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Nach Vergiftung von Putin-Gegner Nawalny
Die Schweiz darf nicht länger nur zuschauen

Das Attentat auf Putin-Gegner Alexej Nawalny verletzt Menschen- und Völkerrecht. Auch die Schweiz muss jetzt konsequent sein.
Publiziert: 05.09.2020 um 15:47 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2020 um 08:55 Uhr
Fabienne Kinzelmann

Giftmord ist Putins Hobby. Deutsche Spezialisten haben zweifelsfrei nachgewiesen, dass der russische Oppositionelle Alexej Nawalny mit dem sowjetischen Kampfstoff Nowitschok vergiftet wurde. Experten sind sich sicher: Der Kreml ist dafür verantwortlich.

Die EU fordert offen Sanktionen, die Schweiz verurteilt den Vorgang «in aller Schärfe». Auch die Nowitschok-Attacke 2018 auf den Ex-Doppelspion Sergej Skripal und dessen Tochter hat die Schweiz so verurteilt.

Konsequenzen für das verabscheuungswürdige Attentat auf britischem Boden? Keine. Die Schweiz hielt sich – wie schon bei Sanktionen für die völkerrechtswidrige Annexion der Krim – zurück. Der damalige Bundespräsident Alain Berset, Sportminister Guy Parmelin und Finanzminister Ueli Maurer reisten gar zur Fussball-WM, der andere führende europäische Politiker aus Protest fernblieben.

Moskau ist viel zu lange mit allem durchgekommen, findet Auslandredaktorin Fabienne Kinzelmann.
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Dabei verletzte der Skripal-Anschlag nicht nur die Chemiewaffenkonvention, sondern war auch ein Affront gegenüber den westlichen Staaten, die in den Neunzigerjahren viel Geld in die Vernichtung russischer Chemiewaffen investiert haben. Im November 2019 wurden Chemikalien der Nowitschok-Familie völkerrechtlich verboten.

Im SonntagsBlick sagte Aussenminister Ignazio Cassis in Hinblick auf Menschenrechtsverletzungen in China kürzlich: «Die Schweiz muss ihre Interessen und Werte robuster vertreten.»

Es reicht auch im Fall Nawalny nicht, die «russischen Behörden» zu «Untersuchungen» aufzurufen und die Entwicklungen «mit grosser Aufmerksamkeit» zu verfolgen, wie das EDA auf Anfrage mitteilt.

Da gibt es nichts zu verfolgen, Russland hat das Drehbuch längst geschrieben: Erst wurde der Giftanschlag geleugnet, jetzt werden die Ermittlungen verzögert. Der nächste Schritt ist grossflächige Desinformation. Im Fall Skripal etwa behauptete Russland, das mit der Untersuchung beauftragte Schweizer Labor Spiez habe Informationen zurückgehalten, und die Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) habe den Untersuchungsbericht manipuliert.

Moskau ist viel zu lange mit allem durchgekommen. Die Schweiz darf dabei nicht länger zuschauen. Und sie hat einen Hebel in der Hand: Als Kundin kann sie sich bei Deutschland für einen Baustopp der Gaspipeline Nord Stream 2 einsetzen, mit dem Russland Europa mit Gas versorgen will. Weil die USA Sanktionen androhen, ruhen die Bauarbeiten ohnehin schon.

Das umstrittene Projekt auszusetzen, wäre vergleichsweise einfach und träfe Moskau einseitig empfindlicher als Wirtschaftssanktionen. Ohne Androhung konkreter Strafen wird jegliche Verurteilung – und die Schärfe spielt da keine Rolle – ohnehin keinen Eindruck hinterlassen.

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