Nur noch Stellvertreter
Darum wurde Sergei Surowikin degradiert

Führungswechsel bei den russischen Streitkräften in der Ukraine: Waleri Gerassimow wurde am Dienstag zum Kommandanten der russischen Truppen in der Ukraine ernannt. Sein Vorgänger Sergei Surowikin ist jetzt sein Stellvertreter. Was steckt hinter der Personalrochade?
Publiziert: 11.01.2023 um 20:35 Uhr
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Aktualisiert: 12.01.2023 um 07:36 Uhr
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Marian NadlerRedaktor News

Erst im Oktober war Sergei Surowikin (56) zum Kommandanten der russischen Truppen in der Ukraine ernannt worden. Nun ist er den Posten schon wieder los. Stattdessen wird der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow (67) die Führungsrolle übernehmen. Was sind die Gründe für den Wechsel in der Chefetage des russischen Militärs?

Surowikin, der sich im russischen Syrien-Einsatz aufgrund brutaler Luftschläge den Spitznamen «General Armageddon» erworben hat, stand zuletzt in der Kritik und konnte kaum Erfolge vorweisen. Der Rückzug aus der strategisch wichtigen Stadt Cherson Anfang November kam in der Heimat gar nicht gut an. So äusserte sich der kremlnahe Ideologe Alexander Dugin (60) deutlich gegen die Entscheidungen des Generals. «Die Grenze ist erreicht», sagte Dugin zum Online-Nachrichtenportal Tsargrad. Im Donbass konnte die russische Armee unter Surowikin keine nennenswerten Erfolge erzielen.

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Erfolge vermeldeten dagegen andere. So gaben die Söldner der Wagner-Gruppe am Dienstagabend die Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Soledar bekannt. Zwar hat die Ukraine am Mittwoch die Behauptung zurückgewiesen, dass die Stadt unter der Kontrolle Russlands sei. Aber: «In den vergangenen Wochen haben die Wagner-Söldner in Bachmut und Soledar Fortschritte erkämpft. Sollte Soledar tatsächlich erobert worden sein, erhöht das natürlich die Wirkung der Gruppe. Man erwartet jetzt ähnliche Erfolge von der Armee», sagt Militärexperte Marcel Berni (34), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH Zürich, zu Blick.

Sergei Surowikin ist nicht länger oberster Befehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine.
Foto: Vitaliy Pikov
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Jetzt wird die «Spezialoperation» Chefsache

Mit der Ernennung von Waleri Gerassimow hebe Wladimir Putin (70) die Invasion in der Ukraine auf die oberste militärstrategische Ebene, erklärt Berni. Der 67-Jährige war bisher der Chef des Generalstabs der russischen Streitkräfte. Der «bedeutendste Militärchef Russlands» übernehme jetzt.

Dass Gerassimow nun oberster Befehlshaber in der Ukraine wird, sei auch eine politische Botschaft von Kremlchef Putin, so Berni. Heisst: Die «Spezialoperation» wird Chefsache. Russlands Präsident sei bereit, den Krieg in der Ukraine noch lange fortzuführen. Dazu passt, dass Moskau die Neuaufstellung mit einer «Ausweitung des Ausmasses der zu lösenden Aufgaben» sowie der Notwendigkeit einer engeren Kooperation der einzelnen Armeeteile begründete.

An der Ausgangslage wird die Personalrochade aber nicht viel verändern, glaubt Berni. «Die Ukraine wird sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen lassen», analysiert der Experte.

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Wagner-Söldner fluchen über Gerassimow

Gleichzeitig bestimmt jetzt ein Mann die Geschicke, der bei den Wagner-Söldnern und ihrem Chef Jewgeni Prigoschin (61) verhasst ist. Ende Dezember tauchte laut «The Daily Beast» ein Video von Wagner-Söldnern auf, in dem diese über Gerassimow fluchen. Die Kämpfer fühlten sich an der Front alleingelassen, klagten über fehlende Unterstützung durch die Armee. Einer nennt Gerassimow gar einen «verdammten Motherfucker».

Putin versucht mit der Rochade also womöglich, seinem früheren Vertrauten und zunehmendem Konkurrenten Prigoschin den Wind aus den Segeln zunehmen. Denn: «Prigoschin ist eine Bedrohung für Putin», weiss Berni. Ob diese Strategie Erfolg hat? Auch für den Führungswechsel hagelte es prompt Kritik.

«Spezialoperation» wird Chefsache

Mit Blick auf den erst am Dienstag zum Generalstabschef der Landstreitkräfte ernannten General Alexander Lapin kommentierte der Politologe Abbas Galljamow: «Gestern Lapin, heute Gerassimow und Surowikin. All diese Umbesetzungen ein und derselben Leute von einem Sessel in den nächsten, die auf der Höhe der Kampfhandlungen erfolgen, zeugen von allem möglichen – aber nicht davon, dass ‹alles nach Plan› läuft».

Ganz weg vom Fenster ist Surowikin nicht. Er gehört nun zu den drei Stellvertretern Gerassimows. Zum Trio soll auch Oleg Saliukow, der Chef der russischen Landstreitkräfte, gehören. Dritter im Bunde ist der stellvertretende Chef des Generalstabs, Alexei Kim.

Rob Lee von der US-amerikanischen Denkfabrik Foreign Policy Research Institute (FPRI) vermutet ein ganz anderes politisches Motiv hinter Surowikins Degradierung. «Ich glaube nicht, dass dies daran liegt, dass Surowikin als Versager angesehen wird», twitterte er. «Es dürften politische Gründe gewesen sein. Prigoschin hat sich immer für Surowikin ausgesprochen. Dies könnte nun die Antwort auf den wachsenden Einfluss der Wagner-Gruppe sein.»

Diese Aufnahmen sollen Prigoschin in Salzmine bei Soledar zeigen
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Bei Besichtigung:Dieses Video soll Prigoschin in Soledars Salzmine zeigen
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