Militärexperte ordnet russische Verteidigungsstrategie ein
So gelang Gerassimow die Eindämmung der Ukraine-Offensive

Russland gelingt es, die ukrainische Gegenoffensive einzudämmen. Ein Militärexperte ordnet ein, welche Gedanken bei Russen-General Waleri Gerassimow dabei eine Rolle gespielt haben könnten.
Publiziert: 25.07.2023 um 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 25.07.2023 um 12:37 Uhr

Vor sieben Wochen startete die Ukraine ihre Gegenoffensive. Nach dem kurzzeitigen Wagner-Aufstand gegen Moskau und einem Rückzug der Russen in die Defensive kam es in den letzten Tagen auf beiden Seiten wieder zu Angriffen – auch zivile Ziele wurden getroffen.

Über die exakte russische Verteidigungsstrategie ist nicht viel bekannt. Mick Ryan, US-amerikanischer Militärexperte, ordnet jetzt jedoch ausführlich ein, wie Waleri Gerassimow (67), Stabschef der russischen Führungskräfte, die Lage während dem Start der Gegenoffensive beurteilt haben könnte.

Abwarten oder militärische Neuausrichtung?

«Auch wenn die Russen in der Ukraine in den letzten Monaten in die Defensive gegangen sind, heisst das nicht, dass sie auf allen Ebenen und in allen Teilen der Ukraine in der Defensive waren», schreibt Ryan auf Twitter.

Welche Gedanken machte sich Valeri Gerassimow wohl bei Ausbruch der ukrainischen Gegenoffensiven?
Foto: AFP
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Zu Beginn der ukrainischen Gegenoffensive hätte Gerassimow drei Optionen gehabt, schätzt Ryan ein. Die erste Option für den Generalstabschef bestand darin, abzuwarten und die Entwicklung der Anfangsphase der ukrainischen Offensive möglichst genau zu beobachten. Der Stabschef habe wahrscheinlich so lange wie möglich abwarten wollen, um zu erfassen, wo die Hauptanstrengungen der Ukrainer liegen würden, vermutet Ryan.

Die zweite Option sei gewesen, neben der Informationsbeschaffung auch mit eingeschränkten offensiven Stössen auf ukrainische Schwachstellen zu versuchen, den Gegner zu schwächen.

Die politisch schwierigste, aber militärisch wirksamste Option wäre eine Neuausrichtung der russischen Verteidigung um die Krim und den Donbass gewesen, führt Ryan weiter aus. Dies hätte bedeutet, dass Russland den grössten Teil des seit Februar 2022 illegal besetzten Gebiets aufgibt. Wahrscheinlich wäre diese Option bei Putin aber nie durchgekommen.

Drohnen- und Raketenangriffe auf zivile ukrainische Ziele

«Es hat sich gezeigt, dass sich die Russen für Option zwei entschieden haben. Sein Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf dem Halten des Bodens in der Südukraine, von Donezk bis westlich von Cherson», schätzt Ryan ein. Dazu würden nicht nur Informationen beschafft, sondern Russland führe auch Drohnen- und Raketenangriffe auf zivile ukrainische Ziele durch. Kürzlich wurde die ukrainische Stadt Odessa schwer getroffen.

Selbst wenn ein Grossteil der ukrainischen Kampfkraft noch nicht zum Einsatz gekommen sei, hatte Gerassimow nun über sieben Wochen Zeit, die ukrainischen Streitkräfte und die Durchführung ihrer Angriffe im Süden und Osten der Ukraine zu beobachten und von ihnen zu lernen, schreibt Ryan.

«Er denkt wahrscheinlich, dass er einen Zermürbungskrieg gewinnen kann»

Laut dem Experten machen die Ukrainer im Süden langsame Fortschritte. Ein Schwerpunkt der ukrainischen Streitkräfte sei die Schwächung des russischen Aufklärungskomplexes, insbesondere der Artillerie. Zu Beginn des Angriffskrieges hätten die Russen da noch klare Vorteile gehabt.

Gerassimow werde diese Kräfteverhältnisse genau beobachten und bei seiner bisherigen Strategie bleiben, glaubt Ryan. «Er denkt wahrscheinlich, dass er einen Zermürbungskrieg gewinnen kann.»

Der russische General werde wahrscheinlich über gezielte russische Operationen nachdenken, wenn die ukrainischen Offensiven ihren Höhepunkt erreicht haben. Ryans Fazit: «Beiden Seiten steht ein langer Abnutzungskampf bevor.» (ene)

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