Junge Russinnen werden für den Krieg begeistert
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In Militär-Erziehungslagern:Junge Russinnen werden für den Krieg begeistert

Militär-Pfadi in Sibirien
Russland trimmt Mädchen für Fronteinsatz

Propaganda im russischen Staats-TV reicht nicht aus, um Putin die Unterstützung aus dem Volk zu sichern. Seine Mission ist es, die jüngsten Russen für den Krieg zu begeistern. Die militärische Früherziehung ist besonders in den armen Regionen Sibiriens längst Alltag.
Publiziert: 06.03.2023 um 22:15 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2023 um 07:33 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

Eine Kalaschnikow zusammen- und auseinanderbauen, Terroristen erkennen und die Erstversorgung von Schusswunden – an vielen russischen Schulen stehen diese Dinge auf dem Unterrichtsplan. Die Junarmija, eine Kinder- und Jugendorganisation, die 2016 vom Verteidigungsministerium gemeinsam mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) persönlich gegründet wurde, erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Laut eigener Website zählt sie 1,25 Millionen Mitglieder.

Vor allem Kinder und Jugendliche aus Sibirien sind Teil der Organisation. Hier ist der Krieg omnipräsent. Die arme Region Tuwa ist gleichzeitig die am stärksten militarisierte. Das spiegelt sich auch in den Schulen wider. Erstklässler schreiben Soldaten an der Front Briefe, andere Schüler rollen Knödel, die das Militär im Ukraine-Einsatz kochen kann. Und im März findet ein Wettbewerb unter Schülerinnen statt: die Wahl zur Miss Junarmija.

Mädchen zwischen 14 und 17 treten bei dem Wettbewerb in verschiedenen Kategorien gegeneinander an. Die Schülerinnen versuchen, am schnellsten eine Kalaschnikow zusammen- und wieder auseinanderzubauen. Auch die Sportlichkeit wird auf die Probe gestellt. «Die Mädchen bereiten sich darauf vor, ihr Heimatland zu verteidigen», sagt eine der Mütter beim Wettbewerb zum Nachrichtensender Radio Svoboda. Schliesslich wisse niemand, wie sich die Lage in der Ukraine entwickle. «Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor», fährt die Frau fort.

Die Junarmija wurde vom russischen Verteidigungsministerium gegründet, um den Patriotismus zur Heimat zu fördern.
Foto: Vadim Savitsky
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Kriegsalltag als Spiel

Die Szenen bei der Miss-Wahl der Junarmija sind bizarr: So stellen Schülerinnen Szenen nach, wie sie im Schützengraben selbstgebastelte Kerzen anzuzünden oder üben, mit einem Maschinengewehr über den Boden zu kriechen.

«Ich hoffe, dass keine von ihnen in den Krieg muss», sagt eine Lehrerin der Junarmija. Aber ein Leben ohne militärische Ausbildung sei in Tuwa gar nicht möglich, erklärt sie. Die Lehrerin hält fest: «Die Armee, das Ministerium für Notsituationen, der Grenzschutz – das sind alles Institutionen, in denen die Schüler eine militärische Grundausbildung brauchen», sagt sie. Und wer die hat, kann auch an die Front berufen werden. «Oder man hat reiche Verwandte, doch das trifft hier auf die wenigsten zu», räumt die Lehrerin ein.

Putin sichert sich Macht

Die Junarmija hatte in Russland einen ähnlichen Stellenwert wie Pfadi in der Schweiz. Vor dem 24. Februar 2022 galt sie in den Augen der Eltern als harmlos. Doch die russische Invasion in der Ukraine machte aus der Organisation bitteren Ernst.

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«Seit letztem Jahr ist diese Art der Ausbildung viel intensiver geworden», erklärt Danil Ken, Vorsitzender der russischen Gewerkschaft «Allianz der Lehrer». Putins Plan sei es, durch diese Art der militärischen Früherziehung die Unterstützung der Gesellschaft zu sichern. «Es reicht nicht, die Rentner, die fernsehen, zu überzeugen», ist Ken überzeugt. Die Propaganda müsse auch die Jungen erreichen.

Kinder lernen, für die Heimat zu sterben

Doch nicht nur Wettbewerbe für Mädchen sind in Russland gang und gäbe. In der sibirischen Stadt Borza übten Knaben, medizinische Erstversorgung zu leisten oder Terroristen anhand von Hinweisen zu erkennen. Die Einwohner finden das nicht bedenklich. «Die Kinder wollen eben Fallschirmjäger werden, aber wann wollten sie das nicht? Das ist harmlos», sagt einer zu Radio Svoboda.

Anders sieht es der russische Philosoph und Pädagoge Sergei Tschernischew. «Kindern wird beigebracht, dass es normal ist, für die Heimat zu sterben», kritisiert er. «Im Schulunterricht werden die Grenzen zwischen Gut und Böse nun vermischt», sagt Tschernischew.

Fest steht: Ehemalige Mitglieder der Junarmija kämpfen auch in der Ukraine. Allein aus Daurien, einer anderen armen Region in Sibirien, sind schon sechs junge Soldaten gestorben, zwei werden vermisst. Bisher müssen Frauen noch nicht als Soldaten an die Front, sondern lediglich Medizinerinnen.

Die meisten Mobilisierten kommen aus jenen Regionen mit schlechter Infrastruktur. Diese Menschen haben keine Perspektive und nicht die Ressourcen, um wie andere Russen aus dem Land zu flüchten. Viele, die in den Krieg gezogen sind, kehren nie wieder zurück.

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