Omikron-Entdeckerin Angelique Coetzee über Engpässe in den Spitälern
«Die Panikmache war völlig übertrieben»

Angelique Coetzee hat in Südafrika vor einigen Wochen die Omikron-Variante entdeckt. In einem Interview spricht sie über ihren Fund, warum Omikron eher wie eine Grippe wirkt und kritisiert Regierungen und Spitäler.
Publiziert: 07.01.2022 um 17:21 Uhr
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Aktualisiert: 07.01.2022 um 18:11 Uhr

Während die Welt Mitte November daran war, die Delta-Variante zu bekämpfen, kam aus Südafrika eine Nachricht, die Wissenschaftler und Ärzte in Alarmbereitschaft versetzte: Eine neue Corona-Variante wurde entdeckt, die sich rasend schnell verbreite und Delta ablöse.

Überbringerin dieser schlechten Neuigkeit: Angelique Coetzee (61). Die südafrikanische Ärztin hatte in ihrer Arztpraxis in Pretoria am 18. November 2021 einen jungen Mann untersucht, der glaubte, einen Sonnenstich zu haben. Dies sagte Coetzee in einem Interview mit der «Weltwoche».

Der Mann habe draussen bei hohen Temperaturen gearbeitet und sich müde gefühlt. Als sie ihn auf Corona getestet habe, seien die Symptome positiv gewesen. Wie auch die Tests seiner Familie. Und von sieben anderen Patienten am gleichen Tag. «Da stimmt etwas nicht, sagte ich mir, und ich war überzeugt, dass es sich nicht um das Delta-Virus handelte», sagte Coetze weiter. Denn zuvor habe sie während zwei Monaten keine Covid-Patienten gesehen.

Angelique Coetzee hat Omikron entdeckt. Sie sagt, das Virus wirke wie eine Grippe.
Foto: Twitter
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«Lungenentzündung nur in schweren Fällen»

Sie sei sich sicher gewesen, eine neue Variante entdeckt zu haben, da sie über 600 Delta-Patienten behandelt habe und so Vergleiche anstellen konnte. Gleichzeitig habe ein Labortechniker am Lancet-Pathologielabor mithilfe von PCR-Tests ebenfalls Unterschiede zu den bisher bekannten Coronaviren festgestellt.

Nachdem Wissenschaftler ihre Vermutung bestätigt hatten, habe sie begonnen, die Gefährlichkeit der neuen Variante zu evaluieren. Ihr Befund: «Anders als die Delta-Variante greift Omikron die oberen Atemwege nicht an und bei milden Fällen vor allem nicht die Lunge. Nur in schweren Fällen kann es zu einer Lungenentzündung kommen.»

Aufgrund provisorischer Ergebnisse einer in Südafrika durchgeführten Studie wisse sie zudem, dass Personen, die mit Omikron infiziert waren, eine verstärkte Immunität gegen die Delta-Variante entwickeln, besonders diejenigen, die geimpft waren.

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«Kleine Dosis Cortison ist Goldstandard»

Auch zu den Symptomen hat Coetzee unterdessen einige Erkenntnisse gesammelt: «Omikron ist eine virale Infektion, die eine Entzündung des Muskel-Skelett-Systems zur Folge hat, was zu Rücken- und Brustschmerzen führen kann. Zudem können Kopfschmerzen am Morgen, etwas Heiserkeit und Nachtschweiss auftreten, gekoppelt mit Müdigkeit. Das sind die typischen Omikron-Symptome. Nach höchstens sechs Tagen scheint sich die Mehrheit der Patienten vollständig erholt zu haben.»

Sie empfiehlt, Omikron-Patienten mit Cortison oder entzündungshemmenden Medikamenten wie Ibuprofen oder Paracetamol zu behandeln. Je schneller dies getan werde, desto schneller sei die Erholungsrate bei Patienten mit leichten Symptomen. «Eine kleine Dosis Cortison scheint der Goldstandard für die Behandlung von Omikron, sobald die Diagnose feststeht. Eine künstliche Sauerstoffzufuhr ist nicht nötig.»

«Bevölkerung kann nicht aus der Pandemie geimpft werden»

Nachdem Omikron von Südafrika aus nach Europa und in die USA gelangte, schalteten Staaten und Spitäler in den Krisenmodus. Härtere Massnahmen wurden eingeführt, Spitäler warnten vor Überlastung.

«Diese Panik war völlig übertrieben», sagt Coetzee dazu. Regierungen hätten zwar zu Recht vor der schnellen Ausbreitung der Variante gewarnt. Doch sie hätten den Leuten Angst gemacht, indem sie sagten, die Spitäler würden bald an die Kapazitätsgrenzen stossen und es werde viele Tote geben. Stattdessen hätte kommuniziert werden sollen, dass die Impfung «einen recht guten Immunschutz biete». In Südafrika beispielsweise seien 88 Prozent der Omikron-Fälle auf den Intensivstationen nicht geimpft gewesen.

Zwar müssten die Regierungen den Bürgern unbedingt klar kommunizieren, dass Impfungen vor einem schweren Krankheitsverlauf, vor Hospitalisierung und Tod schützen. Aber keine Regierung sei laut Coetzee in der Lage, «die Bevölkerung aus der Pandemie zu impfen».

Deshalb sei es wichtig, parallel zur Impfung auch nicht pharmazeutische Interventionen durchzuführen, anstatt Panik zu verbreiten und von zu wenig Betten auf Intensivstationen zu reden. Ihre Meinung in dem Punkt ist klar: «Die Medizin sollte von der Politik befreit werden. Letztendlich müssen die Menschen selbst entscheiden, was gut für sie ist, und die Verantwortung für ihre Entscheidungen und Handlungen übernehmen.»

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«Omikron wirkt eher wie eine Grippe»

Die Südafrikanerin macht darauf aufmerksam, dass die Booster-Impfung «eindeutig gegen Omikron wirkt». Daneben brauche es aber auch eine «soziale Verantwortung der Bürger, das Offensichtliche zu tun». Darunter fallen für Coetzee unter anderem das Tragen von Masken und das Fernbleiben von Menschenansammlungen. «Wer aber strenge Lockdowns androht oder Reisebeschränkungen durchsetzt, um die Ausbreitung des Virus zu verhindern, versteht das Virus nicht.»

Im Interview spricht Coetzee auch über Viren im Allgemeinen. Diese seien keine Lebewesen, sondern aufgebaute Moleküle, die aus eigener Kraft und ausserhalb eines Wirtsorganismus nicht existieren können. Als Schmarotzer würden sie nicht darauf abzielen, ihren Wirt zu töten. Darum sei die Hoffnung vieler Experten, dass das Virus ein Interesse daran habe, aggressivere Viren zu verdrängen. «Obwohl sich Omikron wie ein wildes Feuer rasend schnell ausbreitet, sind die Symptome im Vergleich zur Delta-Variante milder», fügt Coetzee an. «Omikron wirkt eher wie eine Grippe oder ein Erkältungsvirus.»

In Südafrika habe sich gezeigt, dass die Zahl der Fälle zuerst rasch anstieg, danach aber «mit einer verblüffenden Geschwindigkeit» fiel. Gleichzeitig hätten Krankenhausaufenthalte nur geringfügig zugenommen. Sie geht darum davon aus, dass auch Menschen in Europa und in den USA zuversichtlich sein können, dass die neue Corona-Welle ihren Höhepunkt bald überschritten hat. (vof)

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