Einsatzleiter gibt auch nach 113 Stunden Suche nach vermisstem Bub (6) nicht auf
«Ich höre erst auf, wenn wir Arian gefunden haben»

Seit Montag wird der autistische Sechsjährige Arian in Niedersachsen vermisst. Trotz intensiver Suche mit Hunderten Helfern und moderner Technik fehlt jede Spur. Das sagt der Einsatzleiter zum Mammut-Einsatz.
Publiziert: 27.04.2024 um 16:38 Uhr
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Aktualisiert: 27.04.2024 um 20:43 Uhr
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Marian NadlerRedaktor News

Die Suche nach dem vermissten Arian (6) aus Bremervörde-Elm in Niedersachsen ist am Samstag fortgesetzt worden – auch auf einem Fluss. Eine neue Spur sei nicht entdeckt worden, sagte der Sprecher der Polizei am Samstagnachmittag. Arian, der Autist ist, wird seit Montagabend vermisst. Hunderte Einsatzkräfte durchkämmen seitdem den Heimatort des Jungen und das Umland. Bremervörde-Elm liegt zwischen Bremerhaven und Hamburg. Eine Überwachungskamera hatte den Jungen am Montagabend gefilmt, wie er nach dem Verschwinden aus seinem Elternhaus wahrscheinlich Richtung eines Waldes lief.

Am Samstag durchsuchten die Einsatzkräfte wieder nahe Elm die Oste, einen Nebenfluss der Elbe. Sie fuhren mit sogenannten Sonarbooten auf dem Fluss. An Land liefen Helfer den Fluss zu Fuss ab. Weitere Einsatzkräfte durchkämmten das Gebiet zwischen Elm und der Gemeinde Oldendorf. In dem Gebiet beobachtete ein dpa-Reporter am Samstag, wie etwa 30 Bundeswehrsoldaten eine Weide kontrollierten. Sie liefen verteilt in einer Reihe und suchten den Boden ab. Anders als am Freitag konzentrierte sich die Suche nicht auf Elm.

Polizisten suchen in ihrer Freizeit

Wie viele Menschen nach Arian suchen, ist unklar. Der Polizei lag keine Gesamtzahl vor. Der Sprecher sagte, am Samstag hätten sich rund 50 Polizisten freiwillig zum Dienst gemeldet, Bereitschaftspolizisten seien nicht im Einsatz gewesen. Dazu kommen Helfer der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft, des Deutschen Roten Kreuzes und des Technischen Hilfswerks. Eine Sprecherin des Landeskommandos Niedersachsen der Bundeswehr sagte am Samstag, tagsüber beteiligten sich gegenwärtig rund 400 Objektschützer und Logistiker an der Suche. Nachts seien etwa 60 Soldaten im Einsatz.

Einsatzleiter Jörg Wesemann verspricht: «Ich höre erst auf, wenn wir Arian gefunden haben.»
Foto: Polizei
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Den seit 113 Stunden andauernden Mammut-Einsatz leitet Jörg Wesemann. Er blickt auf eine fast 40-jährige Karriere zurück. Gegenüber «Bild» sagt er: «Ich habe in meinen 37 Dienstjahren noch nie so einen Einsatz erlebt, der uns alle so fordert. Doch eins muss ich sagen: Bislang ist mir kein Kollege oder Helfer begegnet, der resigniert gewirkt hätte und aufgeben möchte.» Die Motivation der Beteiligten sei unglaublich. 

800 Helfer im Einsatz

Was die Suche so herausfordernd mache, sei, dass Arian wahrscheinlich anders denke, als Menschen, die keine Autisten sind. Möglicherweise würde er sich auch bei fremden Menschen verstecken. «Dieser Einsatz ist mit nichts zu vergleichen, durch Arian ist er so anders.» Ein Moment hat den sonst so hartgesottenen Beamten besonders berührt. Plötzlich kam Arians Mutter zu ihm und übergab ihm Feuerwerk. Sie habe gesagt, «dass dieses vielleicht eine weitere Idee wäre, ihren Sohn aus einem möglichen Unterschlupf zu locken». Er tauscht sich regelmässig mit den Eltern von Arian aus und hat ihnen ein Versprechen gegeben. «Ich höre erst auf, wenn wir Arian gefunden haben.»

Nun sollen am Sonntag rund 800 Einsatzkräfte nach dem Jungen suchen – und damit mehr als je zuvor, wie ein Sprecher am Abend ankündigte. Die Helfer werden demnach eine Suchkette bilden. Zehn Drohnen sollen aufsteigen.

Der Polizeisprecher sagte, es gebe keine Hinweise auf einen Kriminalfall. Einen etwaigen Wolfsangriff, in der Gegend gibt es Wölfe, schloss der Sprecher aus. Ein Wolfsberater des Landkreises Rotenburg hält das ebenfalls für unwahrscheinlich. Wolfgang Albrecht sagte, Gefahr bestehe nur in Sonderfällen, etwa wenn ein Wolf sich angegriffen fühle.

Ergotherapeutin berät

Arian wird wahrscheinlich nicht auf Zuruf reagieren. Die Ergotherapeutin Jutta Bertholdt arbeitet mit Autisten zusammen und berät die Einsatzkräfte. Sie sagte, Arian könne ohne die Erlaubnis einer Vertrauensperson vor Kontakt mit Einsatzkräften zurückschrecken. Menschen mit Autismus seien Regeln vergleichsweise wichtig, sagte sie. Deswegen seien Aufnahmen abgespielt worden, die Arian hören sollte. Diese erlaubten ihm, sich an die Helfer zu wenden.

Bertholdt hatte den Einsatzkräften geraten, Arian nicht anzufassen, sollten sie ihn finden. Autisten könnten Berührungen von Fremden als unangenehm oder schmerzhaft empfinden, sagte sie. Das sei aber nicht immer so. Die Ergotherapeutin lobte die Einsatzkräfte. Es werde an allen Orten gesucht, was richtig sei. Es könne sein, dass Arian als Autist anders als Altersgenossen keine Angst etwa vor dem dunklen Wald habe.

Taktikwechsel in der Nacht zu Samstag

In der Nacht zu Samstag suchten Soldaten der Bundeswehr mit Nachtsichtgeräten nach dem Jungen. Die Soldaten sollten in kleinen Gruppen unterwegs sein. Besprochen wurde, dass die Einsatzkräfte sich still verhalten. Damit stellte die Einsatzleitung ihre Taktik um: In Nächten zuvor spielten die Helfer Kinderlieder und brannten auch das Feuerwerk ab. Damit sollte Arians Aufmerksamkeit gewonnen werden. Man habe die Taktik geändert, weil die anderen Ansätze keinen Erfolg gebracht hätten, sagte der Polizeisprecher.

Helfen könnten Erkenntnisse aus vergangenen Vermisstenfällen – darunter der eines tagelang vermissten Achtjährigen aus Oldenburg im Jahr 2022. Das geistig behinderte Kind hatte sich in einem Kanalsystem verirrt. Ein Spaziergänger hatte nach acht Tagen Suche ein leises Wimmern aus einem Kanaldeckel gehört – nur wenige hundert Meter vom Elternhaus des Kindes entfernt. Der Junge wurde gerettet.

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