Wladimir Putin zeichnet Wladimir Putin aus
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Überraschungsauftritt in Kursk:Wladimir Putin zeichnet Wladimir Putin aus

Militärblogger fürchten Putin
«Weiss nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt»

Es wird viel über den Tod von Jewgeni Prigoschin spekuliert. Hat der russische Präsident Wladimir Putin einen Mord beauftragt, um zu zeigen, dass Fehler nicht verziehen werden? Klar ist: Die Anhänger des Wagner-Bosses sind wütend – und haben Angst.
Publiziert: 24.08.2023 um 22:58 Uhr
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Jenny WagnerRedaktorin News

Im senkrechten Flug stürzte am 23. August ein Privatjet mit zehn Passagieren in Twer ab. Alle Personen an Bord sind tot. Auf der Passagierliste, die das Amt für Luftverkehr veröffentlichte, steht der Chef der Wagner-Gruppe, Jewegni Prigoschin (†62). Experten halten es für wahrscheinlich, dass er an Bord war – und es ebenfalls nicht überlebte. Während sich die Nachricht vom möglichen Tod Prigoschins auf Telegram wie ein Lauffeuer verbreitet, steht der russische Präsident Wladimir Putin (70) auf der Bühne eines Orchesters und spricht anlässlich des 80. Siegestages über die Schlacht bei Kursk, 1943.

Zu tosendem Applaus schreitet der Kreml-Chef an Cellisten, Geigenspieler & Co zum Rednerpult. Die irre Symbolik dahinter: Die Wagner-Gruppe ist nach dem berühmten Komponisten Richard Wagner benannt. Seine Söldner werden auch als Orchester bezeichnet. Kurz nachdem die Nachricht von Prigoschins Tod in den Staatsmedien ausgesprochen wurde, hat sich Putin wieder nach Moskau fahren lassen. Videos zeigen die Kolonne des Präsidenten auf dem Weg. Hat Putin Prigoschin absichtlich aus dem Weg geräumt?

Das Institute for the Study of War (ISW) ist überzeugt davon, dass das Flugzeug auf Befehl des Präsidenten abgeschossen wurde. Damit wolle Putin seine Dominanz beweisen. Denn: Prigoschin hat vor exakt zwei Monaten einen bewaffneten Aufstand gegen Moskau gewagt. Ein unverzeihlicher Fauxpas. Das sei laut Ulrich Schmid (57), Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen, eine entscheidende Schwächung von Putins Autorität gewesen.

Der Chef der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, soll tot sein.
Foto: keystone-sda.ch
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Verrat wird öffentlichkeitswirksam bestraft

Der Wagner-Chef bewies in den vergangenen eineinhalb Jahren im Ukraine-Krieg seine Macht in Russland – und wurde zum Dorn in Putins Auge. Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko (68) handelte nach dem Aufstand einen Deal mit Putin aus, unter der Bedingung, dass der Wagner-Boss Russland verlässt. Laut Schmid habe Lukaschenko damit aber nur versucht, seine eigene Macht zu festigen. Zuletzt war Prigoschin in Afrika stationiert und hatte grosse Visionen für die Präsenz Russlands auf dem südlichen Kontinent. Doch am Mittwoch reiste er offenbar zurück nach Russland.

Während Putin also Kämpfer auszeichnete und das Orchester besuchte, stürzte Prigoschin und die gesamte Besatzung in den Tod. Dass der Tod von Symbolik strotzt, deutet darauf hin, dass der Kreml dahinter steckt. «Das ist ein Versuch, die eigene Position zu festigen», erklärt Schmid. Der Experte zu Blick: «Putin macht damit klar: Verrat wird öffentlichkeitswirksam bestraft.»

Militärblogger wollen Rache nehmen

Viele Militärblogger sind entsetzt von der Tatsache, dass Prigoschin tot sein soll. «Jewgeni Prigoschin, ein Held Russlands, ein wahrer Patriot seines Heimatlandes, wurde durch die Handlungen von Russlands Verrätern getötet», schreibt der Wagner-nahe Telegramkanal Grey Zone. Und diese Verräter sind für «Wagner-Anhänger» ganz klar: Putin und seine Anhänger. Treue Anhänger Prigoschins schwören, dass sie Rache an Verteidigungsminister Sergei Schoigu und dem russischen Präsidenten nehmen würden. 

«Wir sind am Start. Wartet auf uns...»
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Wagner-Söldner äussern sich:«Wir sind am Start. Wartet auf uns...»

«Es wird viel darüber gesprochen, was Wagner machen wird. Wir sagen nur eines: Wir haben schon angefangen. Wartet auf uns», teilen drei Kämpfer in einem mysteriösen Video mit. Auch auf Telegram dürstet es Wagner-Söldner nach Rache. «Putin, du bist feiger Abschaum», heisst es in veröffentlichten Chats der Kämpfer. 

Wagner-Söldner laufen zu Kreml über

Doch manche Militärblogger sind nicht nur wütend, sondern haben auch Angst. «Wenn man schon solche Helden wegräumt, weiss ich nicht, wie viel Zeit mir noch bleibt», sagt etwa der Militärblogger Trinatzij. «Ich mache mir grosse Sorgen», fährt der Blogger mit 184'510 Followern mit zittriger Stimme fort. Währenddessen trauern vor dem Wagner-Gebäude in St. Petersburg viele Anhänger. 

Aber nicht alle Wagner-Söldner wenden sich gegen den Kreml. Seit dem Machtkampf zwischen dem Wagner-Boss und dem Verteidigungsministerium sind einige Kämpfer unter Vertrag bei Schoigu gegangen. Viele Wagner-Söldner werden in die russische Privatarmee Redut transferiert. Da beim Absturz auch der Gründer der Wagner-Gruppe, Dimitri Utkin (†53), getötet wurde, hinterlässt es die Söldner ohne Führung – und führt sie direkt in die Arme des Kremls.

Welche Auswirkungen die «Hinrichtung» Prigoschins auf Putin hat, lässt sich noch nicht vorhersagen. «Für Putin wäre es besser gewesen, hätte der Aufstand im Juni nie stattgefunden», so Schmid. «Aber er steht jetzt als jemand da, der Verrat bestraft», fährt er fort. Damit hofft Putin offenbar erneut auf Machtfestigung durch Verbreitung von Angst und Schrecken. 

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