Hier rennt eine Frau ins russische Staatsfernsehen
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Mit Anti-Krieg-Plakat:Hier rennt eine Frau ins russische Staatsfernsehen

Marina Owsjannikowa protestierte live im russischen Staatsfernsehen gegen Putins Krieg
Wer ist die mutige TV-Redaktorin eigentlich?

Sie riskierte alles für die Wahrheit über den von Russland geführten Ukraine-Krieg: Die Journalistin Marina Owsjannikowa protestierte in einer Live-Übertragung des russischen Staatsfernsehens gegen Putins Regime. Wer ist diese mutige Frau eigentlich?
Publiziert: 16.03.2022 um 13:00 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2022 um 14:54 Uhr
Chiara Schlenz

Eine Frau springt am Montagabend während der Live-Übertragung der Hauptnachrichten des russischen Staatssenders Erster Kanal hinter der Nachrichtensprecherin ins Bild, hält ein Plakat hoch: «Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen», steht darauf geschrieben. Dazu ruft sie mehrmals «Nein zum Krieg» – prompt schaltet der Sender zu einem Videobeitrag. Die Nachricht von der Aktion verbreitete sich weltweit wie ein Lauffeuer.

Die mutige Journalistin Marina Owsjannikowa (44), die selbst beim Ersten Kanal arbeitete, wurde direkt nach der waghalsigen Protestaktion festgenommen. Der Vorfall gilt in dem fast militärisch geregelten Sendebetrieb des Staatsfernsehens als beispiellos. Ob die Journalistin erst nach dem Ausbruch des russischen Kriegs gegen die Ukraine oder schon zuvor Protestgedanken hegte, geht aus ihrer Videobotschaft nicht hervor. Jedoch trägt sie darauf eine Kette mit den Farben Russlands und der Ukraine – als Zeichen dafür, dass «Russland diesen Bruderkrieg sofort stoppen muss».

Der Kreml bezeichnet Owsjannikowa als «Rowdy», der Rest der Welt als «Heldin». Doch wer ist die Frau, die für die Wahrheit über den Krieg in der Ukraine strafrechtliche Verfolgung in Kauf nimmt?

Die russische TV-Redaktorin Marina Owsjannikowa verfasst ein Video-Statement gegen den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, bevor sie das TV-Studio stürmt.
Foto: Twitter
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Protest-Redaktorin in der Ukraine geboren

Laut einer Quelle der russischen Nachrichtenagentur Tass wurde Marina Owsjannikowa 1978 als Marina Tkatschuk in der ukrainischen Hafenstadt Odessa geboren, ihr Vater ist Ukrainer und ihre Mutter Russin. Eine Quelle mit Verbindungen zum Ersten Kanal sagte dem Nachrichtenportal Meduza, dass ihr Ehemann Igor Owsjannikow ihr Anfang der 2000er-Jahre einen Job als Redaktorin bei dem Sender verschafft habe. Studiert hat sie an der Kuban State University und der Presidential Academy of National Economy and Public Administration in Moskau, abgeschlossen hat sie 2005.

Ein ehemaliger Kommilitone erzählte, dass Owsjannikowa mindestens einen Kurs mit der jetzigen Chefredakteurin von Russia Today, Margarita Simonyan, besucht habe. Simonyan bestreitet, dass sie Klassenkameradinnen waren, räumte aber gleichzeitig ein, dass sie und Owsjannikowa einst um Sendezeit im Fernsehen konkurrierten. «Sie war die fast allmächtige Favoritin des fast allmächtigen Direktors der Allrussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft (VGTRK), [Wladimir] Runow. Und ihretwegen hat er sich vehement gegen meine Ernennung zur Korrespondentin des regionalen Staatsfernsehens gewehrt, weil er den Posten für sie vorgesehen hatte», schrieb Simonyan in den sozialen Medien, so das Portal.

Während ihres Studiums war Owsjannikowa Wettkampfschwimmerin. «Fitness und Schwimmen auf dem offenen Wasser. Bosporus, Wolga, Swimstar und Oceanman», steht in ihrer Profilbeschreibung auf Instagram. Auf Facebook zeigt sie sich bei Marathonläufen und schreibt über ihre Liebe zu der Hunderasse Golden Retriever, sie und ihre Familie haben selbst mehrere Welpen aufgezogen und letztes Jahr zur Adoption freigegeben. Auf Facebook spricht die Journalistin von zwei Kindern, einer Tochter und einem Sohn. Gemeinsam leben sie in der russischen Hauptstadt Moskau.

Staatssender kämpfen mit Kündigungen

Owsjannikowas Aktion führte auch dazu, dass mehrere russische Journalistinnen und Journalisten den Staatssender Erster Kanal verliessen. Dies berichtet Meduza unter Berufung auf «internationale Nachrichtenagenturen». Unter anderem verliess die Sonderkorrespondentin Schanna Agalakowa, die seit 1999 für den «Ersten Kanal» arbeitete, ihren Job. «Meine Freiheit kommt am Freitag», kommentiert sie die Entscheidung.

Von Beginn des Krieges an waren «alle Mitarbeiter vom Ersten Kanal nervös», so eine Quelle mit engen Verbindungen zum Fernsehsender. «Jeder, ohne Ausnahme, weiss, dass sie lügen. Im Studio haben sie Monitore, die Berichte von Reuters und AP zeigen, während sie von höherer Stelle Richtlinien und Drehbuchgeschichten erhalten, die nichts mit der Realität zu tun haben», so die Quelle gegenüber der Nachrichtenplattform, die sagt, dass die Mitarbeiter auf allen Ebenen in Panik geraten seien und sich fragen würden, warum sie Lügen sendeten.

Auch bei anderen Sendern gab es einen kleinen Exodus: NTV-Moderatorin Lilia Gildejewa, die seit 2006 für den Sender arbeitet, soll freiwillig zurückgetreten sein. Der Sender bestätigte den Abgang der Moderatorin. Der Korrespondent Wadim Glusker, der seit 1993 für den Sender gearbeitet hatte, verliess NTV ebenfalls. Allerdings hatte er seine Kündigung bereits Anfang März eingereicht. Eine Quelle mit Verbindungen zur Allrussischen staatlichen Fernseh- und Rundfunkgesellschaft erklärte gegenüber Meduza, dass auch dort mehrere Journalisten mit ihrer Arbeit unzufrieden seien. «Sie sind gezwungen, über die ‹friedenserhaltende Sonderoperation› zu berichten», so die Quelle gegenüber dem Medium.

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