Marine-Experte Jürg Kürsener zur Havarie des US-Zerstörers USS John S. McCain
«Vermutlich wurden schlafende Soldaten ins Meer geschleudert»

Noch ist es ein Rätsel, wieso am Montagmorgen vor Singapur das amerikanische Kriegsschiff USS John S. McCain und der unter liberianischer Flagge fahrende Öltanker Alnic MC miteinander kollidierten. Auch das Schicksal von zehn vermissten US-Seeleuten ist ungewiss. Marine-Experte Jürg Kürsener* gibt mögliche Erklärungen darüber, was passiert sein könnte.
Publiziert: 21.08.2017 um 16:41 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 11:49 Uhr
Interview: Guido Felder
Jürg Kürsener (72) aus Lohn-Ammannsegg SO war Verteidigungsattaché in Berlin und Wissenschaftlicher Berater des Chefs der Schweizer Armee. Er hat weltweit über 90 Kriegsschiffe besucht. Heute ist er Berater der Geschäftsleitung einer Firma der Raumfahrt- und Flugzeugtechnologie sowie Korrespondent für Militär- und Marinefragen bei verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften.
Foto: Zvg

BLICK: Wie gefährlich ist das Meer vor Singapur für Schiffe?
Jürg Kürsener: Die Strassen von Singapur und Malakka gehören zu den am dichtesten befahrenen Schiffswegen der Welt. Die Gefahr von Kollisionen ist ungleich grösser als anderswo. Vor allem nachts erhöht sich das Risiko. Kriegsschiffe sind zwar mit modernsten Geräten ausgerüstet. Eine Vielzahl von Faktoren, zum Beispiel das Wetter, können trotzdem zu Unfällen führen. 

Was könnte zur Kollision geführt haben?
Szenario 1: Menschliche Ursachen auf der USS John S. McCain. Je nach Situation zieht sich der Kommandant zur Ruhe in seine Kabine zurück. Auf der Brücke ist dann ein qualifizierter Offizier zuständig. Dieser ist verpflichtet, den Kommandanten in schwierigen Situationen zu wecken. Wir wissen nicht, ob der Kommandant selber auf der Brücke war und – falls nicht – ob er geweckt worden ist.
Szenario 2: Menschliches Versagen auf der Alnic MC.
Szenario 3: Schliesslich sind auch technische Fehler und/oder Fehlmanipulationen auf beiden Schiffen nicht auszuschliessen, beispielsweise bei der Antriebsanlage, bei der Elektronik oder wenn ein Ruder klemmt. In dichtbefahrenen Seestrassen erhöhen solche Pannen unverzüglich die Gefahr einer Kollision.
Noch sind dies Spekulationen. Die angeordnete Untersuchung dürfte Klarheit schaffen.

Warum sank die USS John S. McCain trotz des grossen Lecks in der Seitenwand nicht?
Kriegsschiffe sind mit Schotten ausgestattet. Das heisst: Das ganze Schiff ist in einzelne Zellen unterteilt, die verriegelt werden können. Darum muss man auf einem solchen Schiff alle paar Meter die Füsse über eine Schwelle heben. Gerade nachts fahren die Schiffe aus Sicherheitsgründen meistens mit dichten Schotten. Schlägt ein Schiff Leck, kann das Wasser nicht weiter eindringen. Dank dieser Schotten ist auch die am 17. Juni 2017 bei einer Kollision noch stärker beschädigte «USS Fitzgerald» nicht gesunken. 

Das Leck am Heck des Backbords: Hier wurden möglicherweise Seeleute hinausgeschleudert.
Foto: AP
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Was ist mit den zehn vermissten US-Soldaten passiert?
Wenn eine Kollision unmittelbar bevorsteht und nicht vermieden werden kann, wird Kollisionsalarm gegeben. Dieses Manöver wird immer wieder geübt. Die Schotten werden geschlossen, jeder ist vorbereitet und weiss, dass er sich festhalten muss. Offenbar prallte der Tanker in einen Unterkunftsbereich, wo Soldaten am Schlafen waren. Es kann sein, dass sie überrascht und aus dem Schiff ins Meer geschleudert wurden.

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