Leben im Bürgerkrieg: Sieben Jahre Gewalt und Terror
So leidet die Bevölkerung in Syrien

Während sich die Welt vor einem Weltkrieg fürchtet, leben die Syrer seit sieben Jahren inmitten dieses Wahnsinns aus Gewalt. Und sie wünschen sich nur eins: Hört endlich auf!
Publiziert: 15.04.2018 um 15:07 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:15 Uhr
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Aline Wüst, Priska Wallimann

Die Lage in Syrien ist verworren. Wer versteht wirklich noch, was da passiert, wer gegen wen kämpft, wofür gebombt und getötet wird?

Was vor sieben Jahren mit einem Aufstand für persönliche Freiheit und gegen den autokratischen Herrscher Bashar al-Assad begann, ist mittlerweile zu einem Stellvertreterkrieg der Grossmächte geworden.

Zwischen den Fronten versucht die syrische Bevölkerung irgendwie in diesem Wahnsinn aus Gewalt und Trümmern zu überleben.

Oft tauchen sie einfach als Zahlen in Opferstatistiken auf. Getötet seit Kriegsbeginn: 500'000. Geflohen in Nachbarländer: 5,5 Millionen. Nach Europa geflüchtet: 1'084'124 – Zahlen, die kaum noch fassbar sind.

Jeder einzelne getötete Mensch ist ein erloschener, weggebombter Lebenstraum.

«Ich fühle mich wie lebendig in einem Grab»

Die Zahl der Toten liest man oft. Die Stimmen der Lebenden hört man selten. Vielleicht, weil sie fast noch schwerer zu ertragen sind: «Ich fühle mich wie lebendig in einem Grab, vergessen», so Mustafa vor ein paar Wochen zu einer UN-Mitarbeiterin in Duma. Das war noch vor dem Giftgasanschlag. Noch vor der Intervention der westlichen Grossmächte in der Nacht auf Samstag.

Oder der etwa siebenjährige Bub, der erzählt, wie er mit seinen Eltern bei einem Angriff aufs Dach flüchtete, wie sie dort beschossen wurden, wie der Bruder, die Mutter und der Vater starben. Die Reporterin, vor deren Kamera er das erzählt, fragt ihn: Hast du das alles mit-angesehen? Der Bub: «Ja, aber die Schützen haben mich nicht gesehen.» Dann schiebt das Kind nach: «Ich erinnere mich an alles, was ich erlebt habe.»

Was Kinder sehen müssen und nie vergessen können, wird den Augen der westlichen Zuschauer nur gefiltert zugemutet.

Das US-Verteidigungsministerium hat Bilder veröffentlicht, auf denen die Einschläge erkennbar sind.
Foto: US-Verteidigungsministerium/AP
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Datenbanken voller Tod

Dokumentiert wird es. Die Bilddatenbanken der Nachrichtenagenturen sind voll von solchen Fotos: Tote mitten auf der Strasse, einer neben dem anderen. Kinder liegen in ihrem eigenen Blut. Das Mädchen, eingewickelt in ein Tuch, scheint nur zu schlafen – doch es wird nie wieder aufwachen.

Andere Bilder zeigen Kinder, die in einer Strasse mit völlig zerbombten Häusern Verstecken spielen. Und dabei Dinge sagen wie: «Wenn Schüsse fallen, laufe ich so schnell ich kann heim. Ist die Schiesserei vorbei, gehe ich wieder hinaus und spiele weiter. » Alltag im Irsinn.

Eine Grossmutter, die weint, weil sie weiss, dass sie ihren Enkel zwar über alles liebt, ihm aber nie die Mutter ersetzen kann, deren Leben eine einzige Kugel beendete.

Ein Vater, der aufs Essen verzichtet, damit der Rest der Familie wenigstens etwas mehr hat. Kinder in übervollen Schulzimmern, die eifrig lernen – für eine ungewisse Zukunft.

Und dann die Millionen von Syrern, die dem Krieg entflohen sind. In den Flüchtlingscamps der Nachbarländer darauf warten, bis ihr Leben weitergeht.

15'778 Syrer flüchteten in die Schweiz

Manche haben es nach Europa geschafft. Auch hier in der Schweiz leben 15'778 Flüchtlinge aus den syrischen Bürgerkriegsregionen.

Das Leiden der Bevölkerung mit eigenen Augen gesehen hat der Appenzeller Jakob Kern. Er leitet seit zwei Jahren das World Food Program der Vereinten Nationen in Syrien.

Syrische Soldaten mit einem Geschütz in Ost-Ghuta.
Foto: EPA
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Die Menschen, die er auf seinen Hilfseinsätzen treffe, sagten ihm immer wieder das Gleiche: «Wir haben genug von diesem Krieg, wir wollen Frieden, wir wollen unser Leben zurück, unser Haus, unsere Jobs.»

Eine seiner Mitarbeiterinnen beschrieb kürzlich, wie sie vor ein paar Wochen als Mitreisende eines Nahrungsmittel-Hilfskonvois von Erwachsenen und Kindern angefleht wurde, sie hier herauszuholen, sie mitzunehmen an einen sicheren Ort.

«Lage ist schlimmer denn je!»

Jakob Kern: «Die humanitäre Lage ist schlimmer denn je.» Zwei Drittel der Bevölkerung seien auf Unterstützung angewiesen, sechs Millionen auf direkte Lebensmittelhilfe. Die Hälfte der Bevölkerung, elf Millionen Menschen, wurden aus ihren Häusern vertrieben.

Ein Ende des sich ständig verändernden Krieges ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Die Kampfhandlungen seien intensiver als alles, was er in den über zwei Jahren erlebt habe, die er nun in Syrien arbeite, sagt Kern.

«Und das auch hier in Damaskus, vor unseren Augen.» Täglich würden Granaten einschlagen. Manchmal nur hundert Meter von seinem Büro entfernt.«Dieser Krieg ist zu einem internationalen Konflikt ausgeartet», sagt der Appenzeller. Die Leidtragenden seien Kinder, Frauen und Männer. «Sie sind auf unsere Hilfe angewiesen!»

Krieg in Syrien

Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.

Fast jede dritte weltweit verkaufte Waffe hatte in den vergangenen fünf Jahren einen Abnehmer im Nahen Osten. (Symbolbild)
Fast jede dritte weltweit verkaufte Waffe hatte in den vergangenen fünf Jahren einen Abnehmer im Nahen Osten. (Symbolbild)
KEYSTONE/AP/STR

Seit 2011 tobt der syrische Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime und verschiedenen Rebellen-Gruppen. Dort engagieren sich auch ausländische Mächte, allen voran Russland und die USA oder die Türkei.

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