Premier stellt «unverantwortliche Einwanderungspolitik» an den Pranger
Schweden ruft Militär zur Bekämpfung von Banden-Gewalt zu Hilfe

Ausufernde Bandengewalt in Schweden: Der Regierungschef Kristersson macht eine «unverantwortliche Einwanderungspolitik und gescheiterte Integration» für steigende Opferzahlen und eskalierende Gangkriminalität verantwortlich. Und will Militär dagegen einsetzen.
Publiziert: 02.10.2023 um 01:25 Uhr
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Aktualisiert: 15.10.2023 um 14:41 Uhr
Der schwedische Regierungschef Ulf Kristersson kündigte am Freitag vor den Medien harte Massnahmen gegen die im Land eskalierende Bandenkriminalität an.
Foto: IMAGO/TT
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Schweden blickt auf den «Schwarzen September» zurück. In diesem Schreckensmonat starben mindestens ein Dutzend Menschen durch Bandengewalt. Die häufigsten Todesarten? Eine 24-Jährige kam Ende Monat bei einem Bombenanschlag in Uppsala, nördlich von Stockholm, ums Leben. Elf weitere wurden bei verschiedenen Vorfällen erschossen.

In keinem anderen EU-Land sterben seit 2021 so viele Menschen durch Gewalt wie in Schweden. Das grösste skandinavische Land galt lange als sozialer Musterstaat, gerade für Zuwanderung und Integration. Jetzt macht Premierminister Ulf Kristersson (59) die Migrationspolitik linker Vorgängerregierungen für die Gewaltmisere verantwortlich – und ruft die Armee zu Hilfe.

«Kein anderes Land in Europa» erlebe solche Gewalt

Kristersson sagte am Donnerstag in einer Fernsehansprache, Schweden habe so etwas noch nie zuvor gesehen und «kein anderes Land in Europa» erlebe eine solche Situation. Zunehmend seien auch Kinder und unschuldige Passanten im ganzen Land Opfer der Gewalt.

Am Freitag erklärte die Mitte-Rechts-Minderheitsregierung des Ministerpräsidenten vor den Medien, sie werde das Militär ermächtigen, die Polizei bei der Bekämpfung organisierter krimineller Gruppen zu unterstützen. Noch am Freitagmorgen hatte sich Kristersson mit dem Chef der schwedischen Streitkräfte und dem Polizeichef getroffen.

Im Anschluss an die Gespräche hätten Polizei und Streitkräfte laut Regierungschef den offiziellen Auftrag erhalten, Möglichkeiten der Zusammenarbeit zur Eindämmung der wachsenden Bandengewalt im Land auszuloten. Die Regierung werde auch Gesetzesänderungen prüfen. Dies soll erleichtern, dass die Polizei militärische Unterstützung anfordern kann.

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«Verantwortungslose Einwanderungspolitik und gescheiterte Integration»

Die schwedischen Streitkräfte sollen, so Kristersson, der Polizei zunächst mit Know-how über Sprengstoffe sowie Helikopter-Logistik und Analysen helfen. Dies sei schon ohne Gesetzesänderung möglich. Der nationale Polizeichef Anders Thornberg (64) erklärte dazu, Soldaten würden keine «direkten» Polizeiaufgaben übernehmen, es würden keine Truppen durch Schwedens Strassen patrouillieren. Zudem bekräftigte er, Bandenkriminalität stelle eine «ernsthafte Bedrohung für die Sicherheit des Landes» dar.

Premier Kristersson hatte bereits am Donnerstagabend beteuert: «Wir werden die Banden jagen und sie besiegen.» Er machte jahrelange politische Naivität für die Krise verantwortlich, insbesondere unter sozialdemokratisch geführten Regierungen. «Eine verantwortungslose Einwanderungspolitik und eine gescheiterte Integration haben uns hierhergeführt.»

Regierung will hart durchgreifen

Der Ministerpräsident kündigte mehr Überwachung, härtere Strafen für Verstösse gegen Waffengesetze, stärkere Abschiebebefugnisse sowie Zonen für Kontrollen und Körperdurchsuchungen an. «Alles ist auf dem Tisch», sagte der Premier. Bei einem Besuch vorletzte Woche in New York habe er vom dortigen Bürgermeister Eric Adams (63) viel gelernt.

Auch Ausländer, die sich in kriminellen Bandenkreisen bewegen, würden abgeschoben, auch wenn sie keine Straftat begangen haben. Zudem werden neue Jugendgefängnisse gebaut, um junge von erwachsenen Straftätern zu trennen. Auch müsse sichergestellt werden, dass alle Kinder Schwedisch lernen.

Allein 2023 gab es in Schweden bereits rund 260 Bombenattentate und fast 300 Schiessereien. Nahezu alle stehen mit Banden- und Gangkriminalität in Verbindung. Es gibt zahlreiche kleinere und grössere Gangs, die auch Verbindungen ins Ausland haben. Zu trauriger Berühmtheit gelangte im September vor allem die Foxtrott-Bande.

Türkei-Connection

Die Eskalation hatte am 6. September in Istanbul begonnen, als zwei Männer von einem Mofa aus auf fünf Männer mit schwedischem Pass schossen. Die fünf waren nicht zimperlich und feuerten zurück. Es war der Auftakt zum sogenannten Foxtrott-Krieg. Die Beteiligten sitzen jetzt alle in türkischer Haft.

Schweden versucht seit geraumer Zeit, Bandenchef Rawa Majid (37) zurück nach Schweden zu holen und vor Gericht zu stellen. Der auch als der «kurdische Fuchs» bekannte Kriminelle wuchs in Uppsala auf und hat den schwedischen Pass.

Die Türkei verweigerte die Verhaftung und die Auslieferung von Majid bisher. Schwedens Bandenkriege führen damit zu diplomatischen Verwicklungen auf allerhöchster Ebene – und spielten auch bei der Frage um Schwedens Nato-Mitgliedschaft eine wichtige Rolle.

Schweden bangt um seinen Ruf

Schweden weiss noch nicht, wie es die Welle der Gewalt beenden kann. Es geht um die Sicherheit der Menschen – und den Ruf und die Zukunft der Nation.

Auf der Liste der lebenswertesten Städte der Welt ist der einstige Spitzenreiter Stockholm inzwischen auf Platz 43 abgerutscht. Kopenhagen – die Hauptstadt von Nachbar Dänemark – nimmt den stolzen zweiten Platz ein. (kes)

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