früheren Kolleginnen und Kollegen kamen zum Prozessauftakt. «Wir wollen verstehen, was geschehen ist», sagte ein Lehrer. Der Mord an Paty sei immer noch sehr präsent. «Wir unterrichten nicht mehr so wie früher», sagte eine Lehrerin, die sichtlich bewegt war.

Das Verfahren findet wegen des Alters der Verdächtigen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mehrere Lehrerinnen und Lehrer sowie das Bildungsministerium wollen als Nebenkläger anerkannt werden. Die Verhandlungen sollen bis zum 8. Dezember dauern. Ein weiterer Prozess gegen acht erwachsene Angeklagte, die unter anderem an der Hetzkampagne beteiligt gewesen sein sollen, ist für Ende 2024 geplant.

Der französische Lehrer Samuel Paty wurde am 16. Oktober 2020 enthauptet.
Foto: AFP
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Fünf Jugendliche zeigten ihm Paty

«He Kleiner, komm mal her, ich hab was für dich» – mit diesen Worten soll der damals 18 Jahre alte Abdulach Ansorow einen der Schüler angesprochen haben. Er habe ihm 300 Euro angeboten, um ihm Samuel Paty zu zeigen. Ansorow habe ihm gesagt, er wolle den Lehrer «filmen, wie er sich entschuldigt».

Der Schüler habe das Angebot angenommen, aber noch vier andere dazu geholt, weil er es nicht allein tun wollte. Vor den Ermittlern sagten die Jugendlichen unter Tränen aus, dass sie nie damit gerechnet hätten, dass ihr Auftraggeber den Lehrer töten wollte. Sie sind wegen krimineller Vereinigung zur Vorbereitung einer schweren Gewalttat angeklagt und müssen im Fall einer Verurteilung mit zweieinhalb Jahren Freiheitsentzug rechnen.

«Er ist von seinem schlechten Gewissen zerfressen», sagte ein Anwalt über seinen jungen Mandanten. «Er hat grosse Angst, erstmals den Angehörigen von Paty zu begegnen», fügte er hinzu. Es wird erwartet, dass die Verteidigung das junge Alter der Verdächtigen zu deren Entlastung anführt.

Paty zeigte Mohammed-Karikaturen

Der 47 Jahre alte Paty hatte in einer Unterrichtsstunde zum Thema Meinungsfreiheit umstrittene Mohammed-Karikaturen gezeigt. Zuvor hatte er seinen Schülerinnen und Schülern freigestellt, den Raum zu verlassen, falls sie diese nicht sehen wollten. Diese Vorsichtsmassnahme wurde ihm zum Verhängnis.

Die nun angeklagte Schülerin – die an dem Tag gar nicht zum Unterricht erschienen war – erzählte ihrem Vater, der Lehrer habe gezielt muslimische Schüler aus der Klasse geschickt, um den anderen erniedrigende Darstellungen Mohammeds zu zeigen. Ihr ebenfalls angeklagter Vater verbreitete diese Version in Onlinediensten, die Hetzkampagne nahm ihren Lauf. Die Schülerin ist wegen Verleumdung angeklagt und muss im Fall einer Verurteilung ebenfalls mit bis zu zweieinhalb Jahren Haft rechnen.

Der aus Tschetschenien stammende Ansorow war im Alter von fünf Jahren mit seiner Familie aus Russland nach Frankreich gekommen. Er hatte zum Tatzeitpunkt eine Aufenthaltserlaubnis und war seit mehreren Monaten radikalisiert. Den Lehrer kannte er nicht. Er lauerte ihm vor der Schule auf und tötete ihn mit Messerstichen. In einer Audionachricht rühmt er sich, «den Propheten (Mohammed) gerächt» zu haben.

Lehrer war besorgt

«Auch wenn Abdulach Ansorow allein gehandelt hat, ist das Verbrechen das Ergebnis einer Reihe von strafbaren Aktionen», heisst es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft. Paty sei vor der Tat «sehr besorgt» gewesen mit Blick auf «das Ausmass und die Aggressivität der Polemik».

Fast auf den Tag genau drei Jahre nach dem Mord an Paty hatte ein weiterer tödlicher Angriff eines jungen Dschihadisten auf einen Lehrer das Land erschüttert. Der ebenfalls aus Russland stammende 20 Jahre alte Mohammed M., der sich zum Dschihadismus bekannte, erstach in Arras den Geschichtslehrer Dominique Bernard. Er wurde festgenommen und liess durch seinen Anwalt mitteilen, dass er sich im Prozess äussern wolle. (AFP)

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