Angeschossener Reporter noch immer in Lebensgefahr
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Nach Anschlag in Amsterdam:Angeschossener Reporter noch immer in Lebensgefahr

Morde, Folterungen, Korruption – Attentat auf Reporter ist nur die Spitze des Eisbergs
So terrorisieren Drogenbanden die Niederlande

Am Dienstag wurde in Amsterdam der bekannte Kriminalreporter Peter R. de Vries angeschossen. Es ist der vorläufige Höhepunkt der Drogenkriminalität, die die Niederlande fest im Griff hat. Die Polizei appelliert an die Politik.
Publiziert: 08.07.2021 um 13:07 Uhr
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Aktualisiert: 08.07.2021 um 15:12 Uhr
Niederländer legen an der Stelle Blumen nieder, wo Peter R. de Vries angeschossen worden ist.
Foto: keystone-sda.ch
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Guido Felder

Der Anschlag auf den Kriminalreporter Peter R. de Vries (64) in Amsterdam zeigt: Das Organisierte Verbrechen ist in den Niederlanden auf dem Vormarsch. Denn es ist höchstwahrscheinlich, dass De Vries im Zusammenhang mit dem Prozess gegen den marokkostämmigen Drogenbaron Ridouan Taghi (43) überfallen worden ist.

Der Reporter ist im Marengo-Prozess Vertrauensperson des Kronzeugen Nabil B., dessen Bruder 2018 und dessen Anwalt 2019 getötet worden waren.

Peter R. de Vries war am Dienstagabend mit mehreren Schüssen niedergestreckt worden, als er nach einem TV-Auftritt das Fernsehstudio verliess. Noch immer kämpft der schwer verletzte Reporter um sein Leben.

Abgeschlagenen Kopf gefunden

Die Niederlande entwickeln sich immer mehr zu einem Medellín Europas. Drogenbanden kämpfen ohne Rücksicht auf Leben um die Vorherrschaft. Gegenüber der ARD-«Tagesschau» sagte ein Amsterdamer Anwalt, der Schwerverbrecher vertritt: «Ein abgeschlagener Kopf wurde vor einer Shisha-Bar gefunden, ein Anwalt wurde ermordet. Das kannte man von Pablo Escobar aus Kolumbien.»

Drogenbosse würden ganze Stadtteile beherrschen. Ein dicker Mercedes, eine schicke Uhr, schöne Frauen und Champagner gehörten dazu. Morde ebenso. Vor allem in der Hauptstadt Amsterdam wurden in den vergangenen Jahren viele Leute getötet – nicht nur Handlanger der Drogenbosse, sondern auch unbeteiligte Menschen, ja sogar Kinder.

Kokain unter Früchten

Die Organisierte Kriminalität ist am Hafen vor Rotterdam stark präsent. Hier landen jeden Tag 40’000 Container, von denen nur ein Bruchteil kontrolliert werden kann. Jährlich importieren die Verbrecher über diesen Hafen schätzungsweise 600 Tonnen Kokain, das oft unter Früchten versteckt ist.

Das Kokain, das Rotterdam und die belgische Hafenstadt Antwerpen erreicht, hat einen Wert von mindestens 50 Milliarden Euro. Damit werden Killer bezahlt, aber auch Mittelsleute bei Behörden und Unternehmen, um die Container unbehelligt zu entladen.

Container werden auch als Infrastruktur benützt. Vor einem Jahr fand die Polizei in Rotterdam sieben Container, die den Banden gehörten. Einer von ihnen war in ein schalldichtes «Behandlungszimmer» umfunktioniert worden, in dem die Gangster auf einem Zahnarztstuhl ihre Gegner folterten.

Hunderte von Laboren ausgehoben

Aber auch im Landesinnern sind die Drogenbanden aktiv. In den vergangenen Jahren wurden Hunderte von Drogenlaboren aufgedeckt. Das grösste fand man in der umgebauten Pferdemanege im Dorf Nijeveen im Nordosten des Landes.

Im gigantischen Kokainlabor stellte die Polizei 100 Kilo Drogen sowie Zehntausende Liter Chemikalien sicher. 17 Personen wurden festgenommen, davon 13 aus Kolumbien. Sie verarbeiteten hier bis zu 200 Kilo Kokain täglich.

Vor wenigen Tagen ein ähnlicher Fund: Auf einem Bauernhof in De Kwakel südlich von Amsterdam wurde ein Drogenlager von Südamerikanern entdeckt. Die Polizei fand fast drei Tonnen Kokain, 11 Millionen Euro, Waffen sowie Luxusgüter wie Oldtimer und teure Weine. An den Wänden hingen Posters des Hollywood-Klassikers «Der Pate».

Ein Drogenstaat

Die vielen Morde und Anschläge sind der Beweis für die Ausbreitung des Organisierten Verbrechens. Jan Struijs, Präsident des Nederlandse Politiebond, der Polizeigewerkschaft mit 27’000 Mitgliedern, sagte: «Das ist eine Bestätigung, dass wir in einem Drogenstaat leben.»

Seine Organisation sieht das Versagen in der Politik. Der Nederlandse Politiebond schreibt: «Minister, die wegschauen, Polizeipräsidenten, die erkannte Probleme beiseiteschieben, und Vorgesetzte, die schweigen. Im Nationalen Informationsbüro, dem Teil der nationalen Polizei, der sich mit schwerer, organisierter Kriminalität und Terrorismus befasst, läuft seit Jahren einiges schief.»

Grosser Schlag

Immerhin: In der Operation «Trojan Shield» gegen das Organisierte Verbrechen wurden unter Federführung des FBI und Europol bis Juni weltweit über 800 Verdächtige festgenommen, davon 49 in den Niederlanden. Die Ermittler hatten den Verbrechern präparierte, angeblich verschlüsselte Handys untergejubelt, die abgehört werden konnten.

«Trojan Shield» war ein grosser Schlag gegen die Drogenmafia, aber am Schluss doch nicht mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein.

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