«Für viele Lehrer ist ihr Beruf zu einem riskanten Beruf geworden»
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Politologe nach Attentat:«Für viele Lehrer ist ihr Beruf riskant geworden»

Nach Attentat auf Lehrer in Frankreich erklärt Politik-Professor
«Wirft man Schüler raus, sind sie gefundenes Fressen für Islamisten»

Das Attentat erschüttert Frankreich: In Arras tötete ein Islamist einen Gymi-Lehrer. Das Gefühl, mit dem die Lehrer nun gemäss dem Politologen Pierre Mathiot leben und arbeiten müssen: «Es kann jeden treffen.» Blick traf den Experten zum Gespräch.
Publiziert: 22.10.2023 um 18:33 Uhr
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Aktualisiert: 22.10.2023 um 20:00 Uhr

Islamist Mohammed M.* (20) tötet im nordfranzösischen Arras Gymnasiallehrer Dominique Bernard (†57). Ziemlich genau drei Jahre nachdem sein Berufskollege Samuel Paty (†47) in einem Pariser Vorort geköpft wurde – ebenfalls von einem Islamisten.

Einer, der erklären kann, was das für den Lehrerberuf in Frankreich bedeutet, ist Pierre Mathiot (57). Er ist Direktor des Instituts für Politikwissenschaften an der Universität Lille und Kenner des französischen Bildungssystems. Blick trifft ihn in seinem Büro.

Lehrer in Frankreich in Krise

Mathiot sagt: «Die Lehrer in Frankreich sagen sich seit der Attacke auf Paty ‹mein Beruf ist gefährlich geworden.›» Noch mehr: «Die Attacke im 2020 auf Paty war gezielt. Doch in Arras war das eigentliche Ziel des Attentäters der Schulrektor. Bernard war also ein Zufallsopfer.» Das Gefühl, mit dem die Lehrer nun leben und arbeiten müssen: «Es kann jeden treffen.» Kurz: «Die Lehrer haben Angst.» Und das in einer Situation, in der der Lehrerberuf sowieso in einer Krise steckt: «Die Lehrer in Frankreich sind unterbezahlt.»

Vergangene Woche wurde Gymi-Lehrer Dominique Bernard (†57) vom Islamisten Mohammed M. (20) getötet.
Foto: AFP
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Dabei wäre es der «schönste Beruf der Welt», wie Mathiot betont. Nämlich: «Jungen Menschen etwas beibringen.» Und es sei auch ein ursprünglich sicherer Beruf. «Arbeiten an einem neutralen Ort, den die Tumulte dieser Welt nicht gleich erfassen. Die Schule ist ein sensibler Ort, den man nicht anfasst – wie etwa ein Spital.»

Doch der Angriff des Attentäters auf den Lehrer sei nicht nur eine Attacke auf die Institution Schule, sondern allgemein auf Frankreich, so der Professor. «Der Täter hatte es auf den Schulleiter abgesehen. Dieser steht für die Schule der Republik, für Frankreich.»

«Eltern müssen verstehen, dass Sexualkunde dazugehört»

Jetzt sei es umso wichtiger, gegen diesen Angriff auf französische Werte richtig zu reagieren. Etwa: «Wenn ein junger Schüler im Geschichtsunterricht sagt, der Lehrer dürfe nichts über den Holocaust erzählen.»

Die richtige Reaktion gemäss dem Experten: «Ihm klarmachen, dass in Frankreich sehr wohl über den Holocaust unterrichtet wird. Und gleichzeitig seine Aussage ernst nehmen.» Heisst: «Die Familien informieren, miteinbeziehen und aufklären.» Das gelte auch für andere Themen: «Eltern müssen verstehen, dass Sexualkunde und Schwimmunterricht in Frankreich dazugehören.»

«Gefundenes Fressen für Islamisten»

Dabei sei wichtig, dass der Lehrer als Pädagoge auftrete: «Und nicht als Bestrafer, der sanktioniert.» Denn: «Wenn man den Schüler aus dem Schulsystem wirft, landet er auf der Strasse. Dort ist er gefundenes Fressen für Islamisten, die ihn radikalisieren.»

Allgemein müsse der Diskurs und die Aufklärung der Lehrer gegenüber den Schülern besser werden, so der Politologe. Aktuellstes Beispiel: «In der Schule, in die der Sohn meiner Partnerin geht, fand am Montagnachmittag ein Gedenkanlass für den Getöteten von Arras statt.» Das Problem: «Niemand hielt eine Rede und erklärte den Schülern, warum man sich auf dem Pausenplatz trifft und gedenkt.» Die Schüler hätten dann rumgeblödelt.

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